In der Long-Covid-Forschung und bei der Versorgung der Betroffenen hat sich zuletzt vieles getan – ein Durchbruch jedoch fehlt. Ein kurzer Überblick über die Entwicklungen der vergangenen Monate.
Zwei Tierversuche nähren die Hoffnung, das Rätsel um die Krankheitsmechanismen von Long Covid zu lösen. Vor einigen Monaten hatten zunächst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Amsterdam Autoantikörper aus dem Blut von Patienten auf Mäuse übertragen. Kurz darauf veröffentlichten US-Forschende ein ganz ähnliches Experiment, ebenfalls als Preprint, also noch nicht unabhängig begutachtet.
In beiden Studien lösten die Autoantikörper in den Mäusen dieselben Symptome aus wie bei den Long-Covid-Erkrankten – etwa Konzentrationsmängel, Gleichgewichtsprobleme, ein erhöhtes Schmerzempfinden.
Autoantikörper sind fehlgeleitete Proteinstrukturen, die sich gegen körpereigenes Gewebe richten. Bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose spielen sie eine große Rolle und auch als Ursache für einen Teil der Long-Covid-Beschwerden sind sie seit Langem im Gespräch. Die Mausstudien stützen diese Hypothese – und zugleich die wissenschaftlich dominante Auffassung, dass postvirale Syndrome organisch und nicht psychisch bedingt sind.
Immunadsorption: Kontrollierte Studie soll Klarheit bringen
Für Carmen Scheibenbogen sind die Studien "richtungsweisend". Die Immunologin der Berliner Charité leitet die Nationale Klinische Studiengruppe, ein Verbund von Universitäten, der mit Bundesmitteln Therapien für Betroffene von Long Covid und der Multisystemerkrankung ME/CFS entwickeln soll. Ein Ansatz dabei ist, genau jene aggressiven Autoantikörper unschädlich zu machen.
Positive Resultate zeigte eine Vorstudie mit Menschen, die nach einer Corona-Infektion ME/CFS entwickelten. Ihnen wurden per Immunadsorption – einer Blutfiltration – Autoantikörper entfernt. Bei 14 der 20 Teilnehmer verbesserte sich so der Zustand deutlich. Allerdings fehlte der Studie eine Kontrollgruppe. Belastbare Ergebnisse wird daher erst eine kontrollierte Folgestudie liefern. Scheibenbogens Team will sie Ende des Jahres vorlegen.
Die Ergebnisse werden auch deshalb mit Spannung erwartet, weil Heilversuche mit der Immunadsorption am Universitätsklinikum Jena keine oder "allenfalls marginale" Verbesserungen bewirkt hatten. Auch an anderen Zentren laufen Studien zu dem Therapieverfahren, sodass hier in absehbarer Zeit aussagekräftige Daten vorliegen könnten.
Wirkstoffkandidat BC007 scheiterte in Hersteller-Studie
Das DNA-Fragment BC007 sollte schädliche Autoantikörper zwar nicht entfernen, aber neutralisieren. Wenig zurückhaltend hatte die Uniklinik Erlangen im Sommer 2021 erfolgreiche Heilversuche mit dem neuen Wirkstoff öffentlich gemacht und gewaltige Hoffnungen unter Betroffenen ausgelöst.
Vergangenen November aber räumte der Entwickler, das Start-up Berlin Cures, sein Scheitern auf dem Weg zur Medikamentenzulassung ein: In seiner klinischen Studie hatten Long-Covid-Patienten mit BC007 keinen stärkeren Effekt erzielt als mit einem Placebo.
Die Daten sind bisher nicht publiziert. Beteiligte sahen jedoch große Mängel am Studiendesign, zudem könnte die fast irrationale Erwartungshaltung den Placebo-Effekt in die Höhe getrieben und die Ergebnisse verzerrt haben. Ob BC007 wirkt, lässt sich abschließend wohl noch gar nicht sagen. Vorläufige Studiendaten einer eigenen Studie der Uniklinik Erlangen mit dem Wirkstoff zeigten bessere Resultate – der Weg zu einer Zulassung aber scheint für den Wirkstoffkandidaten verbaut.
Studien mit umgewidmeten Medikamenten
Neben der Immunadsorption setzt die Nationale Klinische Studiengruppe auf Medikamente, die bereits für andere Erkrankungen zugelassen sind – etwa solche, die bereits die Produktion von Autoantikörpern verhindern. Vor Weihnachten hatte das Bundesforschungsministerium jedoch eine bereits in Aussicht gestellte Förderung für eine Studie mit dem – sehr teuren – Wirkstoff Inebilizumab abgelehnt. Er ist für die eng mit Multipler Sklerose verwandten Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) bereits zugelassen.
Bei einem Teil der Long-Covid-Fälle vermutet man andere Auslöser wie anhaltende Entzündungen. Hier soll in den nächsten Monaten der Effekt von hochdosiertem Cortison getestet werden. Studien laufen auch mit einem durchblutungsfördernden Medikament und der Sauerstoffhochdruckbehandlung. Auch hier plant die Nationale Klinische Studiengruppe, Ergebnisse bis Ende des Jahres zu veröffentlichen.
Versorgung: Vorsicht, PEM!
Wie in der Therapieforschung verhält es sich bei der Versorgung der Betroffen: Es gibt viele kleine Schritte, während die ganz großen Sprünge fehlen. So sind ärztliche Hausbesuche für bettlägerige Patientinnen und Patienten weiterhin eher die Ausnahme als die Regel. Das beeinträchtigt insbesondere jene Betroffenen, die im Zuge ihrer Long-Covid-Beschwerden oder durch andere Auslöser unabhängig von einer Corona-Infektion die schwere Multisystemerkrankung ME/CFS entwickeln.
Dafür kam es zu wesentlichen Änderungen in den gängigen ärztlichen Empfehlungen. Etwa in der Leitlinie für die Long-Covid-Reha und in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, die die Behandlungswege zwischen Haus- und Facharztpraxen, Spezialambulanzen und Kliniken beschreibt, hat sich durchgesetzt, wie wichtig es ist, die Post-Exertionelle Malaise (PEM) zu beachten.
Bei dem Symptom, das vor allem ME/CFS-Erkrankte betrifft, verschlechtert sich der Zustand teils erheblich und anhaltend, wenn die individuelle Belastungsgrenze überschritten wird. Je nach Ausprägung bedeutet das: Die sonst für viele Erkrankte – gerade in Reha-Kliniken – gängigen, aktivierenden Trainings können sogar schaden. Weil viele Long-Covid-Erkrankte jedoch von einem derartigen Programm profitieren können, ist die PEM-Diagnostik ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal.
Off-Label-Liste: Österreich legt vor
Was sich darüber hinaus bereits heute medikamentös tun lässt, fasste im September eine von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einberufene Expertengruppe erstmals zusammen: Auf 27 Seiten enthält ihr "Therapiekompass" Arzneimittel, die Arztpraxen bei bestimmten Symptomen bereits heute auf Kassenrezept verschreiben dürfen. Es handelt sich ausnahmslos um lindernde, nicht um heilende Ansätze.
Lesen Sie auch
Noch auf sich warten lässt die längst angekündigte "Off-Label-Liste": Auf ihr sollen Medikamente stehen, die sich bei Long-Covid-Patientinnen und -Patienten in Heilversuchen als hilfreich erwiesen haben, die bisher aber nur für andere Krankheiten zulässig sind. Künftig sollen dennoch Krankenkassen dafür aufkommen. Österreich ist da schon weiter: Eine Liste, welche Off-Label-Medikamente die Gesundheitskasse für Long-Covid-Betroffene bezahlt, liegt seit diesem Januar vor.
Über RiffReporter
- Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter.
- Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.
Verwendete Quellen
- biorxiv.org: Transfer of IgG from Long COVID patients induces symptomology in mice
- National Library of Medicine: A causal link between autoantibodies and neurological symptoms in long COVID
- National Library of Medicine: Efficacy of repeated immunoadsorption in patients with post-COVID myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome and elevated β2-adrenergic receptor autoantibodies: a prospective cohort study
- aerzteblatt.de: Immunadsorption zur Therapie des Fatigue-dominanten Long-/Post-COVID-Syndroms
- Medizinische Hochschule Hannover: Does blood purification help against severe fatigue in post-COVID?
- nationalmssociety.org: Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder (NMOSD)
- AWMF Online: S2k-LL COVID-19 und (Früh-) Rehabilitation
- Gemeinsamer Bundesausschuss: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung für Versicherte mit Verdacht auf Long-COVID und Erkrankungen, die eine ähnliche Ursache oder Krankheitsausprägung aufweisen
- Bundesministerium für Gesundheit: Long COVID - Arzneimittel: Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung von Long COVID-Erkrankten
- meduniwien.ac.at: Indikations-Medikamentenliste für PAIS und ME/CFS in Österreich
© RiffReporter
![JTI zertifiziert](https://s.uicdn.com/uimag/7.5711.0/assets/_sn_/module_assets/article/jti-z-light.png)
![JTI zertifiziert](https://s.uicdn.com/uimag/7.5711.0/assets/_sn_/module_assets/article/jti-z-dark.png)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.