- Die Diskussion ums Gendern hat sich zu einem regelrechten Kulturkampf ausgeweitet.
- Welche Grundlagen bietet unsere Grammatik eigentlich für geschlechtergerechte Sprache?
- Eine nähere Analyse zeigt, dass es Faktoren gibt, die bisher in der Diskussion kaum Beachtung finden.
Bei kaum einem Thema kochen die Emotionen derart hoch wie bei der Diskussion ums Gendern. Ein wichtiger Schritt, um Gleichberechtigung herzustellen, argumentieren die einen. Verschandelung der Sprache, sagen die anderen. Welchen Rahmen bietet aber eigentlich die deutsche Sprache?
Im Mittelpunkt der Debatte steht meist das sogenannte "generische Maskulinum". Früher wohl nur Grammatik-Insidern bekannt, ist der Begriff heute in aller Munde. Das generische Maskulinum bezeichnet laut Wikipedia die "geschlechtsneutrale Verwendung maskuliner Substantive oder Pronomen". Benutzt jemand also das Wort "Politiker", sind damit auch Politikerinnen gemeint.
Beruhen also die Bemühungen um "geschlechtergerechte Sprache" nur auf einem Missverständnis – der Verwechslung von grammatischem (genus) und biologischem Geschlecht (sexus)? Denn – um beim Beispiel zu bleiben – das Wort "Politiker" ist zwar grammatisch maskulin, deutet aber auf keinerlei biologisches Geschlecht hin.
Testen Sie Ihr Wissen: Diese Wörter sind erst seit Kurzem im Duden
Generisches Maskulinum – sind Frauen wirklich nur "mitgemeint"?
Trotzdem seien Frauen nur "mitgemeint", ist ein oft gehörtes Argument. Doch auch dieses läuft schnell ins Leere, ist doch das generische Maskulinum eine explizit geschlechtsneutrale Formulierung. Das betont auch der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg. "Frauen sind nicht mitgemeint, sondern als Gruppe gar nicht gemeint, ebenso wie Männer gar nicht gemeint sind", sagt Eisenberg im Online-Magazin des Stifterverbandes. "Wer das generische Maskulinum verwendet, ist vom Bezug auf ein natürliches Geschlecht befreit, er formuliert allgemeiner."
Umfragen zeigen, dass der weitaus überwiegende Teil der Menschen Gendern ablehnt. Mehr noch: Der Rat für deutsche Rechtschreibung, die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung, rät davon ab, Formen wie den Gender-Stern in das amtliche Regelwerk zu übernehmen. Davon unbeeindruckt, haben Genderstern und Binnenmajuskel (das große "I" innerhalb eines Wortes) längst ihren Siegeszug angetreten.
Tücken der deutschen Grammatik: Wenn Männer plötzlich weiblich sind
Dabei ist das generische Maskulinum nur eine von vielen grammatischen Phänomenen, die Verwechslungspotenzial bieten. Das Personalpronomen für die dritte Person Plural etwa lautet im Deutschen "sie". Ein Beispiel: "Die Männer standen beisammen. Sie unterhielten sich."
Obwohl sich in der Gruppe im Beispiel ausschließlich Männer befinden, werden diese mit "sie" bezeichnet. Selbst bei tausend testosterontriefenden Kriegern würde man das Pronomen "sie" verwenden. Dass das alles andere als selbstverständlich ist, zeigt ein Blick ins Französische. Dort werden Gruppen von Frauen mit dem grammatisch weiblichen "elles" bezeichnet. Bei einer Gruppe von Männern verwendet man das Pronomen "ils". Kommt jedoch zu einer Gruppe von tausend Frauen nur ein einziger Mann hinzu, wäre die grammatisch korrekte Form wiederum "ils".
Dieses Phänomen spielt in der Debatte um Geschlechtergerechtigkeit jedoch keine Rolle. Es zeigt, wie schwierig es tatsächlich wird, wollte man konsequent den Unterschied zwischen genus und sexus ignorieren.
Lesen Sie auch: "Deutsche Sprache verkümmert": Heinz Rudolf Kunze hält nichts vom Gendern
Weiblich ist höflich – warum Sprache niemals exakt ist
Ein weiteres Beispiel, das wir tagtäglich nutzen, ist die Höflichkeitsform. Sie lautet im Deutschen "Sie". Dabei ist es doch durchaus denkbar, dass Männer es als unhöflich empfinden könnten, mit "Sie" angesprochen zu werden. Allerdings würde es wohl endgültig im Chaos enden, wollte man alle grammatischen Formen durchgendern.
Auch wenn das nicht möglich ist – wäre es nicht zumindest ein Ideal, dem wir nacheifern sollten? Sprache so genau wie möglich und möglichst inklusiv zu gestalten? Der Versuch muss scheitern, da er einen Anspruch an unsere Sprache stellt, der sie niemals gerecht werden kann. Sprache kann die Welt in all ihren unterschiedlichen Facetten niemals exakt abbilden. Sie ist immer nur eine Annäherung an unsere Lebensrealität.
Sprache ist voll von Ungenauigkeiten und Doppeldeutigem. Man nehme nur den Satz "Peter sah sie mit dem Fernglas auf der Bank". Wer ist "sie"? Eine Frau oder eine Gruppe Menschen? Hat Peter das Fernglas oder eine Person auf der Bank? Ist die Bank eine Sitzgelegenheit oder ein Geldinstitut? Erst der Kontext liefert die Lösung.
Ist Gendern in Wahrheit sexistisch?
Müssen wir uns also damit abfinden, dass gewisse Gruppen sprachlich immer benachteiligt sein werden? Und gibt es überhaupt eine Benachteiligung? Tatsächlich wird diese Frage überraschend wenig diskutiert. Anders als im Ausland.
So berichtet Nele Pollatschek in einem Beitrag im "Tagesspiegel" von ihrem Aufenthalt in England. Ihr Professor habe sie gefragt, ob die Deutschen Angela Merkel wirklich als "BundeskanzlerIN" bezeichneten und ob die deutschen Feministen dagegen nichts täten. Der Gedanke dahinter: Dass Frauen und Männer sprachlich unterschiedlich behandelt werden, wird in angloamerikanischen Ländern zunehmend als diskriminierend empfunden. Durch gendersensible Sprache werde das Merkmal "Geschlecht" plötzlich überbetont, so Pollatschek. Und so erreiche Gendern exakt das Gegenteil seiner Zielsetzung.
Oberbayer, Friese, Sorbe – was soll Sprache leisten?
Man kann die Fragestellung auch noch erweitern: Denn ist es wirklich wünschenswert, Identitätskategorien wie das Geschlecht ständig in den Fokus zu rücken? Müsste man dann nicht konsequenterweise auch andere Merkmale sprachlich miteinbeziehen? Was ist mit der Identität als Oberbayer, Friese oder Sorbe? Als Fan von Borussia Dortmund? Als Kaffee-mit-Milch-Trinker?
Wir scheinen gerade an einem Punkt zu sein, an dem das gemeinsame Sprachverständnis kippt. Vor allem die Doppelnennung der Geschlechter gewinnt immer mehr die Oberhand, also etwa "Zuschauerinnen und Zuschauer", "Studenten und Studentinnen" bis hin zu Stilblüten wie "Mitgliederinnen und Mitglieder" - die Fernsehmoderatorin Anne Will genderte einst diese eigentlich geschlechtsneutrale Vokabel.
Das Problem: Diese Form des Genderns stellt sogar einen Rückschritt dar. Denn auf diese Weise werden tatsächlich nur Männer und Frauen genannt. Alle anderen Geschlechter (je nach Definition gibt es zwischen drei und zurzeit 70 Geschlechtsidentitäten) fallen plötzlich hinüber. Gewonnen ist nichts.
Lesen Sie auch: Rechtschreibfehler Nummer 1: Dieses Wort wird am häufigsten falsch geschrieben
Gendern – gibt es eine Lösung, die allen gerecht wird?
Wäre es nicht am einfachsten, wir hätten eine Lösung, die alle miteinbezieht? Die das Identitätsmerkmal Geschlecht nicht betont – egal in welche Richtung –, da es einfach nicht relevant ist? Die niemanden in ein Sternchen verdrängt, sondern ganz einfach alle gleichwertig benennt?
Tatsächlich gibt es solch eine Form im Deutschen. Sie heißt generisches Maskulinum.
Ein nächster Schritt könnte sein, ein neues Bewusstsein für diese grammatische Eigenheit zu schaffen. Und sie positiv zu füllen. Wieder mehr Gemeinsamkeiten zu feiern, anstatt Unterschiede hervorzuheben.
Verwendete Quellen:
- rechtschreibrat.com: Geschlechtergerechte Schreibung: Empfehlungen vom 26.03.2021
- tagesspiegel.de: Deutschland ist besessen von Genitalien Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer
- merton-magazin.de: Das generische Maskulinum
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.