- Jede achte der rund 11.000 Vogelarten ist vom Aussterben bedroht.
- Während der Weltnaturschutzgipfel in Montreal um gemeinsame Ziele im Kampf gegen den Artenschwund ringt, befinden sich Wissenschaftler und Naturschützer an vorderster Front in einem Wettlauf mit der Zeit.
Jason Gregg erlebte Ende September einen der glücklichsten Momente in seinem Ornithologen-Leben. "Während die anderen jubelten, starrte ich minutenlang nur auf die Kamera und konnte es nicht fassen", sagt der 33 Jahre alte Naturschutz-Biologe, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, verschollene Vogelarten zu finden.
Was er da im September mitten im Regenwald der Insel Moratau im Osten von Papua-Neuguinea auf dem Bildschirm einer Kamerafalle sah, war ein besonderer Vogel: Die Fergusson-Fasantaube, von den Einheimischen "Auwo" genannt. "Das letzte Mal, dass westliche Wissenschaftler die Art beobachtet haben, war 1882, vor unfassbaren 140 Jahren", sagt Gregg.
Der Erfolg war kein Zufall: 2019 hatte der Ornithologe bereits einen Monat lang die Vogelwelt der Insel erfasst und dabei auch nach der Fasantaube gesucht – vergebens. Beim zweiten Anlauf im September 2022, den die US-Naturschutzorganisation American Bird Conservancy und ein privater Mäzen unterstützten, klappte es jetzt.
Den entscheidenden Hinweis, wo man den Vogel finden könnte, gaben Jäger. "Es war der letzte Tag einer vierwöchigen Suche und wir hätten beinahe aufgegeben", berichtet Gregg, "als wir dann sahen, dass es den Vogel noch gibt, waren wir extrem erleichtert und glücklich."
Fergusson-Fasantauben, deren besonderes Merkmal ein schwarzer Nackenfleck ist, sind etwa so groß wie Haushühner. Sie leben auf dem Boden des unberührten Regenwalds von Moratau, wo sie sich von Beeren und Insekten ernähren.
Jede achte Vogelart steht kurz vor dem Aussterben
Der Auwo-Vogel von Moratau gehört zu einer traurigen Gemeinschaft von Lebensformen, die unmittelbar vom Aussterben bedroht sind. Von knapp 1.400 der rund 11.000 Vogelarten weltweit gibt es nach Analysen der Weltnaturschutzorganisation IUCN nur noch so wenige Exemplare, dass jederzeit mit ihrem Abgang von der Weltbühne zu rechnen ist.
Verantwortlich dafür sind in den meisten Fällen Menschen, die Lebensräume zerstören, unbekannte Feinde wie Katzen und Ratten auf Inseln einschleppen oder Arten zu Tode jagen, wie es etwa im 19. Jahrhundert auf Island mit dem Riesenalk geschah. "Arten sterben derzeit zehn- bis hundertmal schneller aus als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahren", warnt die argentinische Biologin Sandra Diaz, Mitautorin der wichtigen Studie des Weltbiodiversitätsrats IPBES zum Zustand der Natur.
Neuartiger "Weltnaturvertrag" soll auf Weltnaturschutzgipfel COP15 in Montreal geschlossen werden
In Montreal tagen noch bis Montag (19. Dezember) Vertreterinnen und Vertreter von knapp 200 Ländern mit dem Ziel, die Ausrottungswelle zu stoppen. Ein neuartiger "Weltnaturvertrag" soll konkrete Ziele setzen, um bis 2030 den großen Schwund der Naturvielfalt zu beenden und so viele Arten wie möglich zu retten. Die Vogelwelt ist der am besten sichtbare und populärste Indikator des Artensterbens.
Viele der 11.000 Vogelarten befinden sich in einem merkwürdigen Schwebezustand zwischen Aussterben und Überleben. Manche dieser Arten sind so selten, dass sie bisher noch niemandem aufgefallen sind, aber kaum entdeckt, bereits auf die Aussterbeliste gesetzt werden müssen, etwa die Principe-Zwergohreule. Andere galten als längst ausgestorben, tauchen dann aber doch wieder auf, wie 2021 der Schwarzbrauen-Mausdrossling auf Borneo.
Viele Arten sind von Natur aus extrem selten, etwa weil sie auf abgelegenen kleinen Inseln entstanden und dadurch sehr anfällig für Störungen sind. Andere waren früher so häufig, dass sie als regelrechte Plagen galten – nur um dann auszusterben, wie es bei der Wandertaube der Fall war. Eine wachsende Zahl befindet sich auf von Menschen eingerichteten Intensivstationen des Artenschutzes: in Zoos oder speziellen Zuchtstationen, wo sie gehegt, gepflegt und aufgepäppelt werden. Doch manchmal sind alle Bemühungen vergeblich.
Für den Po'ouli kam jede Hilfe zu spät
Während Jason Gregg bei seiner Exkursion einen Glücksmoment erlebte, bleibt anderen Ornithologinnen und Ornithologen nur die Trauer. "Eines der traurigsten Beispiele für das Aussterben von Vögeln in jüngster Zeit ist der Po'ouli, der 2004 zum letzten Mal auf Hawaii beobachtet wurde", sagt Roger Safford, der bei der Naturschutzorganisation BirdLife International ein spezielles Programm zur Rettung der am stärksten bedrohten Vogelarten leitet.
Das Verschwinden des Weißwangen-Kleidervogel, wie die Art auf Deutsch heißt, "wurde bis zum letzten Exemplar dokumentiert, und es wurden heroische Versuche unternommen, die aussterbende Art vor invasiven Spezies und Krankheiten zu retten", sagt Safford – doch es war zu spät.
Mehrere Millionen Jahre hatte der grau-beige-schwarze Vogel erfolgreich in den Hochlandwäldern der Insel Maui gelebt – bis Menschen Hausschweine, die verwilderten, und die Vogelmalaria einschleppten. 1980 gab es noch 150 Exemplare, 1994 etwa zehn. 2004 war dann Schluss, als auch der letzte bekannte Weißwangen-Kleidervogel im Zoo von San Diego starb. Lange wollten die Experten die Hoffnung nicht aufgeben. Doch nachdem mehr als 15 Jahre kein Tier gesichtet worden war, erklärte zuerst 2019 die IUCN und dann 2021 auch der U.S. Fish and Wildlife Service den Poʻouli offiziell für ausgestorben.
Roger Saffords Job ist es, dass möglichst vielen anderen Vogelarten dieses Schicksal erspart bleibt. Der Biologe reist dazu im Auftrag von BirdLife International an Orte, wo die seltensten der Seltenen leben – oder wo sie zuletzt gesichtet wurden und seither verschollen sind. Er gehört zu den Initiatoren des Projekts "The Search for Lost Birds". Etwa fünfzig Vogelarten gelten derzeit als verschollen. Sie wurden seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr beobachtet, aber es gibt für sie noch Grund zur Hoffnung.
Zehn Arten sind so etwas wie Maskottchen der Aktion. Zu ihnen zählt zum Beispiel die Himalajawachtel, die zuletzt 1876 im Nordwesten von Indien gesichtet wurde. Einen ersten Erfolg bei der Suche gibt es bereits. Der Santa-Marta-Degenflügel, ein Kolibri, der mit 21 weiteren Vogelarten nur in einem relativ kleinen Gebiet im Nordosten Kolumbiens vorkommt, geriet im August 2022 einem Vogelbeobachter vor Fernglas und Fotoapparat. Die reine Sichtung ist aber nur der Anfang. "Wir wollen Menschen motivieren, diese Arten wiederzufinden, ihre Bestände zu beobachten und ihren effektiven Schutz zu organisieren", sagt er.
Derzeit ist Safford auf Madagaskar unterwegs, wo ein weiterer seiner Schützlinge, der Sianakamadagaskarsänger, auf der Vermisstenliste steht. In den Registern der Weltnaturschutzunion wird er in der Rubrik "mangelhafte Daten" geführt. Safford hebt hervor, dass es ihm und seinen Mitstreitern nicht nur isoliert um einzelne Arten geht.
Zoos spielen eine wichtige Rolle bei der Rettung der Arten
"Um bedrohte Arten zu retten, sind der Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Lebensräume das Wichtigste", sagt er. Dies helfe auch den anderen Arten und der gesamten biologischen Vielfalt in den betreffenden Gegenden. Doch manchmal reicht der gute Schutz von Gebieten durch indigene Aufpasser oder Ranger nicht.
Zum Werkzeugkasten der Artenrettung zählt Safford, illegalen Jägern und Fallenstellern das Handwerk zu legen, eingeschleppte Fressfeinde und Krankheiten zu eliminieren, Tieren Nisthilfen zu bieten oder sie umzusiedeln. Eine wichtige Strategie ist es auch, Tiere in Zoos zu halten und zu vermehren. Anschließend kann dann versucht werden, sie in restaurierten oder geeigneten alternativen Lebensräumen wieder neu anzusiedeln.
Im Kampf gegen das Aussterben gibt es aber durchaus auch eindeutige Erfolge zu verzeichnen. Stafford war selbst an der Rettung der Rosentaube beteiligt, einer pinkfarbenen Art auf Mauritius, deren Population zeitweise auf nur neun Tiere geschrumpft war. Ein massives Rettungsprogramm hat den Bestand wieder auf rund 500 Tiere steigen lassen.
Ein weiterer Naturschutzerfolg kommt aus Neuseeland. In der neuesten Ausgabe der Roten Liste der Vögel hat eine der ehemals seltensten Vogelarten der Welt den Sprung von der Kategorie "beinahe ausgestorben" in die weniger dramatische Kategorie "vulnerabel" geschafft.
Vom Chathamschnäpper, einem kleinen schwarzen Singvogel, der auf einer entlegenen Insel östlich von Neuseeland zu Hause ist, gab es 1976 nur noch sieben Exemplare. Nachdem andere Rettungsversuche gescheitert waren, begannen Artenschützer, die letzten Eier der Art einem anderen Vogel, dem Maorischnäpper, zum Bebrüten unterzuschieben. Diese und weitere Maßnahmen führten dazu, dass es heute wieder 300 Vertreter der Art gibt und die Population stabil ist.
Die Erfolgsgeschichte vom Azorengimpel
Eine wichtige Erfolgsgeschichte spielt in einem entlegenen Teil Europas, den Azoren, die westlich der Iberischen Halbinsel im Atlantik liegen. Dort wurde in der Erdepoche des Pleistozäns vor rund 600.000 Jahren eine Population von Gimpeln so lange vom Rest der Welt abgeschnitten, dass sich Generation für Generation eine eigene Art entwickelt hat.
Der Azorengimpel unterscheidet sich unter anderem dadurch vom bei uns heimischen Gimpel, dass beide Geschlechter braun-grau und auf der Brust blassrosa gefärbt sind. Zwischenzeitlich wurde die erstmals 1866 beschriebene Art Pyrrhula murina zur Unterart herabgestuft, 1993 aber wieder in den Rang einer eigenen Spezies gehoben.
Noch im 19. Jahrhundert war der Azorengimpel häufig und flog, wie es etwa auch Stare tun, gerne in Obstplantagen ein. Obstbauern stellten dem Vogel deshalb so lange nach, bis er 1927 als ausgestorben galt. 1968 dann wurden einige wenige Exemplare in den moorigen Lorbeerwäldern an den Hängen des Pico da Vara wiederentdeckt, des mit 1.103 Metern höchsten Bergs der Insel São Miguel. Viele Jahre galt der "Priolo", wie der Vogel auf den Azoren genannt wird, zusammen mit dem Waldrapp als die mit Abstand seltenste europäische Vogelart.
Seit inzwischen 20 Jahren kümmert sich die portugiesische Sektion von BirdLife International darum, dass sich der Azorengimpel erholt. "Es ist eine große Verantwortung und zugleich eine große Ehre, für den Erhalt dieser Art zu sorgen", sagt Azucena de la Cruz Martín, Leiterin aller Aktivitäten von BirdLife auf den Azoren.
Ingwer verdrängt die für den Gimpel wichtige heimische Vegetation
Der größte Teil der Arbeit besteht bis heute darin, die Lorbeerwälder als Lebensraum der Azorengimpel wiederherzustellen und von Pflanzenarten wie dem Gelben Schmetterlingsingwer und der Karamellbeere freizuhalten, die als Zierpflanzen auf die Inseln eingeschleppt wurden. Vor allem der Ingwer stört mit seinem flächigen Wurzelsystem die heimische Vegetation, auf die wiederum der Gimpel angewiesen ist.
"Wir haben bis jetzt 500 Hektar Lorbeerwälder im Verbreitungsgebiet des Azorengimpels wiederhergestellt und 75 Hektar Moore, die auch zum Lebensraum des Vogels gehören", sagt Martín. 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Vollzeit damit beschäftigt, die Eindringlinge zu entfernen, die Hänge mit naturnahen Methoden zu stabilisieren, heimische Pflanzen in Gewächshäusern heranzuziehen und ihre Samen auszubringen. Immer wieder kommen auch schwere Maschinen zum Einsatz. Die Naturschützerin ist stolz auf das Ergebnis: Inzwischen liegt die Population der Vögel stabil über tausend.
Gefahren für die Vogelwelt lauern überall
Damit solche Umschwünge zum Guten überall auf der Erde gelingen und Vögel vom irreversiblen Aussterben bewahrt werden können, braucht es gewaltige Anstrengungen. "Eine IUCN-Studie schätzt, dass es eine Milliarde Dollar über zehn Jahre hinweg bräuchte, um alle gefährdeten Vogelarten um eine Kategorie zu verringern", sagt Roger Safford von BirdLife International. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass ein Vogel aus der Kategorie "Vom Aussterben bedroht" nur noch als "Gefährdet" gilt.
Safford findet den Geldbedarf überschaubar: "Solche Summen werden ja für weitaus weniger lohnende Zwecke ausgegeben." Aber nur rund ein Achtel des benötigten Geldes stehe bisher zur Verfügung. Auch hier richten sich die Hoffnungen auf den Weltnaturschutzgipfel COP15 in Montreal.
Gefahren für die Vogelwelt lauern nämlich überall. "Selbst auf einer entlegenen Insel wie Moratau sind Holzfällertrupps im Auftrag internationaler Konzerne unterwegs, Klimaveränderungen und eingeschleppte Arten kommen hinzu", sagt Jason Gregg.
Azucena de la Cruz Martín wünscht sich von der COP15, dass der Schutz der Biodiversität mehr Anerkennung bekommt. Auf den Azoren hat sie das schon erlebt. War der Vogel früher verhasst, so ist er nun der BirdLife-Mitarbeiterin zufolge sehr beliebt geworden – auch weil der Naturschutz Arbeitsplätze schafft.
"Der Azorengimpel ist ein Symbol für die Region, und die Menschen finden es wichtig, ihn zu erhalten." Es sei eine Art Redewendung geworden, "für den Priolo zu arbeiten". Das gebe ihr Hoffnung, "dass wir die Art auch langfristig erhalten können", sagt Martín.
Verwendete Quellen:
- Website von Jason Gregg
- Website der American Bird Conservancy
- Birdlife.org: Large pigeon lost to science for 140 years rediscovered in Papua New Guinea
- Rewild.org: The new Search for Lost Birds aims to find some of the rarest birds on Earth
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir ein Bild verwendet, das statt eines Azorengimpels einen Azorenbuchfink zeigte. Wir haben das Bild daher getauscht. © RiffReporter
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