• Deutschland regt ein EU-weites Verbot von perfluorierten Kohlenwasserstoffen an.
  • Das ist überfällig, denn die Chemikalie hat längst jeden Winkel der Erde erreicht.
  • Welche Auswirkung die globale Verbreitung auf die Umwelt und den Menschen hat, ist kaum bekannt.

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Manche Forschende bezeichnen das Fettgewebe und das Blutplasma der Eisbären als eine Art Gedächtnis für die Umweltsünden der Menschen. Trotz der Abgeschiedenheit der Arktis finden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Tieren bei der Suche nach Giftstoffen regelmäßig Rückstände von Chemikalien aus unserem Alltag. Die künstlichen Substanzen haben den weiten Weg von uns zum Nordpol geschafft.

PFAS im Blut von Eisbären

Der Toxikologe Jonathan Martin von der Stockholmer Universität hat schon 2018 seine Analysen zum Blutplasma der Eisbären vorgestellt. Sie sind noch immer aktuell, weil eine neue Debatte um das Verbot der PFAS (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen) entbrannt ist.

Deutschland möchte den Einsatz der gesamten Substanzklasse EU-weit verbieten. Hinter der Sammelbezeichnung PFAS stecken mehrere tausend Stoffe, die sehr nützliche Eigenschaften für Verbraucher und Verbraucherinnen haben: Sie sind wasser-, schmutz- und manchmal auch fettabweisend. Deshalb werden sie seit Jahrzehnten weltweit ohne größeren Protest verwendet.

Jonathan Martin hat PFAS-Spuren in zahlreichen Blutproben der Eisbären nachgewiesen. Die ältesten davon stammten aus dem Tiefkühler und waren schon in den 1980er-Jahren eingefroren worden. Die alarmierende Botschaft des Toxikologen lautete schon vor fünf Jahren: Die Konzentration der Industriechemikalie im Eisbärblut hat sich binnen acht Jahren etwa verdoppelt. Bei Bären aus der kanadischen Beaufortsee verdoppelte sich die Belastung sogar innerhalb von nur vier Jahren. Diese Region des Nordpolarmeers wird besonders intensiv von Luftmassen beeinflusst, die aus China stammen.

Umweltgifte im Schnee der Arktis

Dass es sich dabei nicht um einen Zufall handelt, zeigen die Ergebnisse von William Hartz, Umweltforscher an der britischen Universität Oxford. Er fand in einem zwölf Meter langen Bohrkern aus arktischem Schnee, der zwischen 2006 und 2019 auf der Inselgruppe Spitzbergen eingefroren war, gleich 45 verschiedene PFAS-Substanzen. Einige Vertreter davon – etwa Perfluoroctansulfonsäuren oder Trifluoressigsäure – finden sich auch im Schmelzwasser der Schneemassen. Das ist interessant, denn dann können sie nach jahrelanger Lagerung im Eis in die Umwelt zurückkehren.

Nicht alle PFAS nehmen im Laufe der Jahre an Konzentration zu, aber viele schon. Unerwartet war beispielsweise der Anstieg an Perfluoroctansulfonsäure nach 2011. Denn dieser Vertreter wurde schon 2009 als erster Schadstoff der PFAS in die Liste des Stockholmer Übereinkommens aufgenommen, das ein Verbot von langlebigen Chemikalien regelt.

4.700 PFAS-Chemikalien in der Umwelt

Weil diese Säuren nicht immer eine identische Struktur aufweisen, können Analytikerinnen und Analytiker sogar das Produktionsverfahren des Imprägnierungsmittels bestimmen. Die Belastung in der Arktis stammt aus der elektrochemischen Fluorierung, einem weit verbreiteten Herstellungsprozess. Die PFAS entweichen während der Produktion, während der Weiterverarbeitung und auch aus den fertigen Produkten selbst. Oft wird nämlich viel mehr der preisgünstigen Chemikalie eingesetzt als nötig wäre. Etwa 4.700 Substanzen aus der Gruppe der PFAS wurden bisher in der Umwelt nachgewiesen, schätzt Berit Brockmeyer vom Hamburger Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).

Auch wenn es nicht auf alle PFAS zutrifft, so ist das Muster häufig gleich: Sie erzeugen keine stinkenden Abgasfahnen, sondern bewegen sich geruch- und farblos an Partikeln durch die Atmosphäre. Chemiker der Universität Bayreuth installierten bereits in den 2000er-Jahren über 14 Monate hinweg spezielle Filter als Dauermessstationen. Sie befanden sich in Hamburg oder an Bord von Forschungsschiffen, die in atlantischen und antarktischen Gewässern sowie in der Nord- und Ostsee unterwegs waren.

In 60 Tagen um die Welt

Die Forschenden fanden in jeder Luftprobe PFAS-Spuren, vor allem vom Perfluoroctylethanol (8:2 FTOH), einem Grundstoff für die Beschichtung von Textilien, Lebensmittelverpackungen und Teppichen. Nach den Berechnungen der Bayreuther kann Perfluoroctylethanol bis zu sechzig Tage in der Atmosphäre bleiben – genug Zeit für eine Reise um die Welt.

Die Liste mit Studien zur Verbreitung der PFAS, die aufhorchen lassen, ist lang. Als das Umweltbundesamt im Jahr 2011 in einem Screening-Programm die Belastung verschiedener Arbeitsplätze untersuchte, fielen einige Geschäfte für Outdoor-Bekleidung unangenehm auf. In einem Fall war die Konzentration an Perfluoroctylethanol in der Luft fast vierzigmal höher als in einer Autolackiererei.

Vielzahl der Substanzen erschwert Kontrolle

Solche Extremwerte werden heute in Deutschland dank strengerer Bedingungen wohl kaum noch erreicht – zumal die Hersteller zahlreiche Ausweichstrategien kennen. Die erwünschten Eigenschaften der PFAS ähneln sich häufig, aber für fast jede neue Substanzgruppe müssen neue Verträglichkeitsstudien erstellt werden. Für die Industrie ist es in der Produktion nicht wichtig, sortenrein zu erzeugen. Der Toxikologe sieht das manchmal anders. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass nicht alle Substanzen der PFAS-Gruppe gleichermaßen gefährlich sind.

So braucht es Jahre bis Jahrzehnte bis die Forschung genug Studien zur Ausbreitung sowie zu Effekten dieser Chemikalien in Menschen und Tieren veröffentlicht hat. Rainer Lohmann, Professor für Ozeanografie an der University of Rhode Island, befürwortet deshalb den deutschen Vorschlag eines EU-weiten Verbots aller PFAS. "Er würde tatsächlich das Übel an der Wurzel packen und für ein totales Ende der PFAS sorgen, wenn auch mit bis zu zwölf Jahren Verspätung", sagt der US-Forscher.

Verbot dient der Vorsorge für Gesundheit

Tatsächlich ist die Hauptargumentation im Verbotsantrag ein Vorsorgegedanke: Die dauerhafte Verbreitung der schwer abbaubaren Chemikalien könnte Probleme machen. Nach Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) haben sich die PFAS schon heute so weit verteilt, dass die Verbraucher die Aufnahme über Lebensmittel kaum noch beeinflussen können.

"Weltweit liegen Daten für einige PFAS zum Vorkommen im Menschen vor. Die im Körper vorhandene Menge ist dabei unterschiedlich für jede einzelne Verbindung", erklärte das BfR im September 2020. Sieben besonders häufig verwendete Substanzen machen bei Europäern etwa 97 Prozent der Belastung im Blut aus.

Nach Einschätzung von Jan Hengstler, Leiter des Forschungsbereichs Toxikologie an der TU Dortmund, waren die Konzentrationen im Blut von Menschen um das Jahr 1990 am höchsten. Sie seien seither je nach Substanz auf zehn bis dreißig Prozent dieser Werte zurückgegangen. Welche gesundheitlichen Folgen das Gemisch dennoch haben kann, ist nicht ausreichend untersucht.

Teflonpfanne unbedenklich

Akute Vergiftungen sind nicht bekannt. Wenn sich von einer zerkratzen Beschichtung einer Teflonpfanne beispielsweise kleinste Teile lösen, die beim Essen verschluckt werden, ist dies laut BfR nicht bedenklich für die Gesundheit.

Aber die Langzeitfolgen einer PFAS-Anreicherung lassen sich nur schwer untersuchen. Die Substanzklasse kann die Leber schädigen und den Cholesterinspiegel verändern. Auch das Geburtsgewicht von Kindern sowie die Wirkung von Impfungen wird unter Umständen beeinflusst. All das ist bekannt, doch es ist unklar, wie groß die Konzentration der Substanzen im Körper sein muss, damit Effekte auftreten.

Nun dürfte die Debatte forciert werden, ob ein Verbot aller PFAS überhaupt möglich ist. Hinter dem Kürzel verbergen sich nicht nur Tausende Substanzen, sondern auch Zehntausende Anwendungen sowie große Interessen und Umsatzerwartungen der Industrie.

PFAS können schon heute ersetzt werden

Expertenstatements für das Science Media Center Germany vermitteln den Eindruck, dass in vielen Fällen bereits Alternativen zur Verfügung stehen. "Die Umsetzung eines PFAS-Verbots sollte sich für Bereiche mit sogenannter nicht-essenzieller Anwendung wie wasser- und schmutzabweisenden Papier-, Textil oder Lederprodukten, Kosmetika und Küchengeräten und -utensilien einfacher gestalten. Hier kann auf die Verwendung von PFAS verzichtet werden oder Alternativen sind bereits verfügbar, ohne dass für den Verbraucher wesentliche Einschränkungen spürbar werden", sagt beispielsweise Christian Zwiener, Umweltanalytiker an der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Sicher werden für viele Anwendungen Ausnahmeregelungen nötig sein. Der Entwurf sieht je nach Substanz Übergangsfristen zwischen 18 Monaten und 12 Jahren vor. Auch die Frage, was ein Verbot in Europa für die Situation auf dem Weltmarkt bedeutet, ist noch lange nicht ausdiskutiert.

Verwendete Quellen:

  • Wiley Online Library: Hundreds of Unrecognized Halogenated Contaminants Discovered in Polar Bear Serum.
  • Umweltbundesamt: PFAS sollen EU-weit beschränkt werden.
  • ScienceDirect: Levels and distribution profiles of Per- and Polyfluoroalkyl Substances (PFAS) in a high Arctic Svalbard ice core.
  • Uni Bayreuth: Atmospheric Distribution and Seasonality of Airborne Polyfluorinated Compounds: Spatial and Temporal Concentration Variations from Ship-and Land-Based Measurements in Northern Germany, the Atlantic Ocean, and Polar Regions.
  • Bundesinstitut für Risikobewertung: Fragen und Antworten zu per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS)
  • Science Media Center: Mögliches Verbot der PFAS
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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