Wenn der Mensch in den Lebensraum von Tieren eindringt, kann das für Tiere und Menschen schlecht sein. Eine größere Nähe von Mensch und Tier macht es Krankheitserregern leichter, vom einen auf den anderen überzugehen.
Noch immer ist nicht hundertprozentig geklärt, welches Tier der Reservoir-Wirt des Coronavirus SARS-CoV-2 ist. Laut Experten spricht viel für Fledermäuse, weil sie zahllose Corona-Virenarten in sich tragen und eine enge Verwandtschaft eines Fledermaus-Coronavirus zu SARS-CoV-2 bei Menschen festgestellt wurde. Vermutlich gab es einen Zwischenwirt, vielleicht ein Schuppentier, mit dem es das Virus auf einem chinesischen Tiermarkt bis zum Menschen geschafft hat.
Krankheiten, die von einem Tier auf den Menschen übergehen (oder umgekehrt), nennen Fachleute "Zoonosen". Zoonosen hat es in der Menschheitsgeschichte schon immer gegeben. Wo immer Arten aufeinander treffen, tauschen sie unter Umständen auch Krankheitserreger aus. Ob Influenza-Viren, Ebola, das SARS-Virus von 2002/2003, MERS, die Schweinegrippe oder auch BSE und Ehec - all diese Viren oder Bakterien entwickelten sich zuerst in Tieren.
Coronavirus: Mehr Pandemien als früher?
Dabei sind sowohl die Wirtstiere als auch die Übertragungsarten unterschiedlich. Bei BSE und Ehec sind die Wirtstiere Wiederkäuer wie Rinder oder Schafe, bei Ebola und dem alten SARS Fledermäuse oder Flughunde. Manche Erreger müssen direkt übertragen werden, zum Beispiel durch Bisse. Andere gelangen über Kot, Urin oder Speichel an Zwischenwirte oder direkt an den Menschen. Bei wieder anderen reicht eine Berührung, manche müssen zusammen mit dem Wirt gegessen werden.
Bekannte Epidemien und Pandemien des 20. Jahrhunderts sind die Spanische Grippe (1918-1920), die Asiatische Grippe (1957), die Hongkong-Grippe (1968), SARS (2002/2003), die Schweinegrippe (2009) und MERS (2012). Die Zeiträume zwischen einzelnen Epidemien oder Pandemien scheinen immer kürzer zu werden. "Scheinen", weil sich das laut Experten wie dem Präsidenten des Friedrich-Loeffler-Instituts, Thomas Mettenleiter, und dem Epidemiologen Martin Pfeffer von der Universität Leipzig, nicht nachweisen lässt. "Ob es heute mehr Epidemien gibt als vor einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten, können wir nicht sicher sagen. Klar ist aber, dass sie heute besser entdeckt werden können", sagte Mettenleiter im Gespräch mit unserer Redaktion.
Der Mensch drängt sich auf
Menschliches Verhalten spielt aber bei der Ausbreitung solcher Erreger durchaus eine Rolle. Nicht nur, dass es riskant sein kann, verschiedene Wildtiere mit verschiedenen Erregern auf einem Markt zu versammeln und dort frisch zu schlachten. Auch die Zerstörung von Lebensräumen von Tieren erhöht nach Meinung vieler Experten das Zoonosen-Risiko.
Erreger wie das West-Nil- oder das Usutu-Virus zirkulieren zum Beispiel in Vögeln und werden durch Stechmücken übertragen. Bei anderen Viren bilden kleine Säugetiere und Insekten einen solchen Kreislauf. Für den Menschen bleibt es so lange unbedenklich, bis dieser Kreis durchbrochen wird. Genau das kann aber passieren, wenn Wälder großflächig abgeholzt werden.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 kamen Ebola-Epidemien in Zentral- und Westafrika häufiger dort vor, wo gerade Wälder gerodet worden waren, schreibt die Wissenschaftsjournalistin Sonia Shah. Eine andere Untersuchung hat sich über vier Jahre ein kleines Regenwald-Gebiet auf der Insel Borneo angesehen, wo die Bewohner für ihre Landwirtschaft Bäume fällen. Demnach kam ein bestimmter Malaria-Erreger umso häufiger vor, je größer die Fläche war, die gerodet wurde.
Weitere Studien zu Malaysia sowie für Brasilien legen einen Zusammenhang zwischen dem Aufkommen von Zoonosen und dem Abholzen von Wäldern etwa für Plantagen nahe. Ein eindeutiger Nachweis ist schwierig, weil sich der Zusammenhang zwar beobachten lässt, die Kausalität dadurch jedoch nicht automatisch bewiesen wird.
Unmittelbarer wird das Risiko einer Zoonosen-Infektion, wenn Tiere, weil sie ihres Lebensraumes beraubt wurden, aus Wäldern auf Grundstücke von Menschen kommen - oder wenn Menschen sich zunehmend in tierischen Habitaten aufhalten. "Heutzutage gehen mehr Menschen im Wald spazieren als früher. Dadurch kommen sie häufiger mit Parasiten wie dem Fuchsbandwurm oder mit Insekten und Zecken in Kontakt, die Erreger übertragen", sagte Martin Pfeffer zu unserer Redaktion.
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Für eine Pandemie braucht es mehr als einen Kontakt
Der Erstkontakt ist aber nur ein Aspekt einer Epidemie oder Pandemie. Ob es zu einer Ausbreitung kommt, hängt davon ab, wie ansteckend der Erreger ist und an wie viele Menschen er in der Folge weitergegeben wird. "Da kommen die Urbanisierung und die Globalisierung ins Spiel: Viele Menschen an einem Ort und viele Menschen, die viel herumkommen - das führt zur Verbreitung eines Virus", sagt Thomas Mettenleiter. Martin Pfeffer formuliert es so: "Die Welt ist heutzutage ein Dorf. Da sind Pandemien praktisch vorprogrammiert."
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Professor Thomas Mettenleiter, Biologe und Virologe, Präsident des Friedrich-Löffler-Instituts, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit
- Telefoninterview mit Professor Martin Pfeffer, Epidemiologe am Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen an der Universität Leipzig
- The Nation: Think Exotic Animals Are to Blame for the Coronavirus? Think Again.
- The Scientist: Deforestation Tied to Changes in Disease Dynamics
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