Perfekte Bilder, Pferde von vermögenden und scheinbar unfehlbaren Reitern – Instagram hat den Reitsport in eine ästhetische Scheinwelt gehüllt. Doch dieser ständige Druck zur Unfehlbarkeit und Perfektion hinterlässt Spuren: Viele Reiter fühlen sich mit ihrer reiterlichen Entwicklung zunehmend überfordert, weil sie glauben, den unrealistischen Standards immerzu genügen zu müssen. Was hilft? Darüber haben wir mit Mental-Coach Vanessa Klett gesprochen.
"Instagram zeigt oft nur eine sehr unrealistische Seite des Reitsports, doch die Realität sieht ganz anders aus: harte Arbeit, Rückschläge und auch mal die ein oder andere ungeschminkte Wahrheit gehören beim Reiten dazu", erklärt Vanessa Klett, Mental-Coach für Reitsportler in Berlin.
"Was viele Reiter unterschätzen: Der Vergleich mit anderen kann nicht nur dem Selbstbewusstsein schaden, sondern auch die eigene Leistung stark negativ beeinflussen", erklärt Klett im Gespräch mit pferde.de. Aber was können Reiterinnen und Reiter dagegen tun?
Zunächst: Ganz auf Instagram verzichten musst Du nicht, um Dich vor Vergleichen und Perfektionsdruck zu schützen. Ein gesunder Umgang mit Social-Media-Plattformen sei dennoch wichtig, so Klett. Schließlich sind Insta und Co. gezielt so gestaltet, dass die User möglichst lange auf der Plattform bleiben. Jedes neue Reel und jede Story lösen im Hirn einen Dopamin-Kick aus, der süchtig machen kann. Und der sich natürlich beim Scrollen auf dem Handy viel einfacher erreichen lässt, als im echten Leben im Sattel. Sich dessen bewusst zu werden, kann also schon mal helfen.
Instagram zeigt keine Misserfolge beim Reiten
Trotzdem fällt es vielen Reiterinnen und Reitern schwer, ihren eigenen Fortschritt anzuerkennen, wenn sie den ständigen Vergleich zu anderen haben – egal ob online oder offline. "Selbst wenn dann zum Beispiel ein großer Leistungssprung im Training oder in der Prüfung erreicht wurde, wird sofort verglichen und der Reiter kommt zu dem Schluss: ‚Es hätte besser sein müssen. Ich bin nicht gut genug. Alle anderen sind viel besser‘", erklärt Vanessa Klett.
"Das sind tatsächlich regelmäßige Gedanken vieler Reiter und Klienten von mir. Dass aber die anderen Reiter auch schlechte Tage und Misserfolge haben und wie viel sie tun mussten, um so gut zu werden, das können die meisten nicht sehen und wird natürlich wenig gezeigt."
Der Schlüssel? Mentale Stärke und Selbstbewusstsein aufbauen. Geraten Reiter durch Vergleiche in eine Abwärtsspirale, sei oft das Selbstwertgefühl nicht stark genug und sie sehnen sich nach Anerkennung. "Diese Anerkennung von außen wird aber niemals die eigenen Unsicherheiten heilen können." Die Expertin rät, das eigene Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein so zu stärken und aufzubauen, dass es langfristig halte und resistent gegen Einflüsse von außen sei.
"Social Media hat das Problem nicht ausgelöst, sondern verstärkt es nur um ein Vielfaches. Unsere Pferde erwarten und verdienen aber nun mal nicht nur einen etwas im Kopf gefestigteren Reiter, sondern einen 100 Prozent mental fitten Reiter, der klare Hilfen gibt und Sicherheit ausstrahlt. Und das erreiche ich nicht allein, indem ich das Handy ausschalte, sondern nur durch die Arbeit an mir selbst und meinem Kopf."
Unsere Pferde verdienen einen mental fitten Reiter, der klare Hilfen gibt und Sicherheit ausstrahlt.
Sind Reiter besonders anfällig dafür, sich mit anderen zu vergleichen? Ja, lautet die Einschätzung der Expertin. "Im Reitsport herrscht leider immer noch eine sehr starke Ellenbogengesellschaft und Reiter gönnen sich teilweise gegenseitig nichts." Zwar beobachte sie mittlerweile eine Verbesserung. Aber: "Der Druck, im Sport zu performen und alles richtig zu machen, ist bei vielen weiterhin sehr groß."
Das könnte unter anderem daran liegen, dass Reiter viel Zeit, Energie und Geld in ihren Sport investieren. "Viele wollen etwas für ihre Mühen zurückbekommen und können es nicht ertragen, wenn andere an ihnen vorbeiziehen. Ganz nach dem Motto: Ich tu‘ doch so viel, dann muss es jetzt auch klappen."
Reiter müssen mentale Stärke erst lernen
Hinzu kommt: Wie wichtig der Kopf ist, werde im Reitsport noch immer unterschätzt. "Natürlich ist jedem Reiter klar, dass er oder sie mental stark und möglichst selbstsicher auf dem Pferd sitzen und Sicherheit ausstrahlen soll, aber wie genau das geht, (…) das bekommen wir Reiter nirgends beigebracht." Dabei sei Nervenstärke nicht einfach angeboren, sondern könne erlernt werden.
Es sei daher ein wichtiger Schritt, Reiterinnen und Reiter diese wichtige Fähigkeit beizubringen, so Klett. "Dann haben wir auch ein besseres Miteinander im Sport und weniger Neid und Missgunst, was dann wiederum zu weniger Druck zum Vergleichen durch beispielsweise Social-Media-Plattformen führt."
Schließlich bringt der Austausch auf Instagram und anderen Social-Media-Plattformen nicht nur Negatives. Viele Kanäle geben Tipps oder informieren über aktuelle Entwicklungen in der Reiterwelt. "Sich bei anderen inspirieren zu lassen, kann ja auch Ansporn sein", so Vanessa Klett.

Sie findet auch die Schwarmintelligenz unter den Beisträgen von Influencern hilfreich, wenn es beispielsweise um Verletzungen oder Krankheiten geht. "Dann können viele sehen, dass es anderen ähnlich geht und welche Behandlungsmethoden oder Heilungswege denn so verfügbar sind. Es hilft anderen Reitern sehr, zu wissen, was sie selbst in solch einer Situation tun können. Ich schaue mir das auch immer sehr gerne an und lerne dazu." © Pferde.de