- Die nächste Welle der Automatisierung trifft laut einer Studie die ganze Arbeitswelt.
- Manche Berufe sind dabei gefährdeter als andere.
- Doch das Risiko, von Robotern ersetzt zu werden, lässt sich senken.
Was unterscheidet Physiker von Fleischverpackern? Vor allem ihr Risiko, von künstlicher Intelligenz (KI) oder Robotern um den Job gebracht zu werden, meinen Forscher um Antonio Paolillo von der École Polytechnique Fédérale im Schweizer Lausanne. Sie haben das "Automatisierungsrisiko" für fast tausend Berufe berechnet und im Fachmagazin "Science Robotics" publiziert. Physiker haben das geringste Risiko, ihren Job an eine Maschine zu verlieren, Schlachter und Fleischverpacker das höchste.
Das Gesamtfazit der Forscher ist pessimistisch und optimistisch zugleich. Viele Jobs bestehen zu einem Großteil aus menschlichen Fähigkeiten, die auch KI und Roboter (oder eine Kombination aus beidem) ausführen können. Die Forscher haben nur wenige Jobs gefunden, bei denen weniger als die Hälfte der nötigen Fähigkeiten auch Maschinen erledigen könnten. Maschinen könnten also viele Tätigkeiten übernehmen und in den meisten Berufen einen Teil des Personals ersetzen.
Andererseits, schreiben die Forscher, sei es oft mit relativ wenig Weiterbildung möglich, einen ähnlichen Job zu finden, für den das Automatisierungsrisiko deutlich geringer sei. Massenarbeitslosigkeit droht demnach zwar, ist aber bei geschickter Fortbildungspolitik vermeidbar.
Roboter verlassen ihre Käfige
Bislang erledigen vor allem Roboter gering qualifizierte, körperliche, und monotone Arbeiten, etwa in der Autoindustrie. Weltweit arbeiten drei Millionen Roboter in der industriellen Produktion, dreimal so viele wie Anfang der Nullerjahre. Die Industrieroboter arbeiten wegen ihrer starren und vorprogrammierten Bewegungen meist in Sicherheitskäfigen.
Mit Fortschritten in KI und Robotik erlernen Roboter auch komplexere Tätigkeiten, die Fingerfertigkeit, Flexibilität und Kooperation mit Menschen erfordern. Dank leichter Greifer aus Kunststoff, per Druckluft betrieben, werden Roboter feinfühliger und für ihre Umgebung sicherer – können also ihre Käfige verlassen. Sie gehen mit empfindlicher Ware um und lösen sich dank KI von starren, vorprogrammierten Bewegungsabläufen. Prototypen ernten sogar empfindliches Obst wie Himbeeren, wobei KI unter anderem die Reife der Früchte detektiert.
KI macht Roboter vielseitig, sodass sie mehrere Arbeitsgänge erledigen können, zum Beispiel in Schlachthöfen. Das EU-Forschungsprojekt RoBucher entwickelt einen KI-gesteuerten Roboter, der Tierkörper zerlegen und entbeinen soll, ein Prozess, an dem bislang Menschen beteiligt sind.
Diese Entwicklungen liegen im Trend. Nahezu die gesamte Lebensmittelbranche frage derzeit nach Automatisierung, sagte Dieter Rothenfußer, Portfoliomanager beim Roboterhersteller Kuka vor Kurzem in einem Interview.
Weil Roboter sich immer besser in der menschlichen Lebenswelt zurechtfinden, werden sie dort auch immer mehr als Helfer eingesetzt werden, etwa um Pflegekräften körperlich schwere Arbeit abzunehmen. Aber auch die emotionalen Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen können Robotern teils stillen, wie der humanoide Roboter "Pepper" zeigt, der Emotionen erkennt und darauf reagiert.
Abgleich von menschlichem Können mit dem von Maschinen
Auch geistige Arbeit ist nicht sicher vor Automatisierung. KI übertrifft oft menschliche Experten, etwa der Diagnose von Hautkrebs. Journalisten und Autoren dürften bald etliche Routinetätigkeiten, etwa das Schreiben von Nachrichtenartikeln an KI abgeben. Jedenfalls formulieren sogenannte "Sprachmodelle" Texte, die sich lesen, als wären sie von Menschen verfasst.
Die Fortschritte haben die Schweizer Forscher berücksichtigt. "Wir bewerten die wahrscheinlichen Auswirkungen der nächsten Welle der Robotisierung auf fast 1.000 Berufe", schreiben sie. Zunächst analysierten sie, welche menschlichen Fertigkeiten für jede dieser Aufgaben nötig waren. Dazu nutzten sie die Online-Datenbank "O*Net" des US-Arbeitsministeriums, die Beschreibungen der Berufe enthält.
Den Katalog der einzelnen Tätigkeiten glichen sie dann mit Fähigkeiten ab, die Roboter haben können. Diese entnahmen sie der "Multi-Annual-Roadmap Robotics", veröffentlicht von SPARC, einer öffentlich-privaten Partnerschaft zwischen der Europäischen Kommission und der europäischen Robotikindustrie.
Aus diesen Daten bestimmten die Forscher den Anteil der Fertigkeiten innerhalb jedes Berufs, die ein Roboter übernehmen kann. Auch wie wichtig das jeweilige Können für den Beruf ist und wie geübt der Jobinhaber darin sein muss ließen sie einfließen. Manche menschlichen Talente haben Computer quasi von Natur aus, wie mathematische Argumentation, andere scheinen weniger selbstverständlich, wie das Lernen durch Beobachtung.
Auch aufseiten der Roboter beachteten die Forscher, wie ausgereift eine jeweilige Fähigkeit bei ihnen ist. Zahlenmäßig wird das durch den sogenannten "Technology Readiness Level" (auf Deutsch "Technologie-Reifegrad") erfasst, den das Schweizer Team in seine Formel einfließen ließ.
Risikoindex fürs Ersetztwerden
All das fassen sie in einem Wert zusammen, den sie "Automatisierungsrisiko-Index", kurz ARI, nennen. "ARI kann als der Anteil der menschlichen Fähigkeiten in einem Beruf interpretiert werden, die auch von Maschinen erledigt werden können", schreibt das Team.
Die Liste zeigt Überraschendes. Selbst der vor Robotern sicherste Job des Physikers hat einen ARI von 0,43. Also lassen sich 43 Prozent der Tätigkeiten eines Physikers automatisieren. Tatsächlich geschieht das schon: KI durchforstet beispielsweise die komplexen Teilchenspuren, die große Teilchenbeschleuniger wie am Kernforschungszentrum Cern bei Genf in den Detektoren hinterlassen.
Im Mittelfeld finden sich hochqualifizierte Jobs wie Schiffsingenieur, chirurgischer Assistent oder Sänger. Immerhin: Kein Beruf ist zu hundert Prozent automatisierbar. Schlachter und Fleischverpacker kommen auf ein 78-prozentiges Automatisierungsrisiko. Das Risiko, selbst von Robotern ersetzt zu werden, kann man auf einer Website prüfen, die die Forscher aufgesetzt haben.
Was bedeutet das nun? Automatisierung treibe den Strukturwandel voran, schreiben die Forscher. Als das verarbeitende Gewerbe in den USA in den späten 1970ern Routinetätigkeiten automatisierte, seien Arbeitnehmer in schlechter bezahlte Dienstleistungsjobs gewechselt, konstatieren sie. Mit ihren Daten haben sie rückblickend untersucht, wie sich Jobs mit hohem Automatisierungsrisiko in den letzten zwei Dekaden entwickelt haben. Die Beschäftigung in diesen Berufen sei gesunken und die Löhne weniger gestiegen als in anderen Jobs.
Es empfehle sich, in Umschulung und Weiterbildung zu investieren, schreibt das Team. Wie aufwendig das ist, schätzten sie durch Vergleich von Tätigkeitsprofilen in den verschiedenen Jobs. "Wir haben gefunden, dass der Aufwand für Umschulungen öfter gering ist als hoch", schreiben sie. Als Beispiel nennen sie Elektrotechniker. Diese haben ein Automatisierungsrisiko von 61 Prozent. Mit wenig Aufwand könnten sie zum Software-Qualitätssicherungstechniker umschulen mit einem ARI von 58 Prozent. Die Forscher stellen aber auch klar, dass solche Maßnahmen den Verlust an Jobs durch Roboter nur mindern könnten, nicht verhindern.
Ist die aktuelle Automatisierung etwas Neues?
Die Studie des Teams um Paolillo ist nicht die erste ihrer Art. Schon 2013 sorgten Carl Frey und Michael Osborne von der University of Oxford für hitzige Debatten, prognostizierten die beiden doch, dass die "Computerisierung" 47 Prozent der Jobs in den USA bedrohe.
Für Deutschland haben Katharina Dengler und Britta Matthes vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2018 ähnlich alarmierende Zahlen vorgelegt. Je nach Qualifikation können zwischen 24 Prozent (bei Expertenberufen) und 58 Prozent (bei Helferberufen) der Tätigkeiten von Computern oder Robotern erledigt werden.
Doch nicht alle Experten befürchten deshalb Massenarbeitslosigkeit. Sie argumentieren wie folgt: Frühere Wellen der Automatisierung hätten zwar zunächst Jobs gekostet, vor allem niedrig qualifizierte. Weil aber die Maschinen die Produktivität erhöhten, sei die Wirtschaft gewachsen. Dies wiederum habe neue arbeitsintensive Jobs geschaffen. Die nächste Stufe der Computerisierung würde genau so ablaufen. Es würde nicht alles Automatisierbare automatisiert, fügen Dengler und Matthes hinzu, da dem "beispielsweise wirtschaftliche, ethische oder rechtliche Aspekte entgegenstehen".
Zu dieser Sichtweise gibt es Gegenargumente. Etwa, dass die Automatisierung früher langsamer Einzug hielt als heute und die Menschen eine ganze Generation Zeit hatten, sich anzupassen. Außerdem vernichte die Digitalisierung auch hochqualifizierte und kreative Jobs, was es vielen Betroffenen schwer mache, sich noch höher zu qualifizieren. Schließlich führe mehr Produktivität nicht unbedingt zu einem Wirtschaftswachstum, da viele Märkte bereits gesättigt sind, salopp gesagt: Konsumenten, die schon zwei Autos haben, brauchen kein drittes.
Lücken der Studie
Unter den bisherigen Studien zum Thema sei die aktuelle von Paollilo und Kollegen die vielversprechendste, kommentiert Andrea Gentili von der University of International Studies in Rom. Die Ökonomin betont indessen, dass das Risiko, den Job an eine Maschine zu verlieren sehr schwer abzuschätzen sei. Es brauche noch genauere Daten, um die Prognosen zuverlässiger zu machen. Zum Beispiel seien die Berufsprofile in O*Net nicht vollständig.
Dennoch zeigt die aktuelle Studie vor allem eines: Die nächste Welle der Automatisierung wird die gesamte Arbeitswelt erfassen. KI und Roboter werden die Wirtschaft umwälzen. Paolillos Team sieht seine Methode als Hilfe für Politiker, um mit dem Strukturwandel umzugehen: "Regierungen könnten die vorgeschlagene Methode nutzen, um das Arbeitslosigkeitsrisiko ihrer Bevölkerung zu bewerten und die Bildungspolitik anzupassen."
Verwendete Quellen:
- Science Robotics: How to compete with robots by assessing job automation risks and resilient alternatives
- International Federation of Robotics (IFR): World Robotics 2021
- Blog.kuka.com: Roboter in der Lebensmittelindustrie: "Nahezu die gesamte Branche fragt nach Automatisierung"
- SPARC: Robotics 2020 Multi-Annual Roadmap
- Spektrum.de: Algorithmen als Teilchenentdecker
- University of Oxford: The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation?
- Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Wenige Berufsbilder halten mit der Digitalisierung Schritt
- Science Robotis: Answering the great automation question
© RiffReporter
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