Das Bernsteinzimmer oder der Genter Altar: Während des Zweiten Weltkrieges raubten die Nazis nicht nur Kunst aus jüdischem Besitz, sondern auch aus Schlössern, Kirchen und Museen. Immer wieder werden einzelne Werke aus der Nazibeute wiederentdeckt - und Experten vermuten noch viele Kulturschätze in Verstecken und im Privatbesitz von Sammlern.
Das Bernsteinzimmer verschwand in 28 Kisten. Nur 36 Stunden hatte Hauptmann Georg Poensgen im September 1941 seinen Handlangern gegeben, dann war das "achte Weltwunder" ausgebaut und bereit zum Abtransport.
Vom Katharinenpalast bei Sankt Petersburg brachten die Nationalsozialisten ihre Beutekunst ins Königsberger Schloss - doch wie ging es danach weiter? Wurde das Bernsteinzimmer zerstört? Sein kostbares Inventar verkauft? Oder liegt es an einem geheimen Ort versteckt - bis heute?
Das Bernsteinzimmer ist nur ein Beispiel. Viele berühmte Kunstwerke wurden von den Nazis versteckt. Bis heute ist nur bei einem kleinen Teil der Schätze bekannt, was aus ihnen wurde. Uns so ranken sich bis heute noch viele Mythen um die Beutekunst aus dem Zweiten Weltkrieg. Fest steht:
Von 1939 bis 1944 plünderten nationalsozialistische Organisationen Schlösser, Bibliotheken, Museen und Privatsammlungen in ganz Europa.
Allein im österreichischen Salzbergwerk Altaussee, das ab 1943 den Nazis als eine Art zentrales Lager diente, brachten sie Kulturgüter von unschätzbarem Wert unter. Zum einen natürlich, damit ihre ursprünglichen Besitzer diese nicht fanden. Zum anderen, um sie vor Bombenangriffen zu schützen.
In Altaussee sollen allein 6.500 Gemälde gelagert worden sein. Darunter Werke von Rubens, Rembrandt, Raffael oder Goya. Ihr Schätzwert: 3,5 Milliarden US-Dollar. Allerdings lagerten unter der Erde auch Kulturgüter, die auf dem offiziellen Markt ohnehin wohl kaum zu verkaufen gewesen wären - zu bedeutend und bekannt sind sie für die Geschichte ihrer Herkunftsländer. Denn im Salzbergwerk lagerten auch die Reichskleinodien aus Wien, die Schätze des Klosters Monte Cassino oder der weltberühmte Genter Altar.
Das Ziel: Hitler wünschte sich ein Führermuseum in Linz. Allerdings hatte er genaue Vorstellungen, was in dieses neue Kunsthaus sollte und was nicht: Er bevorzugte selbst eher Konventionelles, etwa deutsche und österreichische Malerei des 19. Jahrhunderts. Avantgardistische, zeitgenössische Werke diffamierten die Nazis als "entartet", verfolgten ihre Urheber - und verscherbelten deren Werke auf dem internationalen Kunstmarkt, vor allem über die Schweiz. Das Reich brauchte Devisen.
"Wie viele Kulturgüter genau während des Zweiten Weltkriegs geraubt wurden, ist bis heute unklar", sagt Christoph Zuschlag, Professor für Kunstgeschichte an der Universität in Landau. Allerdings müsse man zwischen zwei Kategorien unterscheiden. Vor allem Juden wurden ihre Kunstsammlungen "NS-verfolgungsbedingt entzogen", ihre Werke gelten heute als Raubkunst. Das Bernsteinzimmer hingegen sei als Beutekunst einzuordnen, die im Kriegstumult geraubt wurde.
Bei Enteignungen, Zwangsverkäufen und Plünderungen gingen die Nazis gezielt vor, um etwa Hitlers geplantes Museum zu bestücken. Aber sie entdeckten auch Wertvolles eher zufällig, wie etwa den Genter Altar, den die Franzosen im Schloss Pau eingelagert hatten. Für das wohl bekannteste Gemälde der Welt interessierten sich die Nazis allerdings nicht: Aus Angst vor Zerstörung wurde die Mona Lisa einige Zeit in die Abtei Loc-Dieu bei Villefranche-de-Rouergue gebracht. Angeblich kannten die Nazis dieses Versteck - und ignorierten es.
Nur wo ist die Beute- und Raubkunst der Nazis heute? Nach dem Krieg wurde ein Großteil der geraubten Kulturgüter der Alliierten an ihre ursprünglichen Besitzer zurückgegeben.
Faktisch gibt es aber noch immer unzählige ungeklärte Fälle. Daher prüfen deutsche Museen bis heute in aufwendigen Forschungsprojekten die Herkunft ihrer Kunst - und mögliche Rückgabeansprüche von Erben jüdischer Sammler. "Es gibt allerdings bis heute kein Gesetz in Deutschland, das zur Herausgabe der Kunst verpflichten würde", erklärt Kunstprofessor Christoph Zuschlag. In Österreich schon: Hier regelt das Kunstrestitutionsgesetz zumindest die Rückgabe von Werken aus Bundesmuseen, die ihren Besitzern in der NS-Zeit entzogen worden waren oder unter Druck hatten verkauft werden müssen.
Der Kunstexperte vermutet, dass sich noch heute Tausende Werke bei Privatleuten befinden. Prominentester Fall: 2012 entdecken Zollfahnder zufällig rund 1.500 Kunstwerke von Picasso, Chagall, Matisse, Liebermann oder Kirchner in der Wohnung von Cornelius Gurlitt, von denen viele als Raubkunst und als verschollen galten. Gurlitts Vater war in der NS-Zeit Kunsthändler gewesen - und als einer der "Haupteinkäufer" für das Hitlermuseum in Linz vorwiegend am Kunstraub in Frankreich beteiligt.
Und der mysteriöse Nazi-Zug, der angeblich in Schlesien unter der Erde schlummert? Könnte er Beute- oder Raubkunst der Nazis enthalten? "Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass dort ein Zug existiert", sagt Christoph Zuschlag. Allerdings glaube er nicht daran, dass dort Kunst zu finden sei. "Wenn dieser Zug überhaupt gefunden wird, dann enthält er wohl eher Gold und Silber."
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