Hier werden Horrorfans bis an die Grenze des Erträglichen gebracht: Tiefkühltruhen, Särge und literweise Kunstblut stehen auf der Tagesordnung.

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Ein amerikanisches Gruselanwesen stellt Horrorfans jährlich vor eine unmögliche Mutprobe. Während manche Menschen bereits Angst vor einer Jahrmarkt-Geisterbahn haben, gehen andere bis an die Grenze der Folter um den besonderen Kick der Angst zu erleben. Das "McKamey Manor" macht’s möglich.

An mittlerweile zwei Standorten, in Tennessee und Alabama, betreibt Russ McKamey einen real gewordenen Albtraum: die Horroranwesen "McKamey Manor".

Waterboarding, Fesseln, Einsperren und das Essen von lebendigen Kriechtieren gehören zum Programm.

Aus Videos des Betreibers und von der offiziellen Website erfährt man, dass, bevor es losgeht, die angehenden Teilnehmer einen 40-seitigen Vertrag unterschreiben müssen, indem sie sich ausdrücklich damit einverstanden erklären, dass eventuelle Knochenbrüche, Schnitte oder andere Verletzungen auftreten können. Darin bestätigen sie auch, dass die Teilnahme freiwillig erfolgt. Den vollständigen Vertrag bekommen nur die angehenden Besucher zu Gesicht, öffentlich ist dieser nicht.

Bekannt ist aber, dass auf teure Kleidung und Wertgegenstände auf jeden Fall verzichtet werden sollte. Menschen, die unter Herzproblemen leiden, wird streng von einem Besuch abgeraten.

Die Idee hinter dem Konzept? Sei das Opfer in deinem eigenen Horrorfilm. Was genau die Teilnehmer auf dem Weg erwartet, wissen sie im Vorfeld nicht. Die Touren mit etwa zwei bis drei Personen variieren von Mal zu Mal.

Niemand hat die Horror-Tour je beenden können

Die volle Tour kann laut der offiziellen Website des Horroranwesens bis zu zehn Stunden und länger dauern, doch durchgehalten hat das bislang noch keiner. "Wenn es dir zu viel wird, kannst du immer aufhören… falls wir dich lassen", heißt es auf der Website des Betreibers.

In einem Interview mit der britischen Zeitung "The Guardian" erzählt dieser: "Das McKamey Manor ist eigentlich eine Überlebens-/ Bootcamp-Erfahrung." Auch eine Herzattacke sei bereits vorgekommen. "Das war gutes Material", sagt er diesbezüglich im "Guardian"-Interview (Achtung: Dieser Inhalt ist nicht jugendfrei).

Es gibt kein "Safeword"

Mehrfach werden potentielle Teilnehmer im Vorfeld gewarnt, die Tour nicht anzutreten. Sowohl auf der offiziellen Website, im Vertrag und von Russ McKamey selbst. "Du weißt nicht, worauf du dich einlässt", sagt der Betreiber.

Wollen Mutige die Tour dennoch antreten, müssen sie ein ärztliches Schreiben vorweisen, das bestätigt, dass sie sowohl physisch als auch geistig gesund sind. Außerdem müssen die Teilnehmer volljährig sein und dürfen nicht unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen.

"Es gibt kein Safeword", heißt es. Im "Guardian"-Video wird Ryan Lawrence, einer der Folter-Akteure des McManor Kamey, gefragt: "Woher weißt du, wann du eine Grenze ziehen musst?"

Die Antwort? "Bei mir gibt es keine Grenze. Wenn sie sagen sie können nicht gehen, sie können nicht mehr aufstehen, dann schleife ich sie weiter."

McKamey filmt das Geschehen

In der Beschreibung der offiziellen Website des Horroranwesens heißt es, dass intensive Geräusche, Blitze, Nebeleffekte und physisch anspruchsvolle Umgebungen sowie Nahkontakt mit den Kreaturen zur Tour gehören. Eine nahezu harmlose Umschreibung. Teilnehmer werden unter anderem geschlagen, eingesperrt, mit dem Kopf in eine Kloschüssel getunkt und auch das Haareabschneiden kommt häufig vor.

Doch damit nicht genug: Das Geschehen wird die ganze Zeit vom Besitzer Russ McKamey selbst gefilmt. Zusammenschnitte veröffentlicht er im Anschluss auf seinem YouTube-Kanal.

"Das gesamte Szenario fühlt sich sehr echt an"

Brady McDonald, eine ehemalige Teilnehmerin, erzählte der Tageszeitung "Los Angeles Times": "Das gesamte Szenario, obgleich es klar gespielt ist, fühlt sich sehr echt an. Und überhaupt nicht wie ein paar Typen in Halloweenkostümen, die versuchen dir Angst einzujagen."

In ihrer Beschreibung erzählt sie, wie Teilnehmer mit dem Kopf in einen Käfig gesteckt, in einen Sarg gelegt und in einer Kühltruhe eingesperrt werden.

Am Ende der Tour gibt es immer Tränen. Manche Teilnehmer liegen am Boden, kauern in der Ecke, weinen - aus Erschöpfung, Angst, Erleichterung oder Schock.

Zu der Reise-Webseite "Travelbook" sagte McKamey: "Sobald du in Panik verfällst, haben wir dich. Ab dann gibt es keinen Weg zurück zu einem klaren Kopf."

Tausende bewerben sich für das Horrorhaus

Geld verlangt der Besitzer für die Teilnahme übrigens nicht. Lediglich vier Dosen Hundefutter nimmt er von den Besuchern als Eintrittspreis, die er an eine Tierschutzorganisation für Windhunde spendet.

Trotz etlicher Warnungen, Berichte von ehemaligen Besuchern und Reviews bewerben sich weiterhin Tausende für das Horrorhaus. McKamey selbst entscheidet, wem er am Ende Zutritt gewährt.

Warum tun sich Menschen so etwas an?

René Hurlemann ist stellvertretender Direktor der Abteilung "Medizinische Psychologie" an der Universität Bonn. Er erklärt, warum sich Menschen so etwas antun.

"Das können ganz unterschiedliche Motive sein", so Hurlemann. "Das eine ist die Gruppe der Sensation Seekers." Unter diesen verstehe man Menschen, die meist sehr extrovertiert seien und ständig neue, interessante Dinge erleben müssen, um eine Art Belohnungsgefühl zu empfinden. Auch Neugier als Motiv spiele eine gewisse Rolle.

"Dann gibt es Menschen mit masochistischer Motivation", erklärt Hurlemann, "die sexuelle Erregung dabei empfinden und sich so spüren können."

"Es ist so ähnlich, wie wenn man auf ein Karussell steigt."

Genauso gäbe es aber auch Leute, die gar nicht in eine derartige Richtung ausschlagen. Diese würden erst vor Ort merken, dass sie sich auf etwas eingelassen haben, was laut Hurlemann viel zu viel für sie sei und die Grenzen dessen, was sie ertragen können, weit übersteige.

"Es ist so ähnlich, wie wenn man auf ein Karussell steigt. Am Anfang sucht man noch den Nervenkitzel, den Kick. Aber dann verändert sich die Situation. Dann steht der Nervenkitzel nicht mehr im Vordergrund, sondern man wird sich seiner ganzen Hilflosigkeit bewusst und kommt an seine Grenzen."

So seien Menschen, die solche Situationen suchen auch Menschen, die ihre persönlichen Grenzen suchen. "Dann stellen sie aber fest, dass die Situation diese übertrifft", so Hurlemann. "Aber dann sind keine Ressourcen mehr da. Dann kollabieren sie, brechen zusammen, weinen und sind enorm gestresst."

"Man verliert den Kontakt zur Realität"

Aber mit welchen psychischen Gefahren müssen die angehenden Besucher rechnen, wenn sie sich auf eine solche Horrortour einlassen?

Für eine Konfrontation mit Situationen, die die eigene Erträglichkeitsgrenze überschreiten, nennt Hurlemann zwei mögliche Reaktionen:

"Wenn ein Mensch gefoltert wird, dann kommt es sehr häufig zu einer Dissoziation." Dissoziation bedeutet, dass sich bestimmte Bereiche der bewussten Wahrnehmung abspalten. Demnach öffne sich im Bewusstsein eine Nische, in die man verschwinden könne.

Eine andere Reaktion, sei aber auch die sogenannte psychotische Reaktion, bei extremen Formen von Gefühlsempfindungen.

"Das bedeutet die Menschen verlieren den Kontakt zum Hier und Jetzt", erklärt der Psychiater. "Es stellen sich sogenannte Derealisations- und Depersonalisationsprozesse ein. Man fühlt sich wie im falschen Film, wie im falschen Körper, man verliert den Kontakt zur Realität und kann es nicht mehr abgleichen."

Trotz der veröffentlichten Videos auf YouTube und Warnungen der Teilnehmer sowie nicht zuletzt von Russ McKamey selbst, scheint "McKamey Manor" eine unheimliche Anziehung auf viele Menschen auszuüben.

Um die schlimmsten Stunden seines Lebens zu verbringen, tun Fans so manches: Neben dem Bewerbungsverfahren werden Wartelisten-Plätze in Kauf genommen und sogar teure Flüge quer durch die Welt nach Amerika bezahlt. Was im Detail hinter den Türen der Horrorhäuser passiert, bleibt jedoch für alle Außenstehenden ein schauriges Geheimnis.

Prof. Dr. René Hurlemann ist Psychiater und Professor an der Universität Bonn. 2013 wurde er dort zum Leiter der Abteilung "Medizinische Psychologie" ernannt. Seit 2015 ist er stellvertretender Direktor der Abteilung für Psychiatrie.
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