Wir können alles – außer Hochdeutsch: Dialekte haben in Deutschland oft ein Imageproblem. Wer Dialekt spricht, gilt zwar als sympathisch, aber auch als nicht besonders gebildet. Woher kommt dieses Vorurteil und was steckt dahinter?

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Ob Schwäbisch oder Sächsisch, Hessisch oder Pfälzisch, Badisch oder Bairisch – in Deutschland gibt es eine Vielzahl an Dialekten. Manche dieser Dialekte sind beliebter und genießen ein höheres Ansehen, andere wiederum sind mit negativen Klischees und Vorurteilen behaftet.

Dialektsprecher wirken weniger intelligent, Standardsprecher kühler

Was allen gemeinsam ist, ist, dass Sprecher von Dialekten gegenüber Hochdeutschsprechern häufig als weniger intelligent wahrgenommen werden. "Das kann empirisch gut belegt werden", sagt Albrecht Plewnia vom Institut für Deutsche Sprache im Gespräch mit unserer Redaktion. "Bei der Eigenschaftsabfrage war in unserer Studie deutlich zu sehen, dass die dialektale Sprechweise mit Freundlichkeit und Wärme assoziiert wird und das Hochdeutsche mit Kompetenz und Intelligenz."

Während Dialektsprecher auf der Sympathieskala Pluspunkte bekommen, schneiden die Standardsprecher hier deutlich schlechter ab: "Sie wirken kühler und distanzierter. Dieses Verhältnis dreht sich bei der Frage nach der Kompetenz."

Kein Zusammenhang zwischen Klang der Sprache und Bildungsgrad

Aber warum ist das so? Die Antwort: Es wird sozial erlernt. "Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Klang der Sprache und dem Bildungsgrad des jeweiligen Sprechers. Wir lernen bereits in der Schule Hochdeutsch als Schriftsprache und damit als Standard", erklärt Plewnia.

Bei der Studie des Forschers und seiner Kollegen gaben 60 Prozent der Befragten an, einen Dialekt zu sprechen. Aber auch wer keinen Dialekt spricht, hat meist zumindest eine regionale Färbung.

"Selbst diejenigen, die Hochdeutsch sprechen, werden von anderen Sprechern regional eingeordnet und meist in Niedersachsen oder Norddeutschland verortet", erklärt Plewnia. Diese Einordnung brauchen wir, denn ohne eine Kategorisierung unserer Gesprächspartner, fällt es uns Menschen schwerer, miteinander umzugehen.

Vertrautheit schaffen durch Dialekt

Was man nicht kennt, wird oft negativ bewertet – diese Erfahrung kennen wir (fast) alle aus unserem Alltag. Genauso ist es auch mit der Sprache.

"Wir fühlen uns hingezogen zu Menschen, die ähnlich sprechen wie wir. Sprache ist für die Zusammengehörigkeit enorm wichtig. Sie ist ein wichtiger Identitätsträger für uns Menschen. Was uns nicht vertraut ist, lehnen wir eher ab", so Plewnia.

Dieselbe Sprache wie der Gesprächspartner zu sprechen, kann stressmildernd wirken – zum Beispiel bei Unterhaltungen zwischen Arzt und Patient oder Chef und Angestellten. "Schwierige Situationen können durch dialektale Sprache abgemildert werden. Etwas, das zunächst förmlich und distanziert wirkt, wird durch Halbdialektales ein wenig aufgelöst. Man lässt sich mehr aufeinander ein."

Den Dialekt seines Gegenübers zu adaptieren, würde der Sprachwissenschaftler jedoch nicht empfehlen. "Wer sich eines fremden Dialektes bedient, kann auf Ablehnung stoßen. Man muss darauf achten, dass man authentisch bleibt."

Dialekt als Karrierekiller?

Im Berufsalltag kann die Dialektsprache durchaus auch zum Hindernis werden. In akademischen Berufen sowie in Führungspositionen wird oft vorausgesetzt, dass man Hochdeutsch spricht oder sprechen kann.

Denn im bildungssprachlichen Kontext ist Standarddeutsch meist die Sprache der Wahl. "Ob eine dialektale Färbung zum Vor- oder Nachteil für unsere Karriere ist, ist von den Personenkonstellationen abhängig, in denen wir uns befinden. Spricht der Chef zum Beispiel Schwäbisch wie man selbst, kann das die Karriere pushen. Kann jemand den Dialekt aber nicht leiden, könnte es schwierig werden."

Oft gibt es jedoch auch Stellenbeschreibungen, in denen Dialektkenntnisse vorausgesetzt werden. Und auch in der Politik kann fehlender Dialekt manchmal hinderlich sein: "Ein bayerischer Politiker, der nicht Bairisch spricht, hätte wohl kaum eine Chance, im Freistaat Ministerpräsident zu werden." In Bayern sei die regionale Identität ohnehin ausgeprägter als andernorts.

"Allerdings begrenzt das wiederum auch den überregionalen Erfolg. Ein bayerischer Kanzlerkandidat mit stark regional gefärbtem Sprachgebrauch repräsentiert nicht die Mehrheit der Bevölkerung und würde vermutlich außerhalb Bayerns nicht ohne weiteres akzeptiert werden", so Plewnia.

Wer zwischen Dialekt und Hochdeutsch wechseln kann, ist im Vorteil

Einen ganz klaren Vorteil haben laut Albrecht Plewnia diejenigen, die sich sprachlich – je nach Situation – anpassen können. Wer zwischen dialektalem und hochdeutschem Standard umschalten kann, signalisiert gleichermaßen Zugehörigkeit und Kompetenz. Diese Fähigkeit kann erlernt werden.

Claudia Grönke aus München ist Kommunikationstrainerin und Gesprächspsychologin. Sie bietet gemeinsam mit ihrem Team aus Rhetoriktrainern, Logopäden, Sprechern und Moderatoren "Dialektcoaching" an.

Dabei werden die Unterschiede zwischen dialektaler und hochdeutscher Aussprache analysiert und verschiedene praxis- und alltagsnahe Artikulationsübungen trainiert. "Keiner sollte seinen Dialekt aufgeben oder seine Herkunft verleugnen müssen. Viel besser ist es, wenn Sie wählen können, wie Sie sprechen wollen. Das macht Sie souveräner und zeigt, dass Sie sich sprachlich ganz bewusst ausdrücken können", sagt Grönke.

Genau das wolle sie in ihrem Coaching vermitteln. "So gibt es keine Kommunikationsschwierigkeiten. Sie werden von allen verstanden, beherrschen die Feinheiten der hochdeutschen Sprache und können je nach Anlass einfach zwischen Dialekt und Standarddeutsch wechseln", erklärt Grönke.

Über die Experten: Dr. Albrecht Plewnia ist Leiter Programmbereich "Sprache im öffentlichen Raum" am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.
Claudia Grönke ist Kommunikationstrainerin, Gesprächspsychologin und Logopädin in München.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Albrecht Plewnia und Claudia Grönke
  • Studie: "Aktuelle Spracheinstellungen in Deutschland", Kooperation des Instituts für Deutsche Sprache und des Lehrstuhls für Sozialpsychologie der Universität Mannheim
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