Der 30. Juni ist "Internationaler Asteroidentag": Er soll über die Gefahren der Gesteinsbrocken informieren, die immer wieder an uns vorbeifliegen und manchmal auch auf die Erde stürzen. Der Physiker Alan Harris erforscht am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wie groß die Gefahr ist – und wie wir uns gegen die Bedrohung aus dem Weltall wehren können.
Herr Harris, Sie beobachten am Institut für Planetenforschung des DLR beruflich das All. Lassen Sie uns ganz von vorne anfangen: Was sind eigentlich Asteroiden?
Alan Harris: Asteroiden sind kleine Planeten aus Gestein und Metall, aber ohne Atmosphäre, die, genau wie die Erde, auf festen Umlaufbahnen die Sonne umkreisen. Kleine Asteroiden haben einen Durchmesser von einigen Metern, die größten sind mehrere hundert Kilometer groß. Die meisten befinden sich im Asteroiden-Hauptgürtel zwischen Mars und Jupiter, aber manche werden durch Kollisionen und die Schwerkraft des riesigen Planeten Jupiter herausgeschleudert und gelangen in anderen Umlaufbahnen.
Sind das die sogenannten "erdnahen Objekte"?
Genau. Aber da gibt es natürlich große Entfernungsunterschiede. Es gibt Objekte, die zwischen Erde und Mond vorbeikommen, ab und zu sogar näher als Fernseh- und Wettersatelliten.
Das hört sich gefährlich an …
Zu den gefährlichsten Asteroiden, die wir beobachten, gehört "Apophis". Er hat einen Durchmesser von 370 Metern – das wäre sehr, sehr gefährlich. Aber ich kann Sie gleich beruhigen: Bis zum Jahr 2105 liegt die Einschlagswahrscheinlichkeit bei 1:100.000 – das kann man quasi vergessen.
Für wie lange im Voraus können Sie einen Zusammenstoß mit der Erde ausschließen?
Wir wissen, dass drei große Asteroiden der Erde in den nächsten 900 Jahren recht nahe kommen werden. Aber auch bei ihnen ist die Einschlagswahrscheinlichkeit sehr, sehr niedrig.
Was würde uns bei einem Einschlag drohen?
Interessant ist der Asteroid "Bennu". Er hat einen Durchmesser von 490 Metern und nähert sich 2175 und 2199. Die Einschlagswahrscheinlichkeit ist aber nur 1:2.700 – auch das ist sehr wenig. Doch wenn ein Objekt dieser Größe hier niederginge, würden Deutschland und halb Europa wohl nicht mehr existieren, Schmutz und Asche würden über tausende von Kilometern den Himmel verdunkeln – das könnte unsere Zivilisation unterbrechen.
Sie haben mit anderen Wissenschaftlern für die internationale Organisation "NEOShield" erforscht, was man gegen Asteroiden unternehmen könnte. Können wir uns schützen?
Vielversprechend ist zum Beispiel der "kinetische Impaktor": Man schießt eine Sonde auf den Asteroiden und erreicht eine minimale Änderung seiner Bahn, sodass er die Erde verfehlen würde - er käme "zu spät" oder "zu früh". Aber Asteroiden sind schwierig zu treffen - sie bewegen sich um die Sonne mit Geschwindigkeiten von etwa 30 Kilometern pro Sekunde oder 180.000 Stundenkilometern. Eine Herausforderung dabei ist, dass in den letzten Minuten vor dem Aufschlag alles "autonom" funktionieren müsste, also ohne Kommandos von der Erde, weil die zu lange brauchen würden, um die Sonde zu erreichen.
Das hört sich wagemutig an …
Eine Alternative wäre die "Schleppseil-Methode": Man hält eine Sonde in konstantem Abstand vor dem Asteroiden. Durch die sehr schwache Anziehungskraft zwischen den beiden Objekten könnte die Sonde den Asteroiden "abschleppen". Das könnte zehn Jahre oder länger dauern und alles müsste sehr zuverlässig funktionieren - sonst würde sich nur der Einschlagspunkt auf der Erde verändern.
Auch das hört sich nicht nach einer sicheren Lösung an.
Deshalb wird weiter geforscht. Wir lernen immer mehr über die Asteroiden und ihre Bahnen. Das führt uns zurück zu "Bennu": Die Forschungssonde OSIRIS-REx hat ihn aus nächster Nähe fotografiert, umkreist ihn jetzt und wird auch landen und Proben entnehmen. Und 2022 wird eine NASA-Mission erstmals versuchen, die Bahn eines kleinen Asteroiden zu ändern - es geht um den kleinen Mond des Asteroiden "Didymos". Eine Sonde wird auf "Didymoon" aufschlagen und so seine Bahn beeinflussen. Wir können die Bahnänderung von der Erde aus mit Teleskopen messen. Mit einer europäischen Sonde, die ein paar Jahre später starten soll, könnten wir den Einschlagkrater sehen und vermessen.
Wie viele Asteroiden sind erdnah unterwegs?
900 bis 1.000 Objekte haben die kritische Größe von mehr als einem Kilometer. Aber schon ab 50 Metern müsste man im Fall einer gefährlichen Annäherung über Abwehraktionen nachdenken. Davon gibt es etwa eine halbe Million. Statistisch gesehen trifft alle tausend Jahre einer von ihnen die Erde.
Vor einigen Jahren ging einer über Russland nieder …
Das war der vielleicht merkwürdigste Tag meiner Karriere: Wir haben an diesem Tag eigentlich auf den Asteroiden "Duende" gewartet, der in 28.000 Kilometern Entfernung an der Erde vorbeiflog. Das hat er auch gemacht. Aber viel sensationeller und völlig unerwartet war dann dieser etwa 20 Meter große Asteroid, der in 25 Kilometern Höhe über Tscheljabinsk in der Atmosphäre explodiert ist. Er war der größte Asteroid seit über hundert Jahren, der die Erde erreicht hat - und wir hatten ihn nicht bemerkt.
Was hat er angerichtet?
Viele der 1.500 Verletzten kamen zu Schaden, weil sie die Explosion gesehen haben und ans Fenster gegangen sind. Dann sind etwa eine Minute später durch die Druckwelle die Scheiben zersplittert, so entstanden viele Verletzungen. Auch einige tausend Gebäude wurden beschädigt.
Warum kam er unbemerkt?
Wir haben ihn nicht kommen sehen, weil er aus dem Tageshimmel kam. Asteroiden werden am Nachthimmel mit Teleskopen entdeckt. Die kleinen sehen wir manchmal erst, wenn es schon zu spät sein. Aber klein bedeutet ja auch "nicht so gefährlich." Und mittlerweile scannen ein paar speziell angefertigte Teleskope ständig den Himmel nach kleinen Asteroiden ab. Normalerweise können wir dann eine oder zwei Wochen vorher warnen. Im Fall von Tscheljabinsk hätte es gereicht, wenn die Menschen sich im Keller versteckt hätten – und wenn sie vor allem nicht ans Fenster gegangen wären.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.