Mit dem Buch "Das geheime Leben der Bäume" begeistert der Forstingenieur Peter Wohlleben ein Millionenpublikum. Seine Beschreibung von Pflanzen, die miteinander kommunizieren und ein ausgeprägtes Gefühlsleben haben, sehen vor allem viele Biologen jedoch kritisch. Was ist an Wohllebens Thesen tatsächlich dran?

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Kaum ein Mensch wird anzweifeln, dass der Wald viel mehr ist als unbebautes Land und Rohstoff-Quelle. Seine Bedeutung für ein stabiles Klima ist unumstritten. Erwiesen ist auch, dass ein regelmäßiger Aufenthalt in der Natur für den Menschen nicht nur angenehm, sondern auch gesundheitsfördernd ist.

Für viele ist der Wald auch ein Zufluchtsort vor dem durchorganisierten und trotzdem hektischen Alltag des 21. Jahrhunderts. Im Wald herrscht auf den ersten Blick Chaos und auf den zweiten ein fein abgestimmtes Zusammenspiel eines komplexen Ökosystems. Hier ist auf jedem Zentimeter Leben und Bewegung im Kontrast zum rechtwinkligen und vergleichsweise kahlen Lebensraum, den wir uns in den Gebäuden der Städte geschaffen haben, wo wir im Kunstlicht kaum den Wechsel der Tages- oder Jahreszeiten wahrnehmen.

Diese Sehnsucht vieler Menschen scheint Peter Wohlleben mit seinem Buch "Das geheime Leben der Bäume" angesprochen zu haben. Gleich drei Jahre in Folge erreichte es Platz eins der Sachbuch-Bestsellerlisten. Auf dem enormen Erfolg aufbauend, erschien kürzlich auch ein Film.

Trailer: "Das geheime Leben der Bäume"

Mit seinem Buch "Das geheime Leben der Bäume" gelang dem Förster Peter Wohlleben ein Welterfolg. Nun läuft seine Sicht auf den Wald, dessen Bewohner und die vermeintlichen Fähigkeiten und Gefühle der Bäume auch im Kino. Die Doku ist seit dem 23. Januar in den Lichtspielhäusern zu sehen.

Während Wohllebens Werk in der Allgemeinheit äußerst populär ist, sind Fachkundige zwiegespalten. Zahlreiche Biologen und Forstwissenschaftler freuen sich über die Tatsache, dass Wohlleben es geschafft hat, ein breites Publikum für das Ökosystem Wald zu interessieren. Gleichzeitig halten es viele für problematisch, dass er in seinem Buch sachlich falsche Aussagen als wissenschaftlich fundiertes Wissen darstellt und teilweise Schlussfolgerungen zieht, die dem Naturschutz aus Sicht mancher Fachleute in der Konsequenz eher schaden als nutzen können.

Neben der unsauberen Verwendung von Quellen und der falschen Erläuterung von Sachverhalten kritisieren Biologen vor allem Wohllebens Darstellungsweise, die impliziert, Bäume hätten menschenähnliche Gefühle und ein Bewusstsein, das ihnen ein Sozialleben vergleichbar dem von Tiergemeinschaften ermöglicht, in welchem sie sich fürsorglich um ihre Artgenossen kümmern.

So schreibt Wohlleben unter anderem, dass "etwa Buchen zu Freundschaft fähig sind". Den Umstand, dass sich die Wurzeln mehrerer Bäume vernetzen können, beschreibt er so, als würden die Bäume dabei eine bewusste Entscheidung treffen: "Die umgebenden Buchen pumpten ihm Zuckerlösung hinüber, um ihn am Leben zu halten"; die Fälle, in denen junge Bäume Nutznießer einer solchen Vernetzung sind, beschreibt er mit den Worten: "Die Baumbabys werden gestillt."

Kommunikation setzt kein Bewusstsein voraus

Dass Bäume ein Bewusstsein haben, verneint die Baumphysiologin Andrea Polle klar. Dennoch seien Reaktionen auf die Umwelt feststellbar. Wurzeln würden beispielsweise verstärkt in eine Richtung wachsen, in der der Boden eine höhere Konzentration an Nährstoffen enthält.

"Von einer bewussten Entscheidung kann man aber nicht sprechen, denn das würde ja eine Wahlmöglichkeit voraussetzen. Ein Baum denkt nicht, 'heute möchte ich aber kein Phosphor' oder ähnliches", erklärt die Leiterin des Lehrstuhls für Forstbotanik an der Georg-August-Universität in Göttingen.

Bayern eröffnet die Klima-Offensive

Bayern will zahlreiche Maßnahmen für den Klimaschutz ergreifen. Unter anderem will der bayerische Ministerpräsident Markus Söder 30 Millionen Bäume pflanzen lassen. (Teaserbild: picture alliance/dpa/Lino Mirgeler) © BR

Dass die Pflanzenzellen auf Reize reagieren, sei ein generelles Kennzeichen des Lebendigen. Ein Gehirn, vergleichbar dem höher entwickelter Tiere, wie es Wohlleben an mehreren Stellen seines Buches vermutet, haben Pflanzen demnach nicht.

Auch für menschenähnliche Gefühle bei Bäumen wie Freundschaft und mütterliche Fürsorge gibt es der Wissenschaftlerin zufolge keinerlei Hinweise. Trotzdem könnten Bäume – wenn auch ganz ohne Gefühle – kommunizieren.

Polle hat selbst die Kommunikation zwischen Pilzen und Bäumen erforscht. Pilze könnten beispielsweise einen Duftstoff produzieren, der von den Wurzeln eines Baumes aufgenommen wird und bewirkt, dass dieser mehr Seitenwurzeln in diese Richtung ausbildet.

"Das heißt aber nicht, dass der Baum ein Liebesgefühl für den Pilz entwickelt und entscheidet, dass er zu ihm hinwachsen will", stellt sie klar. Der Mechanismus laufe vielmehr unwillkürlich ab und habe sich im Laufe der Evolution so ausgebildet, weil dieses symbiotische Verhältnis dem Überleben sowohl des Baums als auch des Pilzes dienlich sei.

Bäume sind faszinierend, so wie sie sind

In der Buchbesprechung der kanadischen Pflanzenbiologin Erin Zimmermann scheint viel Sympathie für den Erzähler Wohlleben durch. Sie lobt die Begeisterung, die der Förster für das Ökosystem Wald zu vermitteln vermag. In Teilen des Buches, in denen er darauf verzichtet, Bäume zu vermenschlichen, seien viele wenig bekannte Fakten zu erfahren.

Doch auch sie stellt sachliche Fehler fest und hält Wohllebens Implikation menschlicher Züge bei Bäumen für überflüssig: "In dem Bemühen, uns dazu zu bringen, sie zu lieben, hat er das Gefühl, er müsste sie als etwas anderes darstellen, als das, was sie wissenschaftlichen Erkenntnissen nach tatsächlich sind. Doch Bäume sind bemerkenswert, auch ohne menschliche Züge."

Eine Vermutung über den Grund für Wohllebens Darstellungsweise äußert der Biologe Torben Halbe. Er hat als Antwort auf Wohllebens Publikationen ein eigenes Buch mit dem Titel "Das wahre Leben der Bäume" veröffentlicht. Darin wirft er dem Förster vor, mit falschen Darstellungen seine politischen Ziele durchsetzen zu wollen.

Mit der Vermenschlichung von Pflanzen wolle er das Verständnis erzeugen, dass "Baumfällen böse ist, Mord quasi – ganz einfach und moralisch. Wer dann noch einen Baum fällen will, erscheint quasi naturgemäß als Unmensch, dessen Argumentation sich von vornherein disqualifizieren lässt", schreibt er darin.

Dass Wohlleben mit seinen Publikationen das kollektive Verhalten beeinflussen möchte, schreibt er selbst: "Wenn die Fähigkeiten der Vegetation bekannt und ihr Gefühlsleben und ihre Bedürfnisse anerkannt sind, dann sollte sich schrittweise auch unser Umgang mit Pflanzen ändern", heißt es in "Das geheime Leben der Bäume".

Sollte der Mensch sich aus dem Wald heraushalten?

Problematisch ist für Wissenschaftler dabei, dass eine sachliche Diskussion darüber, was für den Naturschutz tatsächlich sinnvoll ist, verhindert wird, wenn eine moralistisch geprägte Stimmung erzeugt wird.

Das durch Wohllebens Buch implizierte Ideal, dass sich Menschen aus Wäldern heraushalten sollten, kann sowohl für den betreffenden Wald selbst als auch für den globalen Umweltschutz durchaus schädlich sein.

Polle befürchtet etwa, dass sich der aktuelle Klimawandel so schnell vollzieht, dass die Wälder keine Chance haben, sich eigenständig daran anzupassen. Es existieren bereits Forschungsinitiativen, die versuchen, durch einen gezielten Waldumbau die Bestände vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. "Denn eines wäre wirklich schlimm, wenn wir gar keine Wälder mehr hätten", betont Polle.

Und auch die Holznutzung hat aus Sicht des Umweltschutzes Vorteile. In Deutschland wird die Forstwirtschaft bereits sehr lange nachhaltig betrieben. Wäldern wird stets weniger Holz entnommen, als nachwächst. Dadurch erhöht sich der Baumbestand nachweislich.

"Sollte man die menschliche Nutzung der Natur in Deutschland stark zurückfahren und damit doch nur riskieren, dass die natürlichen Ressourcen in anderen Teilen der Welt, wo es kaum Umweltschutzauflagen gibt, verstärkt ausgebeutet werden, um die Nachfrage der Deutschen zu decken?", fragt Halbe.

Selbst wenn es möglich wäre, die Holzgewinnung weltweit einzuschränken, wäre das für den Umweltschutz nicht unbedingt sinnvoll. Denn Holz ist in vielen Bereichen ein umweltfreundlicher Rohstoff, wie etwa der Forstwissenschaftler Christian Ammer betont. Man müsste für Möbel und andere Nutzungsformen Alternativen wie Kunststoff oder Aluminium einsetzen, die eine wesentlich schlechtere Ökobilanz aufweisen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. A. Polle, Leiterin der Abteilung Forstbotanik und Baumphysiologie an der Georg-August-Universität Göttingen
  • Peter Wohlleben: "Das geheime Leben der Bäume – Was sie fühlen, wie sie kommunizieren" Ludwig Verlag, 2015
  • Torben Halbe: "Das wahre Leben der Bäume – Ein Buch gegen eingebildeten Umweltschutz" Woll Verlag, 2017
  • Petition für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Buch "Das geheime Leben der Bäume"
  • Bundesamt für Naturschutz: Wälder im Klimawandel
  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Deutschlands Wald im Klimawandel
  • Landesministerium für Umwelt Baden-Württemberg: Strategie zur Anpassung an den Klimawandel in Baden-Württemberg
  • Deutscher Verband Forstlicher Forschungsanstalten: Anpassung der Wälder an den Klimawandel
  • Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz: Anpassungsstrategien an den Klimawandel
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