Der angesehene Vulkan-Experte Chris Newhall identifiziert weltweit Vulkane, die Auslöser globaler Katastrophen werden könnten. Und er mahnt in einer aktuellen Studie an, dass die moderne Welt auf eine solche Mega-Katastrophe nicht ausreichend vorbereitet wäre.

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Chris Newhall gilt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten auf dem Feld der Vulkanologie. Die Stärke von Vulkanausbrüchen misst man bis heute mit einem von ihm in den Achtzigern eingeführten System.

Der VEI, der Vulkanexplosivitätsindex, hat für die Vulkanforschung in etwa die gleiche Funktion wie die Richterskala für Erdbebenforscher. Mit dem VEI lässt sich die Stärke eines Vulkanausbruchs bestimmen.

Der Index reicht von 0 (nicht explosiv) bis 8 (sehr große Explosivität). Je höher die Stufe, desto mehr Material wird beim Ausbruch ausgeworfen und desto höher wachsen die Eruptionssäulen in den Himmel - auf Stufe 1 kann sie bis zu einen Kilometer Höhe erreichen, ab Stufe 5 bereits über 25 Kilometer.

Wenn nun Chris Newhall mit einer neuen Studie vor die Weltöffentlichkeit tritt und auf die verheerenden Folgen von zukünftigen Vulkanausbrüchen hinweist, müsste er als Koryphäe seines Gebiets besonderes Gehör finden.

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass ein großer Ausbruch globale Folgen haben kann. Und gerade der technische Fortschritt birgt neue Gefahren, die es bei früheren Ausbrüchen noch gar nicht gab.

Ganz aktuell ist der Shinmoe-Dake Vulkan in Japan aktiv. Schon bei der ersten Eruption spuckte er Asche in eine Höhe von 2.300 Metern und beeinflusste den japanischen Flugverkehr. Vor wenigen Tagen brach der Vulkan wieder aus und die Aschewolken erstreckten sich beinahe fünf Kilometer hoch in die Luft.

Als 2010 der Eyjafjallajökull auf Island ausbrach, wurde der Flugverkehr in Europa durch die etwa sieben Kilometer hoch aufgewirbelte Asche tagelang lahmgelegt. Über 100.000 Flüge fielen aus, weltweit saßen Millionen Passagiere fest.

Die Eruption erreichte in ihrer zweiten und stärksten Phase einen Wert von 4 auf dem Vulkanexplosivitätsindex. Zum Glück liegt der Vulkan in einer fast unbewohnten Gegend.

Zum Vergleich: In Kolumbien kostete 1985 der Ausbruch des Nevado del Ruiz und die dadurch ausgelöste Schlammlawine 25.000 Menschen das Leben - insgesamt ist die Rede von bis zu 30.000 Todesopfern. Diese Katastrophe erreichte aber nur einen VEI-Wert von 3.

Warnung vor verheerendem "VEI 7"-Ereignis

VEI 7-Ereignisse, die Newhall in seiner Studie zur Grundlage nimmt, hätten noch verheerendere Auswirkungen. Die dabei entstehenden Pyroklastischen Ströme, heiße Gas- und Aschewolken, die sich schnell hangabwärts bewegen, können Tod und schwere Zerstörungen im Umkreis von bis zu 100 Kilometern um den Vulkan bringen.

Das letzte VEI 7-Ereignis fand 1815 in Indonesien statt: Der Ausbruch des Tambora ist bis heute der größte dokumentierte Vulkanausbruch. Er löste selbst auf der anderen Seite des Erdballs einen vulkanischen Winter in Europa aus, weil die ausgestoßene Asche den Himmel verdunkelte.

Das Jahr 1816 ging somit als "Jahr ohne Sommer" in die Geschichtsbücher ein. Es wurde so kalt in Europa, dass viele Menschen erfroren. Letztendlich forderte der Ausbruch 12.000 unmittelbare Opfer, über 70.000 starben in der Folge weltweit aufgrund von Missernten und Hungersnöten.

Vulkanausbrüche dieser Stärke bezeichnet Newhall als "low-probability but high-consequence events" - Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber gravierenden Folgen. Ein bis zwei derartige Ereignisse sind in einem Zeitraum von 1.000 Jahren zu erwarten, was nicht bedeutet, dass der nächste VEI 7-Ausbruch notwendigerweise in weiter Zukunft liegt - passieren könnte es jederzeit.

Die im Magazin "Geosphere" veröffentlichte Studie benennt einige Gründe, weshalb die Folgen heutzutage noch wesentlich gravierender ausfallen könnten, als bei früheren Ausbrüchen. Beispielsweise ist die Weltbevölkerung in den vergangenen 200 Jahren seit dem Tambora-Ausbruch von etwa einer Milliarde auf über sieben Milliarden angewachsen.

Rund um jene Vulkane, die das Potenzial haben, ein VEI 7-Ereignis zu produzieren, leben heute innerhalb der jeweiligen Gefahrenzonen im Umkreis von 100 Kilometern oftmals mehrere Millionen Menschen. Indonesien ist besonders gefährdet. Im Gebiet um den Awibengkok bei Jakarta leben über 36 Millionen Menschen. Und dies ist nicht der einzige Vulkan, der Indonesiens Bevölkerung bedroht.

Auch auf den Philippinen nahe Manila gibt es VEI 7-fähige Vulkane (Taal und Laguna de Bay), etwa 25 Millionen Menschen leben in den jeweiligen Gefahrengebieten.

In Europa rückt vor allem Italien in den Blickpunkt, die Phlegräischen Felder bedrohen den Großraum Neapel mit sechs Millionen Einwohnern, die Albaner Berge könnten bei Eruptionen auch Rom in Gefahr bringen. In der Toskana heißen die Gefahrenherde Vulsini-Latera und Vulsini-Bolsena.

Der Ausbruch des Yellowstone Supervulkans vor 630.000 Jahren unter dem gleichnamigen Nationalpark erreichte sogar die höchste VEI-Stufe 8.

Allerdings leben im Umkreis auch heute noch wesentlich weniger Menschen (ungefähr 30.000) als in den indonesischen und philippinischen Gefahrengebieten, weshalb hier zwar die unmittelbare Bedrohung geringer ausfällt, ein Ausbruch aber wohl eine globale Katastrophe auslösen würde.

Technisierte Welt wird anfällig

Ein heute großes Problem spielte im Jahr 1815 noch überhaupt keine Rolle: Unsere fortschrittliche Technologie sowie eine digital und global vernetzte Weltgemeinschaft.

Nicht nur die Störanfälligkeit der Stromversorgung kann bei Vulkanausbrüchen für enormes Chaos aufgrund der existenziellen Bedeutung von Elektrizität für moderne Gesellschaften sorgen.

Die Aschewolken eines großen Ausbruchs würden zudem das Globale Positionsbestimmungssystem (GPS) beeinträchtigen, eventuell sogar lahmlegen - und mit ihm auch den globalen Warenverkehr zu Luft, Land und Wasser.

Einen Vorgeschmack bot hier bereits der Ausbruch des Eyjafjallajökull 2010.

Globale Auswirkungen hätte ein VEI 7-Ereignis auch auf das Klima. Sulfat-Aerosole, die bei Vulkanausbrüchen aus Schwefeldioxid entstehen, würden in großen Mengen in die Stratosphäre gelangen und langfristig unter anderem für niedrigere Temperaturen sorgen. Die winzigen Partikel, in hoher Konzentration dem Großstadt-Smog ähnlich, würden das einfallende Sonnenlicht reflektieren.

Mögliche sozioökonomischen Effekte eines solchen Ausbruchs beruhen auf einer Ereigniskette, die bei einer fragilen Agrarindustrie beginnt. Ernteausfälle und anschließende Hungersnöte und Aufstände sind nicht auszuschließen.

Aus betroffenen Regionen könnten Fluchtbewegungen einsetzen, die wiederum Druck auf umliegende Staaten ausüben - die Verknappung von Ressourcen durch den Katastrophenfall könne sogar zu Kriegen führen, mahnen die Experten.

Einige Forscher bemühen Analogien zwischen den Folgen verheerender Vulkanausbrüche und atomarer Auseinandersetzungen. Nicht zuletzt aufgrund solcher Horrorszenarien regen Newhall und Kollegen in ihrer Studie dazu an, weiter an Methoden zur kurz- und langfristigen Vorhersagen von Vulkanausbrüchen zu forschen.

Sie empfehlen darüber hinaus, dass Regierungen, Wirtschaftsunternehmen und Organisationen konkrete Notfallpläne für den Ernstfall entwickeln, um für den Worst Case halbwegs gewappnet zu sein.

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