Neurologische Studien versuchen schon lange, dem Phänomen des religiösen Fundamentalismus auf die Spur zu kommen. Forscher meinen jetzt einen Zusammenhang zwischen extremem Glauben und Verletzungen bestimmter Hirnbereiche gefunden zu haben.
Das Problem des religiösen Fundamentalismus ist nicht erst seit dem IS-Terror ein Thema in der Wissenschaft. Zahlreiche Untersuchungen widmeten sich in den vergangenen Jahrzehnten dem Phänomen. Neben den Soziologen machen sich seit längerer Zeit auch die Neurologen daran, zum Kern des Glaubens vorzudringen.
Moderne Messmethoden führen dabei immer wieder zu spektakulären Befunden. So fand man in der Vergangenheit Ähnlichkeiten zwischen religiösen und drogeninduzierten Rauschzuständen. Neurotransmitter wie Serotonin und bestimmte Gehirnbereiche konnten ausgemacht werden, die wohl für den Glauben an Übernatürliches verantwortlich sind.
Eine neue Studie des Neurowissenschaftlers Jordan Grafman und seines Teams, geht jetzt noch einen Schritt weiter. Die Forscher bringen Hirnverletzungen mit religiösem Fundamentalismus in Verbindung. Dazu wurden 119 Vietnam-Veteranen untersucht, die im Krieg schwere Kopfverletzungen erlitten hatten.
Die Probanden waren alle Teil des Datenpools der "Vietnam Head Injury Study". Darin sind über 2.000 Soldaten gelistet, die im Kampf ein Schädeltrauma erlitten und in den darauffolgenden Jahren als Teilnehmer für die Forschung dienten.
Starke religöse Überzeugungen und wenig kognitive Flexibiltät
In einer frühen Phase der Untersuchungen wurden sie unter anderem durch Befragungen auf einer Skala für religiösen Fundamentalismus eingeordnet. In die neuste Untersuchung flossen zudem Ergebnisse aus Tests zur allgemeinen Intelligenz und kognitiven Flexibilität ein.
Durch Computertomographie versuchten Grafman und sein Team, die Größe und exakte Lage der Verletzungen im Gehirn zu analysieren. Die Forscher fokussierten sich auf die Probanden, bei denen Bereiche im Hirn betroffen waren, die bereits dafür bekannt sind, eine wichtige Rolle bei spirituellen Erfahrungen zu spielen.
Verglichen mit 30 Veteranen ohne solche Verletzungen zeigten sich hier häufiger starke religiöse Überzeugungen und weniger kognitive Flexibilität. Das passt ins Bild. Schon frühere Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass Schäden in diesen Hirnregionen die Menschen anfälliger für irreführende Informationen machen.
Dieser Interpretation widersprechen die Forscher nun aber. Sie erkennen im Fundamentalismus weniger das Fehlen der Skepsis, als vielmehr das Unvermögen, offen für neue Erfahrungen zu sein.
Der Glaube als Ursache von Gehirnschäden?
Überbewerten sollte man die Ergebnisse der Studie dennoch nicht. Die Prozesse im Gedächtnis, die den Glauben oder Erkenntnisse formen, sind dafür viel zu komplex. Dass sich dieser ausschließlich auf einen einzelnen Bereich im Gehirn begrenzt, ist unwahrscheinlich.
Auch sagt die Untersuchung nicht, dass der Glaube an Übernatürliches durch Gehirnschäden verursacht wird. Die Studie zeigt vielmehr, dass es für Menschen bei Verletzungen bestimmter Hirnareale schwieriger wird, die eigene religiöse Überzeugung gegenüber anderen abzuwägen.
Zudem stellt sich - wie immer bei derartigen Experimenten - die Frage, inwiefern man die Ergebnisse verallgemeinern kann. Als Kriegsveteranen sind die Probanden keine heterogene Gruppe. Sie sind alle männliche Amerikaner in hohem Alter und haben nicht nur Hirnverletzungen sondern auch psychologische Traumata im Krieg erlitten.
Trotz der zahlreichen Untersuchungen steht die Neurowissenschaft weiterhin vor einer großen Zahl offener Fragen.
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