Er war einer der berühmtesten Köpfe des 20. Jahrhunderts: Heute vor 75 Jahren starb Sigmund Freud. Der Vater der Psychoanalyse hatte aber auch einige Ideen, die aus heutiger Sicht mehr als schräg erscheinen. Wir stellen die fünf Skurrilsten vor.

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Seinen Namen kennt wohl jeder, viele seiner berühmten Thesen haben die meisten zumindest dem Namen nach schon gehört – zum Beispiel "Es, Ich und Über-Ich", "Ödipus-Komplex" oder "Freudsche Versprecher". Der weltberühmte Arzt und Psychoanalytiker Sigmund Freud starb am 23. September 1939 in London durch Sterbehilfe. Der 83-Jährige war krebskrank und ließ sich von seinem Arzt eine tödliche Dosis Morphium verabreichen.

Schon damals waren viele von Freuds Ideen umstritten – und sind es heute noch. Das liegt auch daran, dass der Österreicher nie richtig wissenschaftlich gearbeitet hat. Statt groß angelegte Studien mit vielen Versuchspersonen zu machen, entwickelte Freud seine Thesen aus einer kleinen Menge von Patienten – die auch noch zufällig zu ihm zur Behandlung nach Wien gekommen waren. Einige davon kannte er sogar nur vorm Hörensagen. Andere Ideen entstanden durch Selbstbeobachtung, etwa der Ödipuskomplex.

Unbestritten sind Freuds Verdienste bis heute. Unter anderem entwickelte er die Idee des Unbewussten und beschäftigte sich in einer prüden Zeit mit der Rolle der Sexualität für den Menschen. Aber Freud entwickelte auch so manche aus heutiger Sicht schräge These. Fünf seiner skurrilsten Ideen haben wir gesammelt:

Der Ödipuskomplex

Freud glaubte, dass jeder Junge zwischen drei und fünf Jahren unbewusst seine Mutter sexuell begehrt. Das verdrängt das Kind zwar, konkurriert aber trotzdem mit dem Vater um die Gunst der Mutter. Deshalb will, so Freud, der Junge eigentlich den Vater töten, damit er seinen Platz einnehmen kann. Gleichzeitig hat das Kind Schuldgefühle und fürchtet sich vor Bestrafung – nämlich der Kastration durch den Vater.

Der Name "Ödipuskomplex" bezieht sich auf eine griechische Sage: Ödipus hatte, ohne es zu wissen, im Krieg seinen Vater getötet und später seine Mutter geheiratet.

Freud gründete diese Theorie auf eigenen Erfahrungen. Er hatte seine Träume und seine Erinnerungen durchforstet. Dabei fiel ihm auf, dass er als kleiner Junge in seine Mutter verliebt und eifersüchtig auf seinen Vater gewesen war. Als weiteren Beleg führte er den Fall des "kleinen Hans" auf: Dessen Geschichte kannte Freud aber wohl nur durch dessen Vater. Hans hatte einen Unfall gesehen, bei dem ein Pferd hinfiel. Das Kind bekam Angst vor Pferden, was die Mutter auf den Unfall zurückführte. Der Vater glaubte aber, dass die Angst mit sexuellen Phantasien über die Mutter und Hass auf den Vater zusammenhing. Die Pferde waren demnach ein Symbol für den Vater. Von Pferdephobie auf sexuelle Phantasien zu schließen - aus heutiger Sicht klingt das reichlich merkwürdig.

Der Ödipuskomplex wurde von anderen Psychoanalytikern wie Alexander Mitscherlich und Erich Fromm denn auch stark relativiert. Sie glauben zwar daran, dass es einen solchen Komplex gibt. Fromm interpretiert ihn aber weniger sexuell motiviert, sondern als Rebellion gegen die Autorität des Vaters.

Der Penisneid

Jedes Mädchen ist neidisch, weil es keinen Penis besitzt. Davon war Freud so überzeugt, dass er aus der These des "Penisneids" gleich mehrere Erklärungen für das Verhalten von Frauen ableitete – die allesamt reichlich schräg anmuten. Weil ihnen offensichtlich etwas fehlt und sie das unbewusst bedauern, sind sie eifersüchtiger als Männer. Auch beim Geschlechtsverkehr wollen sie den Penis des Mannes eigentlich selbst besitzen. Und der Wunsch nach einem Kind ist eigentlich der Wunsch nach einem eigenen Penis. Frauen, die sich nicht weiblichen Rollenmustern entsprechend verhalten, wollen einfach nicht einsehen, dass sie keinen Penis haben.

Für diese Thesen wurde Freud schon früh angegriffen. Denn er geht davon aus, dass Männlichkeit der Normalfall und Weiblichkeit ein Sonderfall sei. Frauen sind für ihn nur eine Art kastrierte Männer. Wissenschaftlich bewiesen ist diese These – wie die anderen Freuds – sowieso nicht.

Die psychosexuelle Phase und ihre Folgen

Jedes Kind hat unbewusste sexuelle Gefühle, das stand für Freud fest. Seiner Ansicht nach durchläuft jedes Kind bestimmte Phasen, die mit der Dominanz bestimmter Körperzonen zusammenhängen. Bis zum zweiten Lebensjahr befinden sich Kinder demnach in der oralen Phase, der Mund ist das wichtigste Instrument zur sexuellen Befriedigung. Das zeigt sich etwa im Nuckeln. Freud war sicher: Störungen in dieser Phase führen bei Erwachsenen zu Depressionen oder Schizophrenie, oder, nicht ganz so drastisch, zu übermäßigem Essen und Trinken sowie Rauchen. Interessanterweise war Freud selbst ein starker Raucher. Mehr als 20 Zigarren pro Tag soll er geraucht haben – und erkrankte später an Gaumenkrebs. Mehr als 30 Operationen musste er deshalb über sich ergehen lassen.

Danach folgt die anale Phase, die bis zum dritten Lebensjahr dauert. Das Kind fühlt sich befriedigt, wenn es Exkremente ausscheidet – oder sie zurückhalten kann. Wenn in dieser Phase etwas schiefläuft, wird jemand später geizig und pedantisch, glaubte Freud.

Die dritte Phase, die phallische, hält bis zum fünften Lebensjahr an. Das Kind interessiert sich laut Freud jetzt vor allem für die Erforschung des eigenen Körpers. Hier entsteht auch der Ödipuskomplex. Wenn er nicht überwunden wird, führt er nach Freud zu einer Ablehnung der eigenen Geschlechterrolle oder einer Identifizierung mit dem anderen Geschlecht.

Die frühkindlichen Phasen waren für Freud streng abgegrenzt – und allein dies ist für Wissenschaftler heute nicht mehr haltbar. Aber auch die Folgen für Erwachsene sind keineswegs belegt.

Versprecher offenbaren Unbewusstes

Eine von Freuds berühmtesten Ideen hat sich bis heute im allgemeinen Sprachgebrauch erhalten: der "Freudsche Versprecher". Demnach steckt hinter jedem Versprecher immer ein tieferer Sinn, nämlich der eigentliche Gedanke des Sprechers. Ein Beispiel von Freud selbst: Ein Mann berichtete von Vorgängen, die er nicht richtig fand. Dann sagte er, es seien "Tatsachen zum ‚Vorschwein‘ gekommen". Freud war sicher, dass der Mann Schwein statt Schein sagt, weil er eigentlich an "Schweinereien" dachte. Dass aber in allen Versprechern ein tieferer Sinn verborgen ist, zweifeln viele Wissenschaftler an. Sie gehen bei vielen Versprechern von Zufällen oder Fehlern im Sprachzentrum des Gehirns aus.

Kokain als Allheilmittel

Sigmund Freud war in jungen Jahren ein großer Anhänger von Kokain. Er glaubte, die Droge sei ein Allheilmittel für alle möglichen Krankheiten. Sie sollte unter anderem gegen Hysterie, Syphillis und bei Verdauungsproblemen helfen. Auch als Narkosemittel hielt er die Droge für geeignet. Darum nahm er sie nicht nur selbst ausgiebig ein, sondern verteilte sie auch an Freunde und Familie. Und er schrieb mehrere begeisterte Aufsätze über die wohltuende Wirkung von Kokain. Das entwickelte sich fast schon zur fixen Idee: Freud glaubte, dass mäßiger Genuss zu einem hohen Lebensalter führe, dass die Droge aber nicht abhängig mache. Obwohl Mediziner längst das Gegenteil bewiesen hatten, verharmloste Freud Kokain noch jahrelang in mehreren Aufsätzen. Später lenkte er zwar ein, wollte aber nicht zugeben, dass er unrecht hatte. Lieber schob er die Schuld an seinen falschen Annahmen seiner damaligen Verlobten und späteren Ehefrau Martha in die Schuhe.

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