Die Hände eines Menschen sind für Handleser wie Landkarten, in denen sie Hinweise auf Persönlichkeit und Zukunft erkennen wollen. Die Chiromantie ist uralt, heute wird sie allerdings vor allem auf Jahrmärkten praktiziert. Doch auch Wissenschaftler sind sicher, dass sie aus der Beschaffenheit der Hände Rückschlüsse auf Menschen ziehen können.

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Jeder Mensch hat eine Lebenslinie, die zwischen Daumen und Zeigefinger beginnt. Wenn die Linie lang und ausgeprägt ist, soll das ein Hinweis auf körperliche und geistige Vitalität sein. Ist sie kurz, könne das ein Indiz für Probleme sein.

Dass sie das an der Linie erkennen, davon sind Handleser überzeugt. Sie wollen in den Händen sogar das Schicksal und die Zukunft eines Menschen vorhersehen können. Deshalb werden sie auch Chiromantiker genannt, altgriechisch für die Begriffe Hand und Weissagung.

Heute findet man Handleser auf Jahrmärkten, viele bieten ihre Dienste online an. Doch das Interpretieren der Hände hat eine lange Tradition. Auch Wissenschaftler und Ärzte untersuchen, was diese Körperteile über Menschen aussagen können. Dann spricht man von Chirologie.

Die Einzigartigkeit der Hände

Wie kommen Chiromantiker darauf, dass ausgerechnet die Hände etwas über einen Menschen verraten? Das liegt daran, dass sie einzigartig und neben dem Gesicht der am individuellsten ausgeprägte Körperteil sind. Die Rillen an den Fingerkuppen unterscheiden sich bei jedem, deshalb kann man anhand des Abdrucks identifiziert werden. Jede Hand hat zudem weitere unverwechselbare Linien im Handteller. Neben der Lebenslinie sind das vor allem die Kopf-, Herz- und Schicksalslinie.

An ihrer Ausprägung wollen Handleser erkennen, wie kreativ oder rational jemand denkt und ob sein Leben geradlinig verläuft oder ob es Umbrüche gibt. Es kommt darauf an, wie geschwungen, gerade, verästelt oder unterbrochen die Linien verlaufen, ob andere sie kreuzen, wo genau sie starten und enden und wie die Erhebungen auf der Hand aussehen.

Die Herzlinie, die unterhalb des kleinen Fingers beginnt und in Richtung des Zeigefingers verläuft, soll zum Beispiel aussagen, wie jemand zu Gefühlen und Treue steht.

Die ganzheitliche Betrachtung der Hände

Wichtig ist für Chiromantiker, welche Hand sie betrachten: Die rechte sagt angeblich eher etwas über Beruf und Partnerschaft aus. Die linke beschreibt "unsere seelische und private Seite", so der Handleser und Astrologe Manfred Magg auf seiner Webseite. Das gilt aber nur für Rechtshänder, bei Linkshändern soll es komplizierter sein.

Entscheidend sei immer eine "ganzheitliche Betrachtung", heißt es auf der Seite handleser.org. Zuerst schaue sich der Experte beide Hände an und mache sich ein Bild von deren Beschaffenheit, etwa Form, Nägel und Haut. Erst dann wende er sich den Details zu – den Linien und Erhebungen. Handleser hätten die Fähigkeit, das Wesen, den Charakter und die Einzigartigkeit der Person zu erkennen.

Doch "kein seriöser Handleser" könne den Tod oder den Sterbezeitpunkt eines Menschen vorhersagen, so handleser.org.

Die Hände von Prominenten

Schon vor Tausenden von Jahren versuchten Menschen, die Beschaffenheit der Hände zu analysieren und zu interpretieren. In Indien, Tibet, China, Babylonien und Ägypten waren alle, die diese Kunst beherrschten, angesehen. Alexander der Große soll den Charakter seiner Offiziere anhand ihrer Hände untersucht haben. Aus dem Mittelalter sind einige Texte über Chiromantie erhalten – sogar von Mönchen. Und das, obwohl die katholische Kirche die Praxis als heidnischen Aberglauben verdammte.

Zwischen 1550 und 1700 erschienen europaweit Bücher über das Handlesen, an Universitäten gab es sogar Vorlesungen dazu. In England und den USA gründeten sich 1889 und 1897 chirologische Vereinigungen. Der Handleser Cheiro galt Anfang des 20. Jahrhunderts als Star: er sagte angeblich das Sterbedatum von Königin Viktoria voraus. Zu seinen Kunden in London gehörten Mark Twain, Oscar Wilde und der Prinz von Wales.

Sie sind nicht die einzigen Prominenten, die ihre Hände untersuchen ließen. Im 20. Jahrhundert legte die Berliner Handleserin Marianne Raschig eine riesige Sammlung an: Sie nahm die Abdrücke von 2500 bekannten Persönlichkeiten ab, darunter Albert Einstein, Thomas Mann, Theodor Heuss, Bertold Brecht, Igor Strawinski und Hans Albers. Sie war überzeugt, dass Hände ein Spiegel der Seele sind.

Die Pionierarbeit der Ärztin Charlotte Wolff

Das glaubte ebenso die Berliner Ärztin und Wissenschaftlerin Charlotte Wolff. Ab Anfang der 1930er Jahre beschäftigte sie sich mit dem Handlesen – und wurde die bekannteste Chirologin des 20. Jahrhunderts. Ihr Vorgehen war wissenschaftlich, sie hatte kein Interesse daran, die Zukunft oder das Schicksal herauszulesen. Sie glaubte, dass Handlinien von der Persönlichkeit beeinflusst werden.

Nachdem sie als Jüdin und lesbische Frau vor den Nazis fliehen musste, lebte Wolff in Frankreich und England von der Chirologie. 20 Jahre lang forschte sie zum Thema und verglich unter anderem die Hände von Affen im Londoner Zoo mit denen von Menschen. Außerdem beschrieb sie die Hände von Künstlern und Schriftstellern wie Max Ernst, George Bernard Shaw und Virginia Woolf.

Wolff entwickelte eine eigenständige Theorie über die Psychologie von Händen, die sie in vier Büchern festhielt. In einem Interview mit "Psychologie Heute" erklärte sie 1981, dass "kein Zweifel" darüber bestehe, dass "besonders Emotionen, aber auch Intelligenz, schon von Kindheit an dazu führten", dass mit der Hand "eine bestimmte Variation von Bewegungen ausgeführt wird, die sich in den Formen und Linien der Hand irgendwie widerspiegeln".

Für Wissenschaftler heute sind die Finger wichtig

Heute konzentrieren sich Wissenschaftler eher auf die Länge und Ausprägung der Finger. Kanadische Forscher wollen laut sueddeutsche.de herausgefunden haben, dass Männer mit besonders kurzem Zeigefinger stärker zu physischer Gewalt neigen.

Bei Frauen deutet ein kurzer Zeigefinger nach Angaben von britischen Forschern darauf hin, dass sie in Sportarten wie Laufen, Fußball oder Tennis erfolgreich sind.

Rückschlüsse auf den Charakter könne man aus diesen Erkenntnissen aber nicht ziehen, erklären die Forscher. Und auch die Chirologie-Pionierin Charlotte Wolff war sicher: Wer "aus einzelnen Linien das individuelle Schicksal herauslesen will, ist ein Scharlatan."

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