• Um die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, muss der Atmosphäre bereits ausgestoßenes CO2 wieder entzogen werden.
  • Das zeigt ein aktueller Bericht. Er erläutert auch, warum dabei auf neue teilweise umstrittene Technologien gesetzt werden muss.

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Die Klimakrise schreitet immer schneller voran. Trotz jahrzehntelanger Warnungen stoßen die Staaten weltweit noch viel zu viel Kohlendioxid (CO2) aus. Um die globale Erderwärmung überhaupt noch auf 1,5-Grad begrenzen zu können, reicht es daher nicht mehr aus, allein die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das hat schon der neueste Weltklimabericht deutlich gemacht.

Damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch erreicht werden können, muss der Atmosphäre bereits ausgestoßenes CO2 wieder entzogen werden – auch Carbon Dioxide Removal genannt, kurz CDR.

Nun wurde der erste Bericht zum globalen Stand der CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre veröffentlicht. Die Ergebnisse der Analyse zeigen deutlich: Alle untersuchten Staaten, auch Deutschland, hinken in Sachen CDR deutlich hinterher. Pro Jahr werden weltweit nur rund 2 Milliarden Tonnen CO2 aktiv aus der Atmosphäre entnommen – das sei viel zu wenig, heißt es im Bericht.

Stand der CDR-Forschung ist rückständig

"Der Stand von Forschung, Entwicklung und Politik ist hier ähnlich rückständig wie der zu erneuerbaren Energien vor 25 Jahren", stellt Jan Minx vom Klimaforschungsinstitut Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und Mitautor des Berichts fest. Insgesamt haben mehr als 20 Fachleute aus drei Kontinenten an dem Report gearbeitet. Geleitet wurde die Gruppe neben dem MCC auch von der Smith School of Enterprise and the Environment der Universität Oxford.

Über 120 Regierungen haben sich nach Angaben des Berichts das Ziel gesetzt, ihre Emissionen auf Netto null zu reduzieren. Das könne allerdings nur gelingen, wenn CDR zur Ausgleichung von Restemissionen eingesetzt werde, betonen die Forschenden. Aber nur wenige Staaten würden CDR bislang explizit in ihrer Klimapolitik integrieren.

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CDR-Methoden: Aufforstung, Pflanzenkohle, Bioenergie

Doch was genau wird unter CDR-Methoden verstanden?

  • Eines der bekanntesten Verfahren ist die Aufforstung. Mit den neu gepflanzten Bäumen wird CO2 aus der Atmosphäre langfristig gebunden – oft für Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte.
  • Auch mit Pflanzenkohle kann CO2 gespeichert werden. Pflanzen binden CO2 aus der Luft als Kohlenstoff. Wenn trockene Biomassen, zum Beispiel Holzreste, aber auch Pflanzenabfälle, Grünschnitt unter starker Einschränkung von Sauerstoff verkohlt werden, entsteht Pflanzenkohle. Diese kann dann zum Beispiel als Dünger auf dem Acker gestreut oder als Baustoff oder Kunststoffersatz verwendet werden.
  • Ein weiteres CDR-Verfahren ist die Bioenergie mit Kohlenstoffspeicherung (BECCS). Dabei werden gezielt Pflanzen angebaut, die CO2 speichern. Diese werden geerntet und anschließend in Biogasanlagen verbrannt, wobei das anfallende CO2 entzogen und unterirdisch gespeichert wird. Mögliche Nachteile sind laut einer weiteren Studie, die in "Nature Climate Change" erschienen ist, dass für den Anbau der Pflanzen große Landflächen benötigt werden. Das wiederum könne negative Auswirkungen auf die Biodiversität und auf Böden haben.

CCS-Methode: CO2 unterirdisch speichern

Eine weitere Überlegung, die nicht mehr ganz als CDR-Methode gilt, da kein CO2 aus der Atmosphäre entnommen wird, ist die Abscheidung von CO2 aus der Industrie. Das Kohlendioxid soll dann zum Beispiel im Meeresboden gespeichert werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat Anfang des Jahres bereits angekündigt, dass diese unterirdische CO2-Speicherung, auch Carbon Capture and Storage (CCS) genannt, in Deutschland zum Einsatz kommen soll. Dazu soll bald ein Gesetz in die Wege geleitet werden.

Umweltverbände warnen vor möglichen Umweltgefahren. Anstatt die Emissionen endlich zu reduzieren, würden die klimaschädigenden Abgase der Industrien einfach am Grund der Nordsee deponiert werden, kritisiert etwa BUND-Chef Olaf Bandt. "Aber die Meere sind nicht die Müllhalde der Menschheit oder eine Deponie für Klimamüll. CO2 dort zu verpressen ist profitabel für die Gasindustrie, aber bedroht nachweislich den Lebensraum am Meeresboden – denn langfristig sind Leckagen einkalkuliert."

Erste Direct-Air-Capture-Anlagen in Island und in der Schweiz

Eine weitere umstrittene Methode zur CO2-Entnahme ist Direct Air Capture and Carbon Storage, kurz DAC. Dabei wird CO2 direkt aus der Luft gefiltert, um es dann ebenfalls unterirdisch zu lagern oder chemisch zu binden. Die größte Anlage befindet sich derzeit auf Island, eine weitere in Zürich. Beide wurden von dem Start-up Climeworks ins Leben gerufen. Das CO2 aus der Anlage wird in Karbonatgestein umgewandelt. Doch die Technologie, die bereits zum Geoengineering gezählt wird, ist noch extrem teuer und energieintensiv, heißt es im Bericht zum Stand der CO2-Entnahme, Förderungen wären daher notwendig, um die Technologie voranzubringen.

Laut den Autorinnen und Autoren basiert fast die gesamte derzeitige CO2-Entnahme auf konventionellen Methoden, etwa der Aufforstung. Diese Methoden müssen nach den Autoren und Autorinnen des Reports bis 2050 verdoppelt werden – im Vergleich zu 2020 – um auf den 1,5-Grad-Pfad zu gelangen. Doch die Forschenden betonen auch, dass praktisch allen Szenarien neue Entnahmetechnologien, wie Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -speicherung und Direct Air Capture erfordern.

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Einsatz der Technologien muss um das 1.300-Fache steigen

Bislang entfällt derzeit auf all diese neuartigen Verfahren nur ein winziger Teil der weltweiten CO2-Entnahme, nämlich 0,1 Prozent. "Da stehen wir tatsächlich noch total am Anfang", sagt Jan Minx. Um die große Lücke zu schließen, müsste der Einsatz neuer Technologien, die bislang sehr teuer sind, bis zum Jahr 2050 um das 1.300-Fache steigen, haben die Autorinnen und Autoren errechnet.

"Natürlich haben Methoden wie die Aufforstung viel günstigere Verwaltungskosten. Doch die Potenziale der Methode sind eben auch begrenzt. Zum einen wegen der Landfläche. Aber natürlich werden mit den steigenden Temperaturen auch die Wälder vulnerabler und es besteht die Gefahr, dass das CO2 wieder freigegeben wird", meint Mit-Autor Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Es gehe bei der CO2-Entnahme vor allem um die Skalierungsfrage, da hätten die neuen CDR-Technologien großes Potenzial.

Doch die CO2-Entnahme ist kein Allheilmittel, auch das wird ausdrücklich im Bericht betont. Die drastische Emissionsminderung ist weiterhin zwingend notwendig. Laut Bericht können die schnelle CO2-Minderung und effizientere Energienutzung die Abhängigkeit von der CO2-Entnahme sogar begrenzen. Die Rechnung ist simpel: Je weniger Kohlendioxid wir ausstoßen, desto weniger müssen wir anschließend mithilfe der CDR-Methoden wieder der Atmosphäre entnehmen.

Da die Emissionen aber immer weiter ansteigen, steht für die Autorinnen und Autoren fest: Wir kommen um CDR nicht mehr herum. "Wir müssen die CO2-Entnahme erhöhen, indem wir Ökosysteme restaurieren und stärken und neue Entnahmemethoden rasch hochskalieren. Viele Methoden haben Potenzial. Statt uns auf eine oder zwei zu fokussieren, sollten wir ein Portfolio fördern, damit wir schnell auf netto null kommen, ohne uns zu sehr auf eine einzige Methode zu verlassen", sagt Autor Steve Smith von der Smith School of Enterprise and Environment der Uni Oxford.

Wichtige biologische CO2-Speicher: Böden und Moore

So gehören auch biologische CO2-Speicher zu den CDR-Methoden, wie Böden und Feuchtgebiete. Dort werden Blätter, Wurzeln gespeichert. Auch in den Ozeanen sinkt Biomasse, etwa Seegras und Algen, mit gebundenem CO2 auf den Meeresboden und wird zu Meeressediment. Auch diese biologischen Methoden müssten weiter ausgebaut werden, betonen die Forschenden.

Doch gerade was neuartige CDR-Methoden betrifft, muss sich noch einiges tun. Vor allem die kommenden zehn Jahre sind laut den Autorinnen und Autoren entscheidend. Die Innovation habe in diesem Bereich zwar in den letzten zwei Jahren extrem zugenommen, betonen die Forschenden. "Angesichts der Größenordnung, die die CO2-Entnahme-Industrie bis Mitte des Jahrhunderts erreichen muss, besteht jedoch dringender Bedarf an umfassender politischer Anschubhilfe, " sagt Autor Gregory Nemet, Professor an der La Follette School of Public Affairs der University of Wisconsin-Madison

Auch für Oliver Geden steht fest: "CO2-Entnahme ist kein Kann, sondern ein Muss, um das Temperaturziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen." Die wichtigste Botschaft aus dem Bericht an die deutsche Bundesregierung sei: Sie müsse eine Carbon-Removal-Strategie entwickeln. Bislang werden laut Geden im Klimaschutzgesetz nur die konventionellen CDR-Methoden wie Aufforstung berücksichtigt.

"Die Bundesregierung muss sich entscheiden, was sie fördern möchte und muss dafür auch auf EU-Ebene eintreten. Denn die deutsche Klimapolitik ist durch die EU-Politik vorbestimmt", sagt Geden. So würden sich auf EU-Ebene die Fragen stellen: Was für eine Rolle spielt CDR im Emissionshandel? Wie viel investiert man jetzt in die Innovationen? Brauchen wir in Deutschland Demonstrationsanlagen? Welche Technologien oder welche Ansätze favorisieren wir hier eigentlich?

Für gute Entscheidungen und schnelleren Fortschritt benötige man Daten. "Dieser Bericht wird helfen, diese Situation innerhalb der Fachwelt Schritt für Schritt zu verbessern", sagt Minx. Künftig soll der Bericht regelmäßig Fachleute aus Forschung, Politik und Industrie über den Stand der Dinge informieren. Dazu werden die großen Datenmengen und Entwicklungen in vielen Teilen der Welt systematisch erfasst und analysiert.

Verwendete Quellen:

  • The State of Carbon Dioxide Removal Report, 2023
  • Nature.com: The climate change mitigation potential of bioenergy with carbon capture and storage

Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.  © RiffReporter

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