"Dry January", "Veganuary", "No Buy January" – der Januar ist für viele ein besonderer Monat. Die ersten Vorsätze scheitern, die Stimmung ist oft im Keller. Woran liegt das? Von welcher Illusion man sich verabschieden sollte, was vielen Menschen im Januar auf die Füße fällt und welche Rituale man sich besonders im Winter angewöhnen sollte, erklärt Psychologin Tanja Michael im Interview. Außerdem verrät sie, welchen Fehler man bei Jahresvorsätzen nicht machen sollte.
"Neues Jahr, neues Glück" oder Endzeitstimmung zum Jahresbeginn: Der Januar hat für viele Menschen eine besondere Bedeutung. Woran liegt das?
Tanja Michael: Der Januar ist für viele Menschen ein ziemlich schwieriger Monat. Es ist der Hauptwintermonat, und der Winter ist für die Psyche oft eine belastende Jahreszeit. Das hat biologische Gründe: Uns fehlt Licht. Jeder Zwanzigste leidet sogar unter Winterdepressionen, also einer klinischen Erkrankung, die saisonal bedingt im Winter auftritt. Die Betroffenen erfüllen die Diagnosekriterien für eine Depression. Aber auch in milderer Form: Viele kostet der Winter mehr Energie als der Sommer.
Sie haben das fehlende Tageslicht angesprochen. Was macht das mit unserer Psyche?
Wenn wir einen Lichtmangel haben, schütten wir mehr Melatonin aus. Das ist das sogenannte Schlafhormon, das uns am Abend müde macht. Wenn man viel Melatonin ausschüttet, macht uns das auch ein bisschen schwermütig und antriebslos. Gleichzeitig werden weniger Dopamin und Serotonin ausgeschüttet – Hormone, die für Glücksgefühle zuständig sind.
Gibt es weitere Gründe, warum sich viele durch den Winter schleppen?
Wir sind als Menschen saisonal geprägt. Wir sind zwar keine Spezies, die einen Winterschlaf machen müsste, aber tatsächlich deuten aktuelle Studien darauf hin, dass auch Menschen im Winter mehr Schlaf brauchen als im Sommer. Evolutionär betrachtet ergibt das Sinn: Im Winter ist es kalt, man muss seine Kräfte und Kalorien schonen. In der heutigen Arbeitswelt spielt das aber keine Rolle – der Wecker klingelt zur gleichen Uhrzeit. Trotzdem hat man die Illusion, man müsste im Winter genauso viel erledigen können wie im Sommer. Und auch das Weihnachtsfest spielt eine Rolle.
Inwiefern?
Für viele Menschen ist Weihnachten ein Höhepunkt. Im Januar ist Weihnachten vorbei und es herrscht einfach nur noch Winter. Das kann die Stimmung drücken. Gleichzeitig ist diese Zeit für Menschen anstrengend, die unter Perfektionismus leiden. Sie verausgaben sich an Weihnachten und Silvester. Alles muss perfekt sein: die Geschenke, das Essen, die Dekoration. Wir befinden uns oft in einer Konfliktsituation: Man versucht alle möglichen Leute zu sehen und findet dabei gar nicht das, was man eigentlich im Winter braucht: Ruhe.
Und das fällt einem dann im Januar auf die Füße?
Genau, wenn der Alltag wieder losgeht, man wieder arbeiten muss und dann merkt: Okay, das war alles hoffentlich sehr schön, aber vielleicht hat man sich nicht genug erholt. Es gibt natürlich noch die Gruppe von Menschen, die Weihnachten ungewollt alleine verbringen und die gesellschaftliche Erwartung eines Familienfests sehr schmerzhaft erleben.
Was kann denn helfen, wenn man den Jahresbeginn als so trist empfindet?
Wenn der Grund der Lichtmangel ist, ist zum Beispiel eine Tageslichtlampe super. Noch besser ist es, wenn man die Möglichkeit hat, tagsüber zwischendurch mal rauszugehen und am besten in der Mittagszeit einen Spaziergang macht. Wenn möglich, sollte man sich das unbedingt angewöhnen.
Ist es denn sinnvoll, sich Dinge vorzunehmen – etwa die Bikinifigur bis zum Sommer – oder bauen Vorsätze eher Druck auf?
Vorsätze können gut und schlecht sein. Es kann sein, dass man über die Weihnachtstage zur Ruhe gekommen ist und beispielsweise gemerkt hat: Ich esse oder trinke zu viel oder bewege mich zu wenig oder andere Grundbedürfnisse kommen zu kurz. Dann ist es sinnvoll, wenn man sich überlegt: Was brauche ich tatsächlich, damit diese Bedürfnisse eine Erfüllung bekommen? Dabei ist es wichtig, dass man ein Bedürfnis nicht mit einem Wunsch verwechselt.
Was bedeutet das?
Wir haben alle ein Bedürfnis nach ausreichend Nahrung, Bewegung und Schlaf. Außerdem haben wir noch Bedürfnisse nach sozialer Einbindung, Verbundenheit mit anderen Menschen, Selbstentfaltung, Ruhe und Individualität. Je nach Lebensphase ist es schwierig, die verschiedenen Bedürfnisse alle zu befriedigen. Wenn man etwa das Bedürfnis hat, sich mehr zu bewegen, muss man realistisch bleiben: Arbeitet man und hat kleine Kinder, wird es schwierig, dreimal in der Woche ins Fitnessstudio zu gehen. Dann muss man sich fragen, was eine realistische Art wäre, das Bedürfnis besser zu befriedigen.
Was könnte das in so einem Fall aussehen?
Vielleicht geht man mehr spazieren, nutzt die Treppe statt des Fahrstuhls und bringt mehr Bewegung im Alltag unter. Es birgt Frustrationspotential, sich den perfekten Strandkörper vorzunehmen. Für viele Leute ist das ein unrealistischer Wunsch. Vielleicht steckt hinter dem Wunsch auch das Bedürfnis: Ich möchte gesehen und anerkannt werden. Oder: Ich möchte jemanden kennenlernen.
Wie kann man das herausfinden?
Man sollte in sich hineingehen und fragen: Was steckt hinter meinem Wunsch? Welches Verhalten hilft mir, das Bedürfnis zu befriedigen, das hinter dem Wunsch steht? Wenn ich von meinem Partner oder meiner Partnerin begehrt werden möchte, ist vielleicht nicht der perfekte Strandkörper der richtige Weg, sondern mehr Zeit in die Partnerschaft zu investieren. Fehlende Intimität liegt vielleicht nicht daran, dass man nicht den perfekten Körper hat, sondern an fehlender Zeit und zu viel Stress.
Vorsätze im Januar also ganz über Bord werfen?
Nein, es ist schon in Ordnung, wenn man sich im Januar überlegt, was man im Leben ändern will, aber eigentlich sollte man das das ganze Jahr über tun. Man sollte in jedem Monat mit sich selbst in Kontakt bleiben. Dafür reichen schon fünf bis zehn Minuten täglich. Man könnte zum Beispiel eine Art Tagebuch schreiben oder bei einer Tasse Kaffee den Leerlauf bewusst nutzen und in sich hineinspüren. Dabei kann man auch etwas gegen den sogenannten Negativitäts-Bias tun.
Was hat es damit auf sich?
Schwierige und negative Dinge fallen uns schneller auf und bleiben uns besser im Gedächtnis. Evolutionär betrachtet war das überlebensnotwendig. Für unsere Psyche ist es aber gesünder, wenn man sich auch in schwierigen Zeiten, bewusst macht, was alles schön ist. Vielleicht haben die Schwiegereltern zu Weihnachten nervige Bemerkungen gemacht, aber vielleicht haben sie auch ausgiebig mit den Kindern gespielt, oder die Autofahrt mit dem Mann und den Kindern dahin hat Spaß gemacht.
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Über die Gesprächspartnerin
- Prof. Dr. Tanja Michael ist Lehrstuhlinhaberin und Psychologische Psychotherapeutin an der Universität des Saarlandes. Sie hat eine Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie und ist Autorin des Buches "55 Fragen an die Seele. Wie sie tickt und was ihr Halt gibt".
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