Rostock (dpa) - Rostocker Ostseeforscher wollen den Folgen des Klimawandels mit Hilfe von Fischern auf die Spur kommen. "Wir rüsten gerade die Netze kommerzieller Schiffe mit Sonden zur Sauerstoff- und Salzgehaltsmessung aus", sagt Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei.
Dann können die Forscher seines Instituts und die des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW) an jedem Tag im Jahr die Konzentrationen messen. Denn viel zu wenig ist über die langfristigen Folgen des Klimawandels bekannt. Auch über die Frage, wie sich die sogenannten Todeszonen, also Zonen am Meeresboden ohne Sauerstoff, in der Ostsee entwickeln.
Eines sei klar: Die Veränderung des Weltklimas werde vor der Ostsee und damit vor Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein keinen Bogen machen. Die Auswirkungen werden langfristig zu spüren sein, wie Markus Meier, Chef der Physikalischen Ozeanographie und Messtechnik am IOW, sagt. Denn der Treibhauseffekt folgt physikalischen Gesetzen. Über Zeiträume oder Auswirkungen auf kommende Generationen wollen Meier und Zimmermann aber nicht spekulieren, zu komplex und zu unerforscht ist das biochemische oder physikalische Geschehen.
Meier geht davon aus, dass sich im Jahresmittel die Temperatur des Oberflächenwassers in der zentralen Ostsee von derzeit 8.5 Grad bis zum Zeitraum 2070 bis 2100 auf 10,5 bis 12,5 Grad erhöht. Dabei werden die Änderungen im Norden der Ostsee am stärksten zu spüren sein. "Die Folge: Die eisbedeckte Fläche im Winter ist geringer und die Eisschmelze setzt früher ein." Dadurch werde es im Meer heller, was über verstärkte Photosynthese das Wachstum von Plankton befördert und damit das gesamte Nahrungsnetz beeinflusst.
Der Rückgang der Eises werde zu verstärkter Wellenbildung führen, erklärt Meier. Gleichzeitig werde der globale Wasserspiegel steigen. Er geht von etwa 20 Zentimetern bis zu einem Meter aus, "und da kommen die Sturmfluten noch oben drauf" und fügt hinzu, dass dieser Anstieg eine der größten Unsicherheiten für die Wissenschaft ist. Die mögliche Folge sei, dass die Überflutungsgefährdung tiefer gelegener Küstenbereiche und die Erosion der Steilküsten größer wird. Aber die Frage, wie sich das etwa auf die markanten Kreidefelsen auf Rügen in 70 Jahren auswirken wird, sei derzeit nicht zu beantworten.
"Wir wissen ziemlich gut, welche Folgen der Klimawandel global haben wird. Doch je mehr wir ins Detail gehen, desto weniger sind die Wirkungen abzuschätzen", verdeutlicht Zimmermann. So hätten schwedische Forscher vor zwei Jahren publiziert, dass sich in der Ostsee die Todeszonen ausbreiten. Allerdings gebe es Studien mit gegenteiligen Ergebnissen. Die Messungen mit den Sonden an den Fischernetzen, die dank Satellitentechnik sofort an das IOW gesendet werden, sollen nun ein bisschen mehr Klarheit verschaffen.
Eine Konsequenz von verändertem Salzgehalt in der Ostsee, die durch größere Süßwasserzufuhr durch Flüsse und möglicherweise veränderte Häufigkeit von Salzwassereinströmen verursacht sind, wird der Wandel in den Lebensbedingungen für den Dorsch sein. Für dessen Brut werde es schwierig, denn die ist im Gegensatz zu den erwachsenen Tieren auf ganz bestimmte Salzkonzentrationen angewiesen, sagt Zimmermann. Weniger Brut heißt später weniger Fische in den Netzen. Hat die Dorschfischerei eine Zukunft? Eine Frage, die vielleicht in 50 Jahren von Bedeutung sein kann, sagt Zimmermann.
Politiker sind aber auf die Voraussagen der Wissenschaft angewiesen, wissen die Forscher. Theoretisch sei es noch möglich, die globale Erderwärmung auf unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten. Dieses Ziel wurde auf der UN-Klimakonferenz in Paris im vergangenen Dezember festgelegt.
"Auf die Zeit vor 1850 kommen wir aber in absehbarer Zeit nicht zurück", sagt Meier. Aber das heute vorhandene Wissen sei groß genug, um notwendige Dinge in Gang zu bringen. So könne die Politik veranlassen, Öl zugunsten erneuerbarer Energien ganz zu verbannen. Und jeder Einzelne könne bei sich anfangen und seinen persönlichen Energieverbrauch senken. © dpa
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