Der Politikwissenschaftler Michael Hunklinger erklärt im Interview, mit welchen typischen Klischees sich homosexuelle Menschen noch immer konfrontiert sehen und wie die Politik Queerfeindlichkeit für sich instrumentalisiert.
Wie steht es um die Akzeptanz, Sichtbarkeit und Sicherheit queerer Menschen im Jahr 2024? Und warum spielt Queerfeindlichkeit in der Politik eine so große Rolle?
Im Gespräch mit unserer Redaktion hat der Politikwissenschaftler Michael Hunklinger diese Fragen beantwortet und einen Einblick in die Lebensrealität der LGBTQ+-Community gegeben.
Herr Hunklinger, warum gehören sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nach wie vor zu den am meisten diskutierten und polarisierenden Themen in unserer Gesellschaft?
Michael Hunklinger: Blickt man auf die Umfragen der vergangenen Jahre, gibt es in Deutschland und Österreich eine große Mehrheit von Menschen, die für die Ehe für alle oder mehr Akzeptanz gegenüber der LGBTQ+-Community sind. Gleichzeitig blicken wir aber auf ebenso eine starke Polarisierung. Hier kommt der Kulturkampf, der etwa aus den USA oder anderen Ländern immer mehr zu uns hinüberschwappt, ins Spiel. Denn mit Blick auf sexuelle Orientierungen sprechen wir von einem Thema, das sich vor allem von Rechtspopulisten und -populistinnen sehr gut instrumentalisieren lässt, um sich vom sogenannten Mainstream abzugrenzen.
Wenn es um die Sichtbarkeit der Lebensrealitäten queerer Personen geht, treten unweigerlich Debatten um eben diese Lebensrealitäten auf. Wer tritt diese Debatten los?
Wenn wir auf Deutschland im Jahr 2024 blicken, fällt häufig der Vorwurf, es handele sich bei der LGBTQ-Community um eine laute, schrille Minderheit, die sich in die Öffentlichkeit drängt. Dabei haben wir schon die meisten Rechte. Ja, es gibt diese besagte laute, schrille Minderheit. Das ist meiner Meinung nach aber nicht die Queer-Community, sondern vielmehr sind es vor allem Rechtspopulisten und -populistinnen. Sie machen die Debatten um queere Lebensrealitäten immer wieder zum Thema, wie etwa die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz gezeigt hat.
Erklären Sie uns das bitte einmal genauer.
Über 90 Prozent der Menschen werden durch das Selbstbestimmungsgesetz in ihrem Leben nicht beeinflusst, während es das Leben für einige Menschen aber so viel besser macht. Nichtsdestotrotz polarisiert das Selbstbestimmungsgesetz und eine Minderheit kann sich darüber aufregen und Narrative spinnen.
Experte beklagt Diskussionen auf Meinungs-, nicht auf Faktenbasis
Bleiben wir beim Selbstbestimmungsgesetz: Mit der Verabschiedung wurden auch viele Falschmeldungen rund um das Gesetz und die Realitäten von trans Menschen verbreitet. Wie erklären Sie sich einen solchen Schneeballeffekt?
Hier sehen wir ein Muster, das wir generell beobachten, wenn es um Minderheiten geht. Es wird mehr mit Meinungen und weniger mit Wissen und Fakten operiert. Eine US-Umfrage etwa hat ergeben, dass Menschen, die mit trans Personen in Kontakt kommen, viel weniger transfeindlich sind als jene, die noch nie Kontakt mit einer trans Person hatten. Das Problem hier ist, dass Menschen, die unwissend bezüglich eines Themas sind, aber glauben, dass sie sehr viel darüber wissen. Zudem spielen hier auch Emotionen eine große Rolle.
Im Rahmen Ihrer Forschung ist Ihr Essay "Pride" erschienen. Wen sprechen Sie damit konkret an? Die Queer-Community oder jene Menschen, die mehr rund um Themen wie Gleichberechtigung lernen wollen?
Für mich ist die breite Gesellschaft die Zielgruppe des Buches, weil es eben kein Nischenthema behandelt. Themen wie Homophobie gehen uns alle etwas an. Homophobie ist nicht nur ein Thema, mit dem sich Schwule und Lesben auseinandersetzen müssen. Es ist immer auch ein Zeichen dafür, wie offen eine Gesellschaft ist und wie stabil eine Demokratie funktioniert.
Welche Vorurteile möchten Sie mit Ihrem Essay aus dem Weg räumen?
Da gibt es viele. Zum Beispiel das Vorurteil, dass schwule Männer oder lesbische Frauen immer nur über sich, ihre Sexualität und Sex sprechen wollen. Das ist falsch. Sie wollen ganz oft einfach in Ruhe ihr Leben leben dürfen. Indem die Sexualität homosexueller Menschen aber nach wie vor für viele Menschen relevant ist, werden sie dazu gedrängt, immer wieder über diese Themen zu sprechen. Darüber hinaus möchte ich gerne das Klischee rund um den vermeintlich lustigen schwulen besten Freund und die handwerklich begabte Lesbe beseitigen. Natürlich gibt es auch hier einen wahren Kern – dennoch sind Menschen deutlich diverser als diese Stereotypen.
Stereotype, die von Heterosexuellen geschürt werden …
Ganz genau. Ein weiteres Vorurteil beobachte ich mit Blick auf Beziehungen homosexueller Menschen. Hier gilt das Narrativ, dass vor allem schwule Männer sehr promiskuitiv leben. Doch nicht jeder Schwule ist ausschließlich auf schnellen Sex oder wechselnde Partner aus. Natürlich mag das für einen Teil der Schwulen gelten – genauso gilt dies aber auch für einen Teil der Heterosexuellen. Hier frage ich mich also: Warum ist es bei manchen Menschen relevant, mit wem sie Sex haben und bei anderen wiederum nicht?
Um bei der Instrumentalisierung zu bleiben: Warum spielt Queerfeindlichkeit in der Politik eine so große Rolle und wird entsprechend instrumentalisiert?
Queerfeindlichkeit wird häufig als Thema genutzt, mit dem sich von der Mitte der Gesellschaft abgehoben wird. Dabei werden viele Faktoren miteinander vermischt: sexuelle Orientierung, Genderideologie, Gendern an sich – alles wird gewissermaßen in einen Topf geworfen und ein angeblich "nicht-normales" Feindbild konstruiert.
Ein Feindbild, das häufig funktioniert …
So ist es. Es funktioniert zum einen als Marker, um Parteien für sich abzugrenzen, aber auch für einige Wählerinnen und Wähler, die sich eine Zeit, die vermeintlich besser war, zurückwünschen.
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Wie steht es um die Sicherheit queerer Menschen?
Das ist ein komplexes Thema. Man kann im Großen und Ganzen sagen, dass queere Menschen auf Pride-Paraden in der Regel ziemlich sicher sind. Verschiedene Vorfälle, etwa in Wien, haben zuletzt aber gezeigt, dass es wiederum zu Angriffen außerhalb der Paraden kam. Heißt: Auf dem Event sind die Menschen sicher, auf dem Weg nach Hause nicht. Gesamtgesellschaftlich steigen diese Zahlen entsprechend an, was natürlich auch damit zu tun hat, dass queere Menschen sich immer mehr trauen, in die Öffentlichkeit zu gehen.
Sollte es dementsprechend mehr Safe Spaces, mehr geschützte Räume, geben?
Ja, das sollte es. Ich lebe als schwuler Mann in Wien und Amsterdam und somit in Städten, in denen ich mich sehr gut bewegen kann. Das gilt natürlich längst nicht für jeden Menschen in der Community. Indem es immer mehr Akzeptanz bezüglich queerer Lebensrealitäten von der Gesellschaft gibt, gehen gleichermaßen viele Safe Spaces jedoch verloren. Insofern ist der Fortschritt auch immer ambivalent. Hier kann das Internet mit den sozialen Medien wiederum für einen gewissen Ausgleich sorgen, das Ganze aber ebenso mit Blick auf den Hass einiger Menschen katalysieren.
Inzwischen blicken wir auf das Selbstbestimmungsgesetz oder auch auf die Ehe für alle, die 2017 in Kraft getreten ist. Wo stehen wir im Jahr 2024, wenn es um die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung queerer Menschen geht?
Die rechtlichen Errungenschaften sind die Basis, die wir brauchen und die nicht zurückgenommen werden dürfen. Dennoch sprechen wir von den ersten Schritten. Es braucht nicht nur Toleranz, sondern auch Akzeptanz. Ebenso braucht es mehr Sichtbarkeit und mehr Diversität. Homo- und Transphobie sind kein Nischenthema, sondern ein gesamtgesellschaftliches Thema.
Über den Gesprächspartner
- Michael Hunklinger ist ein Politikwissenschaftler und Autor. Derzeit forscht und lehrt er zu den Themen Diversität und Ungleichheit an der Universität Amsterdam, zudem arbeitet er in diversen internationalen Projekten, die sich vor allem mit Fragen von politischer Partizipation und Repräsentation von LGBTQ+-Personen beschäftigen.
Verwendete Quellen
- pewresearch.org: Americans’ Complex Views on Gender Identity and Transgender Issues
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