Knigge ist zum Synonym für Etikette geworden. Es klingt steif, angestaubt, nach gestärktem Hemd und förmlichem Knicks. Wie man sich exakt nach Knigge verhält, weiß allerdings kaum jemand. Haben die Benimmregeln heute überhaupt noch Relevanz?

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Wer über "den Knigge" spricht, meint damit einen Regelkatalog, der die angemessenen Umgangsformen bei jeder gesellschaftlichen Situation festlegt.

Wie übergibt man seinem Gastgeber formvollendet ein Geschenk? Wie deckt man einen Tisch stilsicher? Wie stellt man einander korrekt vor?

Knigge selbst hat kein Benimmbuch verfasst

Tatsächlich war "der Knigge" der Schriftsteller Adolph Freiherr von Knigge, der im Jahr 1788 das Buch "Über den Umgang mit Menschen" veröffentlicht hat und damit zum Stilpapst avancierte.

Dies allerdings unabsichtlich. Denn Knigge schrieb damals keine Benimmfibel, sondern ein soziologisches Werk über den richtigen Umgang miteinander.

Die Kapitel heißen etwa: "Über den Umgang mit Kindern", "Über den Umgang mit Jähzornigen" oder auch "Über den Umgang mit sich selbst".

Ziel seines Buches war es, "in dieser Welt und in Gesellschaft mit anderen Menschen glücklich und vergnügt zu leben und seine Nebenmenschen glücklich und froh zu machen".

Auf Regeln à la "so verwendet man Messer und Gabel richtig" ging er darin überhaupt nicht ein. Er selbst soll der Elite gegenüber auch weit kritischer eingestellt gewesen sein, als man das von der Benimmikone erwarten würde.

Mit jeder neuen Auflage kamen Regeln dazu

Bald schon avancierte das Werk zum Verkaufshit. Nach und nach und Auflage um Auflage wurden Regeln hinzugefügt.

Moritz Freiherr Knigge, ein Nachfahre Knigges, gab im Jahr 2004 mit "Spielregeln - wie wir miteinander umgehen sollten", eine moderne Fassung des Klassikers heraus.

Immer wieder wird Moritz Freiherr Knigge heute in den Medien um seine Einschätzung gebeten. Etwa wenn es darum geht, das Verhalten Donald Trumps zu bewerten.

Wie ist dessen außergewöhnlich langer Handschlag mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu deuten?

Die Antwort des Experten gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Das ist tatsächlich weniger ein Gruß als ein Spiel. Trump reißt die Leute an sich heran, wie ein kleiner, trotziger Junge."

Heute gibt es zahlreiche Knigge-Seminare zu den unterschiedlichsten Bereichen. Auf "knigge.de" finden sich eine ganze Reihe von Benimmregeln und praktischen Tipps, kategorisiert in Bereiche wie "Bei Tisch", "Kommunikation", "Gesellschaft" oder "Kleidung".

Mitverantwortlich für den Inhalt: Rechtsanwalt Alexander von Knigge, ebenfalls ein Nachkomme des Freiherrn. Der Name Knigge scheint also noch heute Verpflichtung und Geschäftsmodell zugleich zu sein.

Wie verhalte ich mich korrekt?

Auf knigge.de sind Regeln zu lesen wie: "Muss man selbst, oder aber eine andere Person in einem Raum niesen, ignoriert man dies als einen unerheblichen Zwischenfall. Dieser sollte nicht durch ein schallendes "Gesundheit!" zu einem Drama gesundheitlichen Verfalls verfremdet werden."

Oder über die richtige Kleiderordnung im Sommer: "Auch bei hohen Celsius Graden darf Frau sich nicht entkleiden. Deshalb ist bei öffentlichen Auftritten für die Damenwelt über 18 absolutes Tabu: Spaghettiträger und bauchfrei!"

Die Relevanz der Verhaltensregeln heute

Für wie relevant und sinnvoll man diese Tipps erachtet, muss jeder für sich entscheiden. Jedenfalls darf sich die Seite über hohe monatliche Klickzahlen und zahlreiche Anfragen zum korrekten Verhalten in dieser oder jener Situation freuen.

Es scheint, als seien in unserer Gesellschaft, in der immer mehr möglich ist, viele Menschen auf der Suche nach Orientierung.

Gerade im beruflichen Kontext, besonders wenn man sich auf internationales Parkett begibt, wo andere Verhaltensregeln üblich sind, sind Seminare und interkulturelle Trainings im Vorfeld sicherlich sinnvoll.

Wie weit man sich auch in anderen Lebensbereichen an Benimmregeln halten will, darf jeder selbst festlegen. Manche Regeln wirken heute sehr angestaubt, ein höflicher und respektvoller Umgang miteinander hingegen ist zeitlos.

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