Wenn wir müde sind, gähnen wir besonders oft. Aber warum eigentlich? Und warum ist Gähnen ansteckend? Die Wissenschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten Erstaunliches über den Reflex herausgefunden und steht gleichzeitig vor vielen unbeantworteten Fragen.
Menschen gähnen, ebenso tun es die meisten anderen Wirbeltiere vom Hamster bis zum Walross. Was aber die Funktion dahinter ist, unwillkürlich den Mund weit zu öffnen, um tief ein- und auszuatmen, darüber sind sich Wissenschaftler noch nicht einig.
Lage Zeit wurde angenommen, dass das Gähnen eine Gegenmaßnahme des Körpers bei einer mangelnden Sauerstoffversorgung sei. Diese Annahme hält sich bis heute hartnäckig. Dabei haben sie Neurologen an der US-Universität von Maryland bereits 1987 widerlegt.
Gähnen gilt als unhöflich, weil wir das Verhalten auch mit Langeweile und mangelnder Aufmerksamkeit verbinden. Es ist jedoch erwiesen, dass Stress oder Hunger ebenso Auslöser dafür sein können.
Manche Menschen müssen vor wichtigen Prüfungen oder vor einem Sportwettbewerb gähnen. Mit einem dösigen Zustand oder Langeweile ist das nicht zu erklären.
Schon ungeborene Babys gähnen
Dazu kommen Beobachtungen, die nicht in die bekannten Erklärungsmuster hinein passen. Britische Forscher von der Universität Durham haben festgestellt, dass Embryonen im Mutterleib zeitweise sehr häufig gähnen. Kinder gähnen nach der Einschulung öfter als vorher - besonders häufig tun sie es, während sie lesen und schreiben lernen.
Vermutlich hat auch jeder schon mal erlebt, wie ansteckend das Gähnen ist. Wenn man andere Menschen dabei beobachtet, reißt man in vielen Fällen bald selbst die Kiefer auseinander. Je näher man einer Person emotional steht, umso wahrscheinlicher ist die Ansteckung.
Doch manchmal reichen schon Fotos von unbekannten gähnenden Menschen oder auch nur der Gedanke daran, um den Reflex auszulösen.
Vielleicht haben Sie bei der Lektüre dieses Artikels bereits oft genug das Wort "gähnen" gelesen und sich den Vorgang dabei lebhaft genug vorgestellt, um selbst den Impuls dazu zu verspüren. Wegen dieser hochansteckenden Wirkung haben Ethnologen die These aufgestellt, dass das Gähnen dem sozialen Zusammenhalt dienen könnte.
Macht Gähnen das Gehirn frisch?
Die jüngere Forschung fokussiert sich auf die Wirkung des Gähnens auf das Gehirn. Ausgehend von der Hypothese, dass ein kräftiger Luftaustausch die Temperatur eines überhitzten Denkorgans senken könnte, haben Wissenschaftler von der State University of New York in Albany unterschiedliche Untersuchungen durchgeführt.
Ob an der Annahme tatsächlich etwas dran ist, bleibt umstritten. Schließlich unterbricht man beim Gähnen die effektivere Nasenatmung, um einen kräftigen Atemzug durch den Mund zu nehmen.
Skeptiker zweifeln, dass das bei Menschen zu einer Temperatursenkung im Hirn führen kann. Endgültig bewiesen oder widerlegt ist die Idee nicht.
Trotzdem hat der Forschungsansatz interessante Erkenntnisse zutage geführt. Die Wissenschaftler haben darauf aufbauend untersucht, welche Tierarten ausgiebiger gähnen. Und sie stellten fest, dass Tiere mit größeren und komplexeren Gehirnen länger gähnen als Tiere mit einfacheren Denkorganen.
Dagegen konnten sie keinen Zusammenhang in Bezug auf die Gesamtgröße des Tieres oder die Beschaffenheit der Kieferknochen, die beim Gähnen bewegt werden, feststellen.
Viele Fragen bleiben offen
Die Ergebnisse legen nahe, dass leistungsfähigere Gehirne zu ausgiebigerem gähnen anregen, auch wenn das nicht mit einer Temperatursenkung im Denkorgan oder einer Erhöhung des Sauerstoffgehalts im Blut zu tun haben muss.
Wie auch immer die genaue Wirkungsweise des Gähnens ist, vieles deutet darauf hin, dass es dazu dienen könnte, die Aufmerksamkeit zu steigern. Das könnte möglicherweise erklären, warum es sowohl in langweiligen als auch in besonders herausfordernden Situationen auftritt und warum es so ansteckend wirkt - nämlich, um die Aufmerksamkeit einer ganzen Gruppe zu erhöhen.
Erwiesen ist die Annahme jedoch nicht. Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Gähnen je nach Situation, Spezies und Lebensphase eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen erfüllt und es deshalb so schwierig ist, eine eindeutige Erklärung zu finden.
Verwendete Quellen:
- Adrian Guggisberg et al.: Why do we yawn?
- Fiorenza Giganti, Piero Salzarulo: Yawning throughout Life
- Steven Platek: The Social, Evolutionary and Neuroscientific Facets of Contagious Yawning
- Andrew Gallup et al.: Yawn duration predicts brain weight and cortical neuron number in mammals
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