- Kreativität zählt eigentlich als positive Eigenschaft.
- Forscherinnen und Forscher haben jetzt allerdings herausgefunden, dass wir Kreativität in bestimmten Situationen als schädlich und störend empfinden.
Neue, innovative Ideen oder künstlerisches Talent schätzen viele Menschen nicht so wert, wie sie möglicherweise vorgeben. Unter anderem zu diesem Schluss kommt die Studie "Implicit impressions of creative people: Creativity evaluation in a stigmatized domain". Demnach sehen wir Kreativität in bestimmten Situationen unterbewusst als schädlich und störend an. Dies kann dazu führen, dass innovative Projekte nicht umgesetzt werden – oder kreative Mitarbeitende nicht eingestellt werden.
In der Studie ermittelten die Forschenden, wie voreingenommen Menschen gegenüber kreativer Arbeit sind und wie sich das auf Arbeitnehmende auswirkt. Dazu teilten sie Probanden in zwei Gruppen ein. Beide bekamen Informationen zu einem hypothetischen Stellenbewerber namens Michael, der als innovativ und unternehmerisch bezeichnet wurde. Bei der einen Gruppe hatte er seine Kreativität genutzt, um einen Laufschuh zu entwickeln, bei der anderen Gruppe für ein Sexspielzeug.
Soziale Stigmatisierung trübt unsere Wahrnehmung
Das Ergebnis: Die Gruppe, bei der Michael einen Laufschuh entwickelte, bezeichnete ihn als kreativer und innovativer als die andere Gruppe. Bei einem weiteren Test zeigte sich allerdings, dass die beiden Gruppen Michael unterbewusst als gleich kreativ ansahen. Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass die soziale Stigmatisierung unsere Wahrnehmung von Kreativität trübt. "Es ist nicht fair, dass der Erfinder eines Schuhs ausdrücklich als kreativ bezeichnet wird und der Erfinder eines Sexspielzeugs nicht", zitiert die "New York Times" den Hauptautor und Wirtschaftsprofessor an der University of Illinois in Urbana-Champaign Jack Goncalo.
"Wir ziehen die Möglichkeit in Betracht, dass Menschen, die sich dafür entscheiden, in [einem stigmatisierten] Bereich zu arbeiten und kreative Beiträge zu leisten, möglicherweise nicht als kreative Menschen bewertet werden, einfach weil die Bewerter das Thema nur ungern ansprechen - geschweige denn Kreativität in diesem Kontext enthusiastisch befürworten", schreiben die Forscherinnen und Forscher der Studie weiter.
Kreativität wird sowohl positiv als auch negativ ausgelegt
Goncalo sagt: "Menschen haben tatsächlich starke Assoziationen zwischen dem Konzept der Kreativität und anderen negativen Assoziationen wie Erbrechen und Gift." Das zeigte sich bereits bei einer weiteren Studie im Jahr 2012. Dabei hatte ein Team rund um Goncalo herausgefunden, dass Menschen, die sich unsicher fühlen, Kreativität weniger wertschätzen als Menschen, die sich in ihrem Umfeld sicher fühlen. Ungewissheit mache die Menschen weniger fähig, Kreativität zu erkennen, "vielleicht gerade dann, wenn sie sie am meisten brauchen", heißt es in der Studie.
Daraus schlussfolgern die Wissenschaftler nach Einbezug der neuesten Studie, dass Führungskräfte Bewerberinnen oder Bewerber, die besonders kreativ erscheinen, womöglich nicht einstellen. Der Grund: Kreativität bedeute Veränderung, ohne die Gewissheit wünschenswerter Ergebnisse.
"Da es eine so starke soziale Norm gibt, die Kreativität befürwortet, und die Menschen auch eine authentische positive Einstellung zur Kreativität haben, geben sie möglicherweise nur ungern zu, dass sie keine Kreativität wollen", schreiben die Studienautoren. Deshalb sei die Voreingenommenheit gegen Kreativität besonders schwer festzustellen.
Verwendete Quellen:
- Sciencedirect.com, Studie: "Implicit impressions of creative people: Creativity evaluation in a stigmatized domain"
- Association for Psychological Science: "The Bias Against Creativity: Why People Desire but Reject Creative Ideas"
- "The New York Times": "We Have a Creativity Problem" (16. April 2022)
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