Die Tafel Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag, Bedürftigen zu unterstützen – nicht nur während der Weihnachtszeit, wie ein ehrenamtlicher Helfer im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt.
Ein festlich geschmückter Esstisch, eine frisch zubereitete Weihnachtsgans, leckerer Punsch, Süßigkeiten in Hülle und Fülle und natürlich viele Geschenke für die Liebsten unter dem Weihnachtsbaum – so oder so ähnlich sieht in vielen Familien alle Jahre wieder ein typisches Weihnachtsfest aus. Die Inszenierung eines besonderen Tages, von der zwar viele träumen, die aus finanzieller Sicht jedoch längst nicht für jeden Menschen stemmbar ist – weder an Weihnachten noch während der restlichen 51 Wochen im Jahr. Denn rund ein Fünftel der Menschen in Deutschland war im vergangenen Jahr von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
Es sind Zahlen, die nachdenklich machen – und daran erinnern, wie wichtig entsprechende Hilfsangebote für bedürftige Menschen sind, nicht nur während der Weihnachtszeit. Einen wichtigen Beitrag, Bedürftige zusätzlich zu unterstützen, leistet die Tafel Deutschland. Sie unterstützt 1,6 bis 2 Millionen armutsbetroffene Menschen mit Lebensmittelspenden. Dabei zählen Arbeitslose, Geringverdienende oder Geflüchtete ebenso zu den Bedürftigen wie Alleinerziehende, Familien mit Kindern oder Senioren. Lebensrealitäten, denen auch Rüdiger Jantschik aus Hannover begegnet.
Er ist seit rund 1,5 Jahren einer der bundesweit rund 60.000 Helfer bei der Tafel. Als er 2022 in den Vorruhestand ging, suchte er nach neuen Aufgaben und fand seine Erfüllung im Ehrenamt, wie er im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt: "Vor allem angesichts all der Krisen, wie etwa dem Ukraine-Krieg, ist das, was wir Ehrenamtler tun, eine Kleinigkeit. Und doch hilft eben diese Kleinigkeit den betroffenen Menschen sehr."
"Man versteht, wie schlecht es vielen Menschen geht"
Die von Jantschik beschriebene "Kleinigkeit" ist für viele Bedürftige eine wertvolle Unterstützung – und das 365 Tage im Jahr. Eine höhere Wahrnehmung des Tafel-Angebots rund um die Weihnachtszeit seitens Bedürftiger könne die Organisation demnach nicht verzeichnen, erklärt Andreas Steppuhn, Vorsitzender der Tafel Deutschland auf Anfrage unserer Redaktion.
Denn Bedürftige gibt es das ganze Jahr, demnach werde auch Unterstützung das ganze Jahr über benötigt. Zudem mache Armut "oft auch einsam", führt Steppuhn aus und ergänzt: "Das stellen wir während der kälteren Winter- und Vorweihnachtszeit immer wieder verstärkt fest. Es macht etwas mit den Menschen, nicht über ausreichend finanzielle Mittel zu verfügen, um für die Familie kochen, Geschenke kaufen oder seine Lieben zum Essen einladen zu können. Insofern sind unsere Essensausgaben auch Orte der Begegnungen und des sozialen Miteinanders."
Eben jenes Miteinander erlebt auch Rüdiger Jantschik im Rahmen seines Ehrenamtes. Eine Erfahrung, die für den Mann, der auf 30 Jahre Berufsleben in verantwortungsvollen Positionen blickt, neue Richtungen aufzeigt: "Ich habe in meinem Leben viel gearbeitet und hatte zu Bedürftigen nie einen direkten Kontakt. Durch das Ehrenamt kommt man in den Kontakt mit einem ganz anderen Teil der Gesellschaft und versteht, wie schlecht es vielen Menschen geht. Diese Erkenntnis macht natürlich nachdenklich", reflektiert Jantschik.
Ein Eindruck, den auch Andreas Steppuhn bestätigt: "All unsere 60.000 Helferinnen und Helfer – rund 90 Prozent von ihnen sind Ehrenamtliche – sind mit sehr viel Engagement dabei, obwohl sie häufig an ihre Belastungsgrenzen, und darüber hinaus, gehen. Wir sprechen hier sowohl von physischen als auch von psychischen Belastungsgrenzen, wobei man nicht vergessen darf, dass im Ehrenamt häufig ältere Menschen arbeiten."
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Bedürftige müssen aus Kapazitätsgründen teilweise abgewiesen werden
Wie Steppuhn weiter ausführt, sei die Arbeit bei der Tafel körperlich und mitunter auch stressig: "Lebensmittelspenden müssen abgeholt, sortiert und für die Ausgabe vorbereitet werden, Kisten werden gewaschen. Dazu kommt die psychische Komponente, wenn etwa armutsbetroffene Menschen wegen eines temporären Aufnahmestopps abgewiesen werden müssen. Das macht etwas mit den Menschen."
Dennoch bewahren sich die Helferinnen und Helfer "allen schicksalhaften Begegnungen zum Trotz ihre positive Einstellung – nicht zuletzt, weil sie untereinander zu einer eingeschworenen Gemeinschaft heranwachsen und sich somit gegenseitig unterstützen", so der Vorsitzende.
Eben jene Positivität und das Gefühl des Miteinanders zieht auch Rüdiger Jantschik aus seinem Ehrenamt. "Den Menschen durch das, was man tut, ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern, ist viel wert", blickt er auf die Begegnungen mit unterschiedlichsten Lebensrealitäten bei der Tafel, unterschätzt dabei aber nicht die mentale Herausforderung: "Zu sehen, dass manchmal auch Menschen aus Kapazitätsgründen abgewiesen werden müssen, macht traurig." Das Erlebte nehme man natürlich mit nach Hause, umso wichtiger sei ein transparenter Austausch mit der Familie, Freunden oder eben auch anderen Ehrenamtlern, so Jantschik.
Das Ehrenamt vermittele dem Hannoveraner ein "zwiespältiges Gefühl", fasst er zusammen. "Auf der einen Seite ist es schön, helfen zu können. Auf der anderen Seite macht sich eine gewisse Betroffenheit breit", beschreibt er seine Emotionen mit Blick auf die freiwillige Arbeit: "Festzustellen, dass eine Person, der man ein Stück Kuchen gibt, möglicherweise noch kein Frühstück hatte, konfrontiert mit anderen Lebensumständen und macht verständlicherweise etwas mit einem."
Bei aller Herausforderung – Rüdiger Jantschik hat seine persönliche Erfüllung in der Hilfe Bedürftiger gefunden. Sein und der Beitrag vieler anderer ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer macht die Arbeit einer sozialen Organisation wie der Tafel erst möglich. Trotzdem rufen die Verantwortlichen den Staat zu mehr Hilfe und Verantwortung auf. "Der Staat hat die Sorgfaltspflicht für seine Bürgerinnen und Bürger und muss dafür sorgen, dass es keine Armut gibt bzw. Armut gelindert wird", mahnt Steppuhn.
Eigentlich seien die Angebote der Tafeln als zusätzliche Unterstützung gedacht, macht er deutlich und ergänzt: "Der Staat darf sich nicht darauf ausruhen, dass es die Tafeln gibt. Immer wieder hören wir von Situationen, in denen Geflüchtete von Ämtern gezielt zur Tafel geschickt wurden, um mit Lebensmitteln ausgestattet zu werden. Dabei ist es nicht die Aufgabe der Tafeln, zu versorgen. Wir unterstützen und können nur das geben, was an Spenden da ist."
"Die Menschen möchten zum Fest der Liebe etwas Gutes tun"
Von Armut bedrohte Menschen benötigen das ganze Jahr über Unterstützung. Natürlich sind sowohl die Tafeln als auch die Helfenden und Bedürftigen dennoch immer wieder dankbar für Hilfsangebote und Spenden der Menschen rund um die Festtage. Vor allem die Spendenbereitschaft von Privatpersonen werde im letzten Quartal des Jahres und vor allem um die Weihnachtszeit herum spürbar mehr, verzeichnet Steppuhn die Anteilnahme der Menschen.
"Das hat natürlich mit Weihnachten zu tun, die Menschen möchten zum Fest der Liebe etwas Gutes tun", weiß er. Grundsätzlich spüre man eine hohe Solidarität seitens der Gesellschaft, wofür man bei der Tafel sehr dankbar sei. "Auch seitens des Einzelhandels erhalten wir über das Jahr Spenden oder es gibt spezielle Aktionen, bei denen Kundinnen und Kunden ausgewählte Produkte kaufen können, die anschließend an die Tafeln gespendet werden", ordnet der Tafel-Vorsitzende ein.
Weihnachten ist einmal im Jahr. Armut und soziale Ausgrenzung ist für die Betroffenen jedoch tagtäglich spürbar. Eine Lebensrealität, der auch Rüdiger Jantschik im Rahmen seines Ehrenamtes immer wieder begegnet und an das Bewusstsein der Menschen appelliert: "Man darf nicht vergessen, dass die bedürftigen Menschen keine Einzelschicksale sind – wir sprechen hier von einem großen Teil der Gesellschaft."
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