Kassel (dpa) - Im Jahr 2001 wurde in Deutschland der erste Friedwald im Reinhardswald bei Kassel eingerichtet. Seitdem hat die Bestattung unter Bäumen in Deutschland viele Freunde gefunden: Experten zufolge entstanden in den vergangenen 15 Jahren mehr als 100 solcher Bestattungswälder.
Träger sind private Betreiber, aber auch Kommunen. In der Debatte, ob Waldstücke für Bestattungszwecke freigegeben werden sollen, kommt es mittlerweile zu hitzigen Streitigkeiten. Kritiker sagen, die Totenasche sei ökologisch bedenklich, Giftstoffe würden freigesetzt, die Grundwasser und Boden belasten.
Rainer Horn, Bodenwissenschaftler von der Universität Kiel, sieht Forschungsbedarf. "Das ist eine hochkomplexe Angelegenheit", sagt er zur Feuerbestattung. Was nämlich mit der Urne und der Asche im Boden passiere, wisse man noch nicht genau. Eine Urne, die sich auflöse, sei eine "konzentrierte Masse", deren Stoffe irgendwann im Grundwasser landen. Die Frage nach den langfristigen Folgen sei durchaus berechtigt.
Bei der Verbrennung von Leichnamen können etliche Schadstoffe anfallen - etwa Schwermetalle aus Zahnplomben oder Prothesen. Auch andere Giftstoffe kann der Mensch im Lauf seines Lebens aufgenommen haben. Und beim Verbrennungsprozess im Krematorium entstehen ebenfalls Giftstoffe - wobei die meisten im Wortsinn in Rauch aufgehen, vom Filtersystem aufgefangen und als Sondermüll entsorgt werden.
Auch wenn viele Fragen wissenschaftlich noch nicht geklärt sind, erklärt das nicht die Emotionalität der erbittert geführten Debatte für und gegen Bestattungswälder. "Es gibt unfassbar viele Interessen, die da hineinspielen", sagt Alexander Helbach, Sprecher des Vereins Aeternitas, einer Verbraucherinitiative für Bestattungskultur. Sollte sich nämlich herausstellen, dass Urnen wirklich schädlich sind für die Umwelt, wäre das Geschäftsmodell der Bestattungswald-Anbieter in Gefahr. Immerhin werben sie mit einer Bestattung in der Natur, mit biologisch abbaubaren Urnen zu Füßen der Bäume.
Auf der anderen Seite stehen Friedhofsgärtner, Steinmetze und die Betreiber der kommunalen und kirchlichen Friedhöfe. Sie erleben, dass das Interesse an einer konventionellen Bestattung im Erdgrab immer stärker zurückgeht. "Man spricht zurzeit von über 60 Prozent Feuerbestattungen in Deutschland", sagt Helbach. Anfang der 1990er Jahre seien es noch ein Drittel gewesen. Laut Schätzungen werden fünf Prozent aller Verstorbenen unter Bäumen beigesetzt - 45 000 Bestattungen im Jahr 2013.
Der Trend gehe weg vom klassischen Grab und weg vom Friedhof. Eine große Rolle spiele die Pflegefreiheit der Urnen im Bestattungswald. Darauf reagierten aber auch Friedhöfe und böten inzwischen ebenfalls pflegefreie Bestattungsformen, etwa mit Rasengräbern oder Urnenwänden. "Die Menschen wollen nicht mehr Gräber pflegen oder können es auch nicht, weil die Familien nicht mehr so zusammen leben wie früher", erklärt Helbach.
Er selbst glaubt nicht, dass Urnenbestattungen in Wäldern besonders umweltschädlich seien. Das sieht auch Gerold Eppler so, stellvertretender Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel. "Schadstoffe sind auch im Leichnam, der begraben wird, sie werden nur über eine längere Zeit freigesetzt." Bei der Debatte über Umweltgefahren würden wichtigere Probleme von Bestattungswäldern übersehen.
Wenn Kommunen eigene Bestattungswälder betreiben, würden sie sich selber Konkurrenz zu ihren Friedhöfen machen - gehen die Belegungszahlen herunter, müssten die Gebühren erhöht werden. Und ein Bestattungsort im Wald biete nicht dieselbe Infrastruktur wie ein Friedhof - wer den Baum besuchen wolle, an dem der Angehörige oder Freund bestattet wurde, müsse deutlich schlechtere Wege in Kauf nehmen als auf einem Friedhof. Das seien die Probleme, die man wirklich in den Kommunen diskutieren sollte, sagt Eppler: "Ich glaube, die Frage nach Giftstoffen ist eher randständig." © dpa
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