Menschen daran zu erinnern, dass sie sich in ihren tiefsten Bedürfnissen ähneln und was das für unser Miteinander bedeutet – das ist das Ziel des US-amerikanischen Arztes und Wissenschaftlers David Fryburg. Er erklärt, wie der jährliche Fotowettbewerb "Our World Is Kind" hilft und warum der Einsatz für das Gute eine Quelle der Hoffnung und kein aussichtsloser Kampf ist.
Betrachtet man das Weltgeschehen, geht mit 2024 ein krisengeschütteltes Jahr zu Ende. Die Chance auf ein bisschen Wärme, einen sanften Abschluss für jeden Einzelnen von uns bietet der Fotowettbewerb "Our World Is Kind". Es sind Bilder, die man fühlen kann. Vielleicht, weil sie einfach Liebe zeigen. Vielleicht, weil uns diese Aufnahmen aus noch so fernen Ländern am Ende vertraut sind.
Zu verdanken ist der Wettbewerb der amerikanischen Non-Profit-Organisation "Envision Kindness", die an das Wesentliche im Leben erinnern will. Wir haben mit dem Gründer David Fryburg gesprochen, einem amerikanischen Arzt und Wissenschaftler, der sich die Botschaft des Guten zur Aufgabe gemacht hat.
Zum sechsten Mal haben Sie dazu aufgerufen, Bilder unter dem Motto "Our World is Kind" einzusenden. Die prämierten Fotos zeigen Liebe zwischen Großeltern und Enkeln, Freundschaft zwischen Menschen und Tieren und unmittelbare Folgen des Klimawandels. Waren das Themen, die oft eingereicht wurden?
David Fryburg: Ja, wir sehen diese Themen häufig. Ich glaube, der Kern all dieser Bilder ist die Verbundenheit mit anderen Lebewesen, einschließlich der Natur. Jedes zeigt auf die eine oder andere Weise einen Akt der Fürsorge. Es waren dieses Jahr so viele unglaubliche Bilder aller Art dabei, mehr als 2.000 Einreichungen aus über 70 verschiedenen Ländern. Sehr beeindruckt haben mich zudem die Ergebnisse KI-erstellter Bilder.
Es gab erstmals eine eigene Kategorie für KI. Warum?
KI-Bilder erfüllen einen sehr wichtigen Zweck: Sie helfen den Künstlern, Gedanken auszudrücken, die in einem Studio viel schwieriger zu realisieren wären. Aus diesem Grund haben wir die Kategorie "Innere Visionen" genannt: So lässt sich eine Idee von "Kindness", Liebe, Fürsorge oder Verbundenheit veranschaulichen.
Was passiert mit den Bildern nach dem Wettbewerb?
Wir integrieren viele dieser Fotos in Videos und andere Medien, mit denen wir Menschen inspirieren und helfen wollen, Stress abzubauen und Menschlichkeit, Verbundenheit und Freude zu fördern. Diese Medien zeigen wir dann in Umgebungen mit hohem Stressfaktor, etwa im Gesundheitswesen. Wir sind so dankbar für alle Fotografen, die ihre Bilder für den Wettbewerb einreichen und uns die Erlaubnis erteilen, sie zu verwenden, um unsere Mission zu erfüllen.
Wie sieht der Einsatz dieser Videos konkret aus?
Stellen Sie sich vor, Sie sehen diese Bilder, während Sie auf einen Arzt, eine Krankenschwester, einen Zahnarzt oder eine andere medizinische Fachkraft warten. Die Menschen sind ängstlich. Diese Angst oder dieser Stress beeinträchtigt das Verständnis für ihre Behandlung und das Vertrauen in das Pflegepersonal. Stress und Angst lassen auch ihre anderen Probleme schlimmer erscheinen.
Wir wissen, dass diese Videos den Stress schnell abbauen können und den Menschen helfen, sich glücklicher und besser betreut zu fühlen. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat belegt, dass Patienten, die sich diese Videos in der Notaufnahme ansahen, ihre Versorgung positiver beurteilten als diejenigen, die sie nicht sahen. Das bedeutet, die Bilder haben die Fähigkeit, die Perspektive der Menschen positiv zu verändern.
Hier sehen Sie eines der Videos von Envision Kindness:
Könnten auch Krankenhäuser oder Arztpraxen hier bei uns in Deutschland und Europa die Videos streamen?
Ja! Obwohl die Medien hauptsächlich aus Bildern bestehen, gibt es manchmal Texte dazu, die auf Englisch sind. Ein Set mit französischen Untertiteln haben wir bereits erstellt und wird sind durchaus bereit, Untertitel auf Deutsch zu liefern, wenn Interesse besteht. Auch Schulen sind für uns interessant. Wir glauben, dass hier Raum wäre für solche Medien, um Kindern und jungen Erwachsenen dabei zu helfen, sich mehr miteinander verbunden zu fühlen.
Dieses Ziel, Verbundenheit, Freundlichkeit, Herzenswärme unter den Menschen zu fördern, verfolgen Sie seit mehr als zehn Jahren. Damals gründeten Sie die gemeinnützige Organisation "Envision Kindness". Erinnern Sie sich noch an den Moment, als die Idee entstand?
Ja, ich habe zu dieser Zeit viel Nachrichten gelesen. Danach war ich gestresst und traurig. Je mehr ich las, desto schlimmer wurde es.
Freundlichkeit und Verbundenheit zu verbreiten, ist herausfordernd, aber nicht frustrierend.
David Fryburg
Als Wissenschaftler habe ich in der Literatur nachgeforscht, um das besser zu verstehen. Tatsächlich machen Nachrichten den Leser nicht nur traurig, weil andere Menschen leiden, sondern man blickt auch düsterer aufs eigene Leben. Nachrichten können die Lebensqualität mindern, zur Spaltung beitragen, misstrauischer machen oder Vorurteile verstärken. Obwohl wir die Nachrichten brauchen, um zu verstehen, was vor sich geht und was verbessert werden muss, kann zu viel Negativität erhebliche psychologische Folgen haben.
Die Lösung: Wir wollen das, was die Menschen sehen, wieder ins Gleichgewicht bringen mit Bildern von Fürsorge und Liebe für eine gesündere "visual diet" (visuelle Diät, Anm.). Niemand hatte dies bisher konsequent getan, also beschloss ich, dass wir es versuchen sollten.
Die Botschaft des Guten in unserer heutigen Welt zu verbreiten – kann das nicht manchmal auch frustrierend sein?
Freundlichkeit und Verbundenheit zu verbreiten, ist herausfordernd, aber nicht frustrierend. Viele Menschen kämpfen mit Problemen, die sie daran hindern, zwei zentrale Aspekte des Lebens zu erleben: Verbindung und Fürsorge. Wenn sie verstehen, dass wir alle miteinander verbunden sind, können sie Respekt, Vertrauen, Liebe und Sinn erfahren, die wiederum Glück und Wohlbefinden fördern.
Stress und fehlende Verbindung schaffen Disharmonie, weil sie dem zuwiderlaufen, was unsere Seele braucht. Es erfüllt mich, Menschen zu helfen, die Freude und Verbundenheit durch Freundlichkeit erleben. Schon einer Person einen besseren Tag zu bereiten, reicht aus. Diese Wirkung kann sich auf ihre Arbeit, Familie und Freunde ausweiten und positive Veränderungen bewirken.
Wir müssen Wege finden, um den Menschen zu zeigen, dass wir uns sehr ähnlich sind und durch unsere Menschlichkeit miteinander verbunden.
Seit diesem Jahr veröffentlichen wir als weltweit erstes Medium Ihre Artikelserie "Picture A Better World" auf unseren Portalen. Wir sehen an den Rückmeldungen: Viele Menschen sind spürbar dankbar für gute Nachrichten und Bilder inmitten all der schlechten. Hat dieses Bedürfnis zugenommen?
Ja, ich glaube schon. Obwohl wir in einer Welt vieler Fortschritte leben, scheinen die Menschen zunehmend gespalten, gestresst und verärgert zu sein. Viele sind einsam und fühlen sich isoliert. Wir müssen Wege finden, um den Menschen zu zeigen, dass wir uns sehr ähnlich sind und durch unsere Menschlichkeit miteinander verbunden.
Wir müssen dazu beitragen, Gemeinschaft und Fürsorge zu fördern. Und zwar auf eine Art und Weise, die die Menschen inspiriert und nicht kritisiert. Ich glaube daran, dass alle Menschen grundlegende Bedürfnisse haben – das Bedürfnis nach Liebe, Respekt und Verbundenheit. Das Bedürfnis nach Sinn und Bedeutung. All das kann durch "Kindness" erreicht werden.
Um Weihnachten scheinen viele Menschen besonders empfänglich für positive Botschaften zu sein. Wäre es nicht schön, dieses Gefühl auch in den Rest des Jahres mitzunehmen – und wie?
Auf jeden Fall. Das "Wie" ist eine gute Frage. Ich glaube, wenn die Menschen erst einmal verstehen, wie sehr wir alle miteinander verbunden sind, folgt alles andere von selbst. Da die Menschen an vielen Tagen im Jahr mit Problemen und Stress konfrontiert sind, müssen wir ihnen innerhalb kurzer Zeit helfen, ihre Verbindungen zu anderen und zu sich selbst zu stärken. Die Medien sind eine gute Möglichkeit, dies zu tun, da sie innerhalb von zwei Minuten wirken.
Wichtig ist, sich klarzumachen: Liebe. Fürsorge, Freundlichkeit gegenüber anderen – das ist keine Schwäche. Es zeugt von Charakterstärke, wenn man in der Lage ist, von sich selbst zu geben.
Über den Gesprächspartner
- Der Arzt und Wissenschaftler David Fryburg gründete vor über zehn Jahren mit seinem Sohn Jesse Fryburg Envision Kindness mit Sitz in Connecticut, USA. Die Non-Profit-Organisation will als Ausgleich zu schlechten Nachrichten den Blick auf das Gute in der Welt richten und Freundlichkeit und Verbundenheit fördern. Unterstützt durch Sponsoren streamt die Organisation Bilder der Menschlichkeit etwa in Wartebereichen von Krankenhäusern. Studien belegen die Wirkung: Die Bilder fördern Ruhe, Glück, Großzügigkeit und das Gefühl von Verbundenheit. Zu Fryburgs Veröffentlichungen gehören eine Reihe von Artikeln über den Effekt der Kindness, etwa: "The Secret Sauce of Kindness: Connection" in "Psychology Today" oder "Kindness as a Stress Reduction–Health Promotion Intervention: A Review of the Psychobiology of Caring" in SageJournals. Als weltweit erstes Medium veröffentlichen wir regelmäßig Fryburgs Artikelserie "Picture a Better World".
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