• Pathologischer Jähzorn oder Psychosen müssen nicht unbedingt angeboren oder erlernt sein.
  • Möglicherweise zieht ein Parasit im Hintergrund die Strippen.
  • Der mutmaßliche Täter ist kein Unbekannter.
  • Er steht schon länger im Verdacht, im Gehirn Prozesse auszulösen, die zu neuropsychischen Erkrankungen wie Depressionen und Schizophrenie führen.

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Jähzorn, Leichtsinnigkeit, Wahnvorstellungen – ändert sich das Verhalten von Menschen, führt der Weg oft zum Psychologen. Was viele vielleicht nicht ahnen: Hinter den Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Erkrankungen kann eine Infektion mit dem einzelligen Parasiten Toxoplasma gondii stecken. Gefährdet sind insbesondere Schwangere und Personen mit geschwächtem Immunsystem. Verschiedene Studien legen dies nahe.

So sieht eine dänische Untersuchung aus dem Jahr 2019 einen Zusammenhang zwischen einer Toxoplasma-gondii-Infektion und Schizophrenie. Dabei handelt es sich um eine Psychose, die unter anderem mit Realitätsverlust und Wahnvorstellungen einhergehen kann. Die Forscher um Kristoffer Sølvsten Burgdorf vom Universitätsklinikum Rigshospitalet in Kopenhagen werteten dafür die Kohortenstudie "Danish Blood Donor Study" mit mehr als 80.000 Teilnehmern aus.

Sie stellten fest, dass 2.591 davon unter psychischen Störungen litten. Eine Blutanalyse ergab, dass mit Toxoplasma gondii infizierte Menschen fast doppelt so oft an Schizophrenie-Erkrankungen litten. Sie kommen daher zu dem Schluss, dass eine Infektion ursächlich sein kann. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift "Brain, Behaviour and Immunity".

Eine weitere Studie, die im "Journal of Clinical Psychiatry"* veröffentlicht wurde, stellt zudem einen Zusammenhang zwischen pathologischem Jähzorn (IED; Intermittent Explosive Disorder) und einer Infektion mit dem Parasiten fest.

Weitere Untersuchungen gaben Hinweise darauf, dass Toxoplasma gondii mit psychischen Auffälligkeiten wie bipolarer Störung in Zusammenhang stehen könnte. So kam eine tschechische Studie zu dem Ergebnis, dass infizierte Männer häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt sind. Eine dänische Forschergruppe wiederum vermutet eine erhöhte Selbstmordrate bei befallenen Frauen.

Mäuse verlieren Furcht vor Katzen

In Tierversuchen fanden Wissenschaftler heraus, dass der Parasit bei infizierten Mäusen "erstaunliche Verhaltensänderungen" auslöst. Sie hatten ihre natürliche Furcht vor Katzen verloren. Der Erreger machte die Mäuse generell neugieriger und weniger ängstlich, wie eine Studie aus dem Jahr 2020 zeigt. Deshalb werden sie leichter Beute für Katzen.

Die bisher verbreitete Annahme, der Erreger manipuliere Mäuse, so dass sie sich vom Duft einer Katze angezogen fühlten, sei dagegen überholt, schreibt eine Gruppe um Ivan Rodriguez und Dominique Soldati-Favre von der Universität Genf im Fachjournal "Cell Reports".

Die infizierten Mäuse änderten auch ihr Sozialverhalten. In einem Raum mit einer anderen Maus, einem Metallwürfel mit Löchern und einem Apfel erkundeten sie die Maus und die Gegenstände gleichermaßen. Uninfizierte Mäuse hatten hingegen eine deutliche Vorliebe für die andere Maus.

Eine Analyse, welche Hirnareale vom Erreger befallen werden, zeigte unterschiedliche Verteilungsmuster, auch wenn meist das Sehzentrum und andere Regionen der Hirnrinde betroffen waren. Mit genetischen Analysen fanden Rodriguez und Kollegen dann bei den infizierten Mäusen vermehrt Entzündungen von Nervengewebe. Zudem wiesen sie nach, dass spezielle Proteine, die der Erreger produziert, entscheidend für diese Entzündungen sind.

Die Verhaltensänderungen waren umso größer, je höher die Zahl der Erreger war. "Insgesamt deuten die Ergebnisse eher auf eine durch neuronale Entzündung vermittelte Verhaltensmanipulation hin als auf eine direkte Störung bestimmter Nervenpopulationen durch den Parasiten", sagt Rodriguez.

Die Symptomatik beim Menschen sei allerdings nicht mit der von Mäusen vergleichbar, sagt die Genfer Studienleiterin Soldati-Favre. "Auch wenn anscheinend subtile Verhaltensänderungen bei Menschen auftreten können, dürften die Entzündungsreaktionen im menschlichen Gehirn niemals das gleiche Ausmaß erreichen wie bei im Labor infizierten Mäusen."

Wie gelangt der Parasit ins Gehirn?

Toxoplasma gondii ist einer der weltweit am meisten verbreiteten Parasiten. Ungefähr 30 Prozent der Menschen tragen ihn in sich. Eine Untersuchung des Robert-Koch-Instituts (RKI) ergab 2016, dass jährlich mehr als 4.000 schwangere Frauen eine Toxoplasmose durchmachen und mehr als 300 Neugeborene mit Symptomen wie etwa neurologischen Problemen zur Welt kommen.

Bei den meisten Infizierten treten demnach keine offenkundigen Symptome auf, bei immungeschwächten Menschen kann es laut RKI aber zu Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen kommen.

Im Grunde ist der Mensch aber nur Zwischenwirt. Hauptwirt des Parasiten ist die Katze. Nur in deren Darm kann sich der Erreger vermehren. Anstecken können sich Menschen und andere Tiere über den Katzenkot. Dabei reicht es offenbar schon aus, das Klo zu reinigen.

Aber auch über rohes Obst und Gemüse kann man sich anstecken. Daher sollte dieses immer vor dem Verzehr gründlich gewaschen werden. Weitere Quellen sind nicht gut durchgegartes Fleisch und kontaminiertes Wasser. Überdies überleben die Toxoplasmen in feuchter Erde.

Zunächst gelangt der Parasit in Magen und Darm, wo er die Zellwände passiert. Wie aber überlistet er die Blut-Hirn-Schranke, die normalerweise das Eindringen fremder Stoffe verhindert? Wissenschaftler der Universität Stockholm fanden heraus, dass Toxoplasma gondii die Torwächter des Immunsystems, die weißen Blutkörperchen, manipuliert beziehungsweise kapert. Diese werden quasi als Trojanisches Pferd genutzt, um ins Hirn zu gelangen und sich dort einzunisten.

Parasit nistet sich im Gehirn ein – für immer

Hat sich Toxoplasma gondii erst einmal im Gehirn festgesetzt, wird man ihn nicht mehr los. "Es gibt noch keine Therapie, um den Parasiten wieder loszuwerden (...) Wer also einmal infiziert ist, bleibt das ein Leben lang", erklärt Professorin Ildiko Rita Dunay, Leiterin des Instituts für Inflammation und Neurodegeneration. Folglich ist auch die Verhaltensänderung dauerhaft.

Geprüft wird nun das Antibiotikum Sulfadiazin zur Therapie. Erste Ergebnisse der Experten lassen hoffen. Demnach sei die Proteinzusammensetzung in Mäusegehirnen nach einer Sulfadiazin-Behandlung vergleichbar mit der von nicht infizierten Artgenossen. "Alle untersuchten Proteine (...) waren wieder im Normalbereich. Und auch die Entzündungsaktivität ging messbar zurück", erklärt der Psychiater und Neurowissenschaftler Björn Schott vom Helmholtz-Zentrum. Diese Ergebnisse könnten für die Behandlung von Menschen relevant sein.

Einen anderen Ansatz verfolgen Forscher der Universität Glasgow. Sie entdeckten eine Gruppe von Schlüsselenzymen, die für den Parasiten überlebenswichtig sind. Sie arbeiten nach Angaben der "Ärzte Zeitung" bereits an der Entwicklung eines Medikamentes.

* Neuropsychologen der Universität Chicago untersuchten dafür 358 Erwachsene. Bei einem Drittel war krankhafter Jähzorn diagnostiziert. In dieser Gruppe waren mehr als doppelt so viele Menschen vom Parasiten befallen als in der Vergleichsgruppe.

Verwendete Quellen:

  • Robert-Koch-Institut: Vorkommen und Bedeutung von Toxoplasma gondii in Deutschland
  • Brain, Behavior, and Immunity: Large-scale study of Toxoplasma and Cytomegalovirus shows an association between infection and serious psychiatric disorders
  • Journal of Neuroinflammation: Chronic Toxoplasma infection is associated with distinct alterations in the synaptic protein composition
  • PLOS Pathogens: GABAergic Signaling Is Linked to a Hypermigratory Phenotype in Dendritic Cells Infected by Toxoplasma gondii
  • Ärzte Zeitung: Neuer Ansatzpunkt für Therapie bei Toxoplasmose
  • dpa
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