Ein Durchbruch in der Forschung gibt Menschen mit Sprachbehinderungen jetzt neue Hoffnung: Wissenschaftlern gelang es mittels künstlicher Intelligenz Hirnsignale in vollständige und verständliche Sätze zu übersetzen. Diese Technologie könnte eines Tages Gelähmten oder Stummen eine Sprache verleihen.
Sprache ist für unsere Kommunikation im Alltag essenziell – umso schlimmer ist es, wenn Menschen durch eine Krankheit ihre Sprechfähigkeit verlieren. Vor allem bei Schlaganfällen, aber auch bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson, bei denen sich Nervenzellen im Gehirn nicht mehr erneuern, ist das häufig der Fall. Aber auch durch Unfälle mit Hirnschäden kann die Kontrolle über den Sprachapparat beeinträchtigt oder ganz verloren gehen.
Dann sind Patienten auf technische Hilfsmittel in der Kommunikation angewiesen. Doch bisher verfügbare Systeme, wie etwa computerisierte Buchstabentafeln, funktionieren nur eingeschränkt – und sehr langsam.
Schon länger versuchen Neurowissenschaftler deshalb, eine direkte Schnittstelle von gedachten Wörtern zu gesprochener Sprache zu entwickeln. Eine aktuelle Studie kann nun einen ersten großen Erfolg vorweisen: Zum ersten Mal gelang es Forschern der University of California in San Francisco mithilfe einer neuen Hirn-Computer-Schnittstelle, Worte aus Hirnsignalen von Versuchsteilnehmern am Computer in hörbare Sprache zu übersetzen.
Vom Hirnsignal zu akustischen Sätzen
Der Neurochirurg Edward Chang und sein Team ließ fünf Epilepsiepatienten 100 Sätze sprechen und nahm währenddessen die Hirnsignale mithilfe einer Elektroden-Hirnauflage auf. Die Probanden litten nicht an Sprachverlust, sondern wurden aufgrund anderer Erkrankungen ohnehin mit Elektroden am Gehirn überwacht.
Zur Vorbereitung wurden den Teilnehmern zuvor bereits kurze Sätze und Geschichten vorgelesen, während die Elektroden die dabei erzeugten Hirnwellen aufzeichneten. Diese Daten gaben die Forscher in ein neuronales Netzwerk ein, eine nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns strukturierte künstliche Intelligenz. Durch dieses Training lernte das Netzwerk schon im Vorfeld ganz selbstständig, die Gehirnsignale bestimmten Sprachlauten zuzuordnen.
Die beim Sprechen der 100 Sätze aufgezeichneten Hirnsignale der fünf Epilepsiepatienten wurden dann von dem KI-gestützten Computermodell des menschlichen Sprechapparats analysiert. Ein Algorithmus übersetzte die "Sprechbewegungen" des Computers schließlich in hörbare Sprache. Besonders beeindruckend: Die damit generierten Sätze waren durchwegs gut verständlich – im Schnitt 50 bis 70 Prozent der Worte waren erkennbar.
Hoffnung für sprachunfähige Menschen?
Doch die neue Technologie ist kein Gedankenlesegerät: Noch ist unklar, wie gut sie funktionieren würde, wenn die Patienten gar nicht erst in der Lage wären, ihren Mund zu bewegen. Denn: Sprachen die Patienten die Sätze lautlos aus, fielen die Ergebnisse bereits weitaus schlechter aus.
Grund dafür ist, dass die Technologie hauptsächlich die feinmotorischen Hirnsignale übersetzt, die beim Sprechen an die jeweiligen Organe übermittelt werden. Doch würde man die Elektroden etwa nicht nur auf die Gehirnoberfläche legen, sondern direkt ins Hirngewebe implantieren, könnten bereits bessere Resultate zu erwarten sein, sagt Andrew Schwartz, ein Wissenschaftler aus dem Bereich an der Universität von Pittsburgh gegenüber "Technology Review".
Auch Forschungsleiter Edward Chang ist zuversichtlich: Im nächsten Schritt wollen er und sein Team die Methode nun ganz gezielt dafür optimieren, neuronale Signale von nur gedachten Worten auszulesen und akustisch wiederzugeben. Sollten sie Erfolg haben, würde dies vielleicht jedem, der seine Sprachfähigkeit verloren hat, eines Tages eine neue Chance geben, wieder schnell und klar mit der Welt um ihn herum zu kommunizieren.
Verwendete Quellen:
- Nature.com: Speech synthesis from neural decoding of spoken sentences
- Technology Review: Scientists have found a way to decode brain signals into speech
- Wissenschaft.de: Hirnsignale werden zu hörbarer Sprache
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