• Edgar Allan Poe gilt als Großmeister der Gruselliteratur.
  • Sein Tod ist so geheimnisumwittert wie viele seiner Geschichten: Niemand weiß, was geschehen ist oder woran er starb.

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Der Mann war völlig verwahrlost und verwirrt. Er trug Kleider, die ihm nicht gehörten, und lag auf der Straße in der Nähe eines Pubs in Baltimore, USA. Der Passant Joseph W. Walker hatte ihn gefunden und einen Arzt verständigt. Erst später stellte sich heraus, um wen es sich bei dem Unbekannten handelte: den Schriftsteller Edgar Allen Poe.

Der Autor kam ins Krankenhaus, doch die Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen. Vier Tage später, am 7. Oktober 1849, starb er. Die offizielle Todesursache ist nicht bekannt, ein Totenschein wurde nicht ausgestellt.

Bevor er auf der Straße gefunden wurde, galt Poe zehn Tage als verschollen: Am 27. September 1849 hatte er seine Heimatstadt Boston verlassen und sich auf den Weg zu seinem Haus in Fordham, New York, gemacht. Die Hochzeit mit seiner Jugendliebe Elmira stand unmittelbar bevor. An seinem Ziel kam der Autor jedoch nie an. Was in der Zwischenzeit passierte, ist ein Rätsel.

Viele Schicksalsschläge und eine merkwürdige Ehe

Zum Zeitpunkt seines Todes war Poe gerade einmal 40 Jahre alt - und hatte ein von Schicksalsschlägen geprägtes Leben hinter sich. Sein Vater verließ die Familie früh, seine Mutter starb, als er zwei Jahre alt war. Mit 15 verliebte er sich in eine ältere Frau, doch auch sie starb.

Seine Pflegemutter und seine erste Frau Virginia musste der Schriftsteller ebenfalls zu Grabe tragen. Das Verhältnis zu seinem Adoptivvater war schwierig: Dieser wollte keinen nichtsnutzigen Dichter in der Familie haben und enterbte ihn.

Poes Ehe mit Virginia war zudem keine gewöhnliche: Er hatte seine Cousine geheiratet, als sie 13 und er 26 Jahre alt war. Fraglich ist, ob sie wirklich eine eheliche Beziehung führten: Die beiden benahmen sich eher wie Bruder und Schwester.

Schon in seiner Jugend soll Poe Alkoholprobleme gehabt haben. Als Schriftsteller schlug er sich mehr schlecht als recht durch. Zwar wurde er mit seinem Gedicht "Der Rabe" bekannter, Geld brachte ihm das aber nicht ein. Zeitgenössische Leser würdigten seine Werke kaum. Und in der Öffentlichkeit war er unbeliebt, weil er Schriftstellerkollegen und Verlage gnadenlos kritisierte.

Eifersüchtiger Kollege wollte Poes Ruf ruinieren

Nach dem mysteriösen Tod des Schriftstellers häuften sich die Fragen: Wo könnte er in den zehn Tagen gewesen sein, die er verschollen war? Und weshalb trug er fremde Kleider? War der Schriftsteller betrunken, als er gefunden wurde? Rief Poe in der Nacht vor seinem Tod mehrfach den Namen Reynolds, wie Zeugen behaupteten? Und wenn das stimmt: Wer war dieser Reynolds?

Eine Antwort auf diese Fragen wurde nie gefunden.

Es erschien ein Nachruf, der Poe in einem noch schlechteren Licht erscheinen ließ. Von Alkohol- und Drogenexzessen war die Rede. Er sei wahnsinnig gewesen. Der Text erschien unter falschem Namen, dahinter steckte ein eifersüchtiger Konkurrent: der Verleger, Literaturkritiker und Schriftsteller Rufus Wilmot Griswold. Er hasste Poe und wollte dessen Bild in der Öffentlichkeit prägen.

Die Spekulationen häuften sich - auch befeuert durch Briefe, die Dr. John J. Moran nach Poes Tod verschickte. Er hatte den Schriftsteller im Krankenhaus behandelt und stellte diverse Behauptungen über dessen Gesundheitszustand auf, widersprach sich aber mehrfach selbst.

Todesursache bis heute ungeklärt

Noch heute ist unklar, woran genau Edgar Allan Poe starb. Es kursieren diverse Thesen zur möglichen Ursache. Manche glauben, Poe sei an den Folgen seines Alkoholkonsums gestorben. Andere gehen von einer schweren Krankheit aus - etwa Cholera, Syphilis oder Diabetes.

Der Autor könnte auch Opfer einer Schlägerbande geworden sein: Zur damaligen Zeit zogen Trupps durch US-amerikanische Städte, die es auf Obdachlose abgesehen hatten. Auch von Selbstmord oder Mord war die Rede, aber es gibt dafür keine Beweise.

1996 wollte ein Mediziner das Rätsel um Poes Tod gelöst haben. Der Autor sei in komatösem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert worden, habe am nächsten Tag unter Halluzinationen gelitten und sich wieder einen Tag später nicht einmal daran erinnern können, dass er krank gewesen sei.

In lichten Momenten habe Poe Alkohol verweigert und Wasser nur mit viel Mühe trinken können. Für den Wissenschaftler Dr. R. Michael Benitez eindeutig Hinweise auf Tollwut. Allerdings deutet nichts darauf hin, dass Poe jemals von einem infizierten Tier gebissen worden war.

Ein seltsamer Besucher an Poes Grab

Berühmt wurde Edgar Allan Poe erst lang nach seinem Tod – nicht nur mit Gruselgeschichten wie "Die Maske des roten Todes" und "Die Grube und das Pendel". Mit "Der Doppelmord in der Rue Morgue" erfand er auch den modernen Kriminalroman: Zum ersten Mal versucht darin ein Detektiv, einen Fall mithilfe der Logik zu lösen. Poe beeinflusste mit seinen Erzählungen viele Autoren, darunter Agatha Christie, Stephen King, Oscar Wilde und Jules Verne.

Sein Tod bleibt so geheimnisumwittert wie viele seiner Geschichten. Der Autor wurde selbst zur Kultgestalt mit mysteriösen Anhängern: Ab den 1950er-Jahren besuchte eine schwarz vermummte Gestalt den Friedhof in Baltimore, auf dem Poe begraben liegt - immer am Todestag des Autors. Das Ritual wiederholte der Unbekannte 60 Jahre lang, bis er nach 2009 plötzlich nicht mehr auftauchte. Wahrscheinlich war er gestorben. Die Medien tauften ihn den "Poe Toaster", nach dem englischen Verb "to toast" für zuprosten: Der Unbekannte legte jedes Mal drei Rosen am Grab nieder, trank ein Glas Kognak und verschwand – bis zum nächsten Jahr.

Verwendete Quellen:

  • New York Times: Poe's Death Is Rewritten as Case of Rabies, Not Telltale Alcohol (kostenpflichtig)

Hinweis: Dies ist ein Artikel aus unserem Archiv.

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