Der Epidemiologe Gérard Krause hat in einem Interview mit dem ZDF vor den Folgen der Anti-Corona-Maßnahmen gewarnt. Er befürchtet, dass Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zu mehr Toten führen könnten als das Virus selbst. Wir haben mit der Diplom-Psychologin und Autorin Elisabeth Raffauf über die These des Wissenschaftlers gesprochen.
Frau Raffauf, wie schätzen Sie die These ein, dass Kontaktsperren gefährlicher sind als das Coronavirus selbst?
Um das beurteilen zu können, müsste ich mich in allen Bereichen gleichermaßen auskennen, das tue ich nicht. Mein Eindruck ist, dass man die verschiedenen Aspekte und Bereiche nicht gegeneinander ausspielen sollte, sondern sie zusammennehmen und dann zu einer ausgewogenen Lösung kommen sollte.
Aber natürlich sind Kontaktsperren für manche Personen sehr belastend und haben möglicherweise erhebliche Konsequenzen.
Was bedeutet das konkret? Welche negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung können Einschränkungen der Bewegungsfreiheit mit sich bringen?
Ich bin natürlich auch keine Ärztin, aber aus psychologischer Sicht besorgt mich vor allem die Situation von Kindern, die in schwierigen Verhältnissen leben. Also die Eltern haben, die psychisch krank oder gewalttätig, alkohol- oder drogenabhängig – oder schwer in der Lage sind, ihren Nachwuchs gut zu versorgen.
Auf diese Kinder schaut zurzeit niemand, da sie nicht in der Kita oder in der Schule sind. Besonders kleine Kinder sind nicht in der Lage, sich Hilfe zu holen. Wenn sie jetzt noch mehr Gewalt oder psychische Qualen erleiden müssen, wovon man leider ausgehen muss, ist das katastrophal und wird weitreichende Folgen in der Zukunft haben.
Wer hat es alleine zuhause noch besonders schwer?
Menschen, die zur Depression neigen und die schon vorher wenig Kontakte hatten, aber zum Beispiel einen Tagesablauf mit Einkäufen und Begegnungen mit Nachbarn. Wenn für sie jetzt auch das wegbricht und das Gefühl entsteht, dass es eigentlich egal ist, was sie tun, ist das sehr schlimm.
Aber auch Menschen mit anderen psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Zwangs- oder Angsterkrankungen werden wahrscheinlich in ihren Ängsten weiter getriggert.
Welche Auswirkungen befürchten Sie für diese Personengruppen?
Dass es noch viel schwieriger für sie wird, da wieder heraus zu kommen. Also, dass die Ängste und Zwänge zunehmen und ein "normales" Leben für sie immer schwieriger wird.
Wie kann man den Betroffenen helfen – privat und professionell?
Privat kann man sich umgucken. Wen kenne ich, der Kontakt und Zuwendung gebrauchen kann? Um wen kann ich mich kümmern? Das kann für den anderen wohltuend sein, aber auch für mich selbst.
Professionell gesehen wäre es gut, wenn Helfer, die belastete Personen kennen, sich aktiv bei ihnen melden und versuchen den Kontakt zu halten.
Glauben Sie, dass gezielte Maßnahmen, Risikogruppen zu schützen, sinnvoller sind, als pauschale Maßnahmen?
Ich glaube, dass es gut ist, sehr differenziert zu gucken, was wichtig ist und wer was braucht und wie man alle Aspekte in Entscheidungen mit einbeziehen kann. Gleichzeitig sind Differenzierungen oft schwieriger allen verständlich zu machen.
Diese Frage muss mit bedacht werden: Wie können wir Maßnahmen gut kommunizieren, so dass sie von möglichst vielen Menschen verstanden werden?
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