Hochwasser, Dürren, extreme Stürme: Wir sehen lethargisch dabei zu, wie ein Wetterextrem das nächste einholt. Schluss damit: Wir müssen endlich unsere Strategie ändern.
Ein Blick aus meinem Wohnzimmerfenster in Berlin: Es regnet schon wieder. Seit Tagen herrscht Land unter in vielen Teilen Deutschlands. Noch immer steht fast ganz Niedersachsen unter Wasser. Hunderte Menschen mussten evakuiert werden. Auch Teile Nordrhein-Westfalens, der Süden Sachsen-Anhalts und der Norden Thüringens sind besonders stark von den Überschwemmungen betroffen.
Mit dem Klimawandel nehmen Extremwetterereignisse zu
Reporterinnen und Reporter stehen knietief im Wasser und berichten aus den überfluteten Gebieten über die zahlreichen Bewohnerinnen und Bewohner der Regionen, die ihr Hab und Gut verloren haben. Über deutsche Fernseh- und Handybildschirme laufen Bilder von Menschen, die Sandsäcke transportieren und sich gegenseitig helfen. Doch was der Klimawandel mit der ganzen Lage zu tun hat, wird oft nicht erwähnt.
Dabei warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahren, dass mit den steigenden globalen Temperaturen auch die Anzahl und die Intensität von Wetterextremen wie Starkregen zunehmen. Das Prinzip dahinter ist simpel: Wärmere Luft speichert mehr Feuchtigkeit – etwa sieben Prozent mehr pro Grad Erwärmung – und damit werden auch die Niederschlagsmengen tendenziell größer. Mit dem Klimawandel werden eben solche dramatischen Hochwasserlagen, wie wir sie derzeit erleben, daher immer öfter auftreten.
Doch der Klimawandel ist nie die alleinige Ursache für Wetterextreme – auch nicht im Fall des aktuellen Hochwassers. Eine Vielzahl von Faktoren spielt eine Rolle, unter anderem, dass viele Fließgewässer in Deutschland in der Vergangenheit begradigt, Moore und Auenflächen trockengelegt und zahlreiche Flächen versiegelt wurden. Es gibt also viel weniger natürliche Überschwemmungsflächen, wo das Wasser versickern kann.
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Hochwasser und Klimawandel: Ist das jetzt das neue Normal?
Nach der Jahrhundertflut im Ahrtal 2021 sehen wir jetzt schon wieder eine extreme Flutsituation. Und ich frage mich: Wie viele solcher Ereignisse brauchen wir noch in einem Jahrzehnt, damit die meisten Menschen endlich begreifen: Ja, der Klimawandel hat etwas damit zu tun.
Viele Medien betonen diese Verbindungen leider kaum. Die Bedeutung von Hochwasserschutzmaßnahmen, wie das Wiedervernässen von Mooren oder die Renaturierung von Flüssen, wird viel zu selten thematisiert. Auch die enormen Kosten der Umweltschäden werden leider noch zu oft ausgeblendet. Dafür wird von Medien und Politik immer wieder die Frage gestellt: Wie viel kostet uns diese und jene Klimaschutzmaßnahme? Dabei steht doch längst fest: Die Folgen des Klimawandels werden sehr viel teurer sein als der Klimaschutz. Die aktuelle Hochwasserlage macht das wieder einmal mehr als deutlich.
2023 war das wärmste Jahr seit 125.000 Jahren
Das vergangene Jahr hat offensichtlicher denn je gezeigt, dass der Klimawandel längst unser Leben beeinflusst. 2023 war ein Jahr der Extreme: Es gab verheerende Waldbrände in Kanada und im Mittelmeerraum. Im September kam es zu schweren Überflutungen in Südosteuropa und Nordafrika. 2023 war in Deutschland außerdem das wärmste Jahr seit Messbeginn 1881. Auch die ungewöhnlich hohe Oberflächentemperatur der Ozeane war mehr als besorgniserregend.
Doch weder schafften es die Ozeantemperaturen auf die Titelseiten der Zeitungen noch in die Brennpunktberichte der öffentlich-rechtlichen Medien. Und dass 2023 vermutlich das wärmste seit 125.000 Jahren war, fand auch nur wenig Beachtung in den Medien. Die Nachricht tauchte auf und verschwand gleich darauf wieder. Der große Aufschrei blieb aus.
Ein Grund hierfür ist sicherlich auch, dass es derzeit genug Schreckensmeldungen gibt, die uns beschäftigen. Wir sind erschöpft von all den Krisen und Kriegen, das merke ich an mir selbst. Ein Temperaturrekord schockt eben nicht mehr, wie er es eigentlich tun sollte. Und mich erschreckt teilweise, wie desinteressiert und emotionslos ich selbst oft auf eben jene Meldungen reagiere. Ich bin damit sicherlich nicht alleine.
Großer Aufholbedarf im Verkehrs- und Gebäudesektor
Das Gute ist: Das Jahr 2024 hat gerade erst angefangen und hier liegt auch eine Chance. Wir können entweder weiterhin lethargisch dabei zusehen, wie ein Wetterextrem das nächste einholt. Oder wir ändern unsere Strategie und nehmen uns vor, dass 2024 das Jahr des Klimaschutzes wird.
Dafür ist in erster Linie die Politik gefragt, die endlich dringend notwendige sozialverträgliche Klimaschutzmaßnahmen umsetzen muss. Gerade im Verkehrs- und Gebäudesektor besteht enormer Aufholbedarf. Doch damit Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden können, braucht es auch die Zustimmung aus der Bevölkerung. Und dafür müssen mehr Menschen verstehen, wie der Klimawandel Wetterextreme wie Hochwasser beeinflusst, warum bestimmte Maßnahmen wie die Wiedervernässung von Mooren oder die Entsiegelung von Flächen so wichtig sind.
Klar tragen hier vor allem die Medien eine große Verantwortung. Und die Klimaberichterstattung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Doch es gibt Luft nach oben. Und auch jede und jeder Einzelne kann bei Wetterextremen, wie beim aktuellen Hochwasser, den Zusammenhang zum Klimawandel aufzeigen – ob in der Schule, bei der Arbeit, in der Familie. Nur wenn wir den Klimawandel konsequent bei Extremwetterereignissen benennen, kann auch die Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen verstanden werden. Mehr Aufklärung in der Klimakrise, eine bessere Kommunikation – ein sinnvoller Vorsatz für das neue Jahr, der Wirkung zeigen könnte. © RiffReporter
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