Ein paar unerklärliche Pfunde zu viel? Ohne ersichtlichen Grund immer müde? Die Bürste voller Haare? Wer diese Fragen mit "Ja" beantwortet, sollte vielleicht einen Experten einen Blick auf seine Schilddrüse werfen lassen. Denn so klein dieses Organ auch ist, es spielt im Hormonhaushalt unseres Körpers eine entscheidende Rolle. Welche das ist, erklärt der Experte Harald Schneider.

Ein Interview

Mehr Gesundheitsthemen finden Sie hier

Mehr zum Thema Wissenschaft

Eine Störung der Schilddrüsenfunktionen ist gar nicht so selten. Rund zehn Prozent der Deutschen leiden unter einer Unterfunktion der Schilddrüse, einer sogenannten Hypothyreose. Manche, aber sehr viel weniger, leiden an einer Überfunktion.

Der Münchner Arzt Harald Schneider hat sich auf Hormonerkrankungen spezialisiert und ein Buch darüber geschrieben. Im Interview erklärt er, warum die Schilddrüse quasi der Motor unseres Körpers ist, wo Schilddrüsenhormone im Spiel sind und was zu tun ist, wenn etwas nicht stimmt.

Herr Schneider, ganz kurz zur Anatomie: Wo liegt die Schilddrüse und wie sieht sie aus?

Harald Schneider: Die Schilddrüse liegt vor unserem Kehlkopf und sieht ein wenig wie ein Schmetterling aus. Sie wiegt nur etwa 20 Gramm, aber sie produziert wichtige Hormone, die nahezu an allen Organen unseres Körpers wirken.

Sie nennen die Schilddrüse den Motor des Körpers. Was macht sie dazu?

Die Schilddrüse treibt sozusagen unseren Stoffwechsel an. Die Hormone sorgen dafür, dass die Vorgänge in unserem Körper in der richtigen Geschwindigkeit ablaufen und unser Stoffwechsel im Lot bleibt. Sie sind zum Beispiel dafür verantwortlich, dass unser Herz nicht zu schnell oder zur langsam schlägt, dass unsere Knochen stabil bleiben und nicht abgebaut werden. Sie haben aber auch Einfluss auf den Fettstoffwechsel.

Lesen Sie auch: Forscher entdecken neues Organ im Rachenraum des Menschen

Schon bei Babys werden die Schilddrüsenhormone überprüft. Warum sind sie so wichtig?

Schilddrüsenhormone greifen in fast alle Stoffwechselvorgänge unseres Körpers ein. Von Geburt an sind sie unerlässlich, damit wir uns als Menschen normal entwickeln. Wenn bei Babys eine unentdeckte Unterfunktion der Schilddrüse vorliegt, kann das zu schweren Entwicklungsstörungen führen. Deswegen ist es wichtig, schon in den ersten Tagen nach der Geburt zu testen, ob die Schilddrüse normal funktioniert. Falls das nicht der Fall ist, müssen bereits von da an Neugeborene mit Schilddrüsenhormonen versorgt werden.

Selbstdiagnose: Zu viel oder zu wenig Hormone?

Woran können wir selbst erahnen, dass vielleicht mit der Schilddrüse etwas nicht stimmt?

Die Schilddrüse macht sich vor allem dann bemerkbar, wenn sie entweder zu viel oder zu wenig Hormone produziert. Zu viele Schilddrüsenhormone haben zur Folge, dass die Betroffenen eine innere Unruhe spüren, fahrig sind, stärker schwitzen, ihr Herz schneller schlägt und sie möglicherweise grundlos Gewicht verlieren. Manchmal kommt es auch zu Durchfall. Beim Thema Gewicht meint jetzt vielleicht die eine oder der andere: "Super, ist ja toll, dass ich so abnehmen kann." Allerdings ist das keine gesunde Art, abzunehmen. Weil dabei vor allem Muskel- und Knochengewebe abgebaut wird – und das will man ja eigentlich nicht. Zu wenige Schilddrüsenhormone haben genau die gegenteilige Wirkung. Patientinnen und Patienten fühlen sich träge, müde und schlapp, die Haare können ausfallen, die Nägel brüchig werden, viele nehmen zu. Und bei Frauen wird oft der Zyklus unregelmäßig. Zum Teil ist auch die Darmtätigkeit eingeschränkt, was zu Verstopfungen führen kann.

Lesen Sie auch: Mikro-Evolution beim Menschen: Manche haben eine neue Arterie

Woher kann eine Störung der Schilddrüse kommen?

Das kann natürlich verschiedene Ursachen haben. Der Grund für eine Überfunktion kann eine Entzündung der Schilddrüse sein. Ein Beispiel dafür wäre Morbus Basedow, eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper Antikörper gegen die eigene Schilddrüse bildet, welche die Bildung von Schilddrüsenhormonen stimulieren. Außerdem gibt es heiße Schilddrüsenknoten, kleine meist gutartige Geschwüre, die selbst vermehrt Schilddrüsenhormone produzieren. Der weitaus häufigste Grund für eine Unterfunktion ist dagegen die sogenannte Hashimoto-Thyreoiditis. Bei dieser Autoimmunerkrankung reagiert das Immunsystem des Körpers jedoch überschießend gegen die Schilddrüse, die dann nicht mehr gut arbeiten kann. Ein anderer möglicher Grund ist, dass die Schilddrüse operiert oder bestrahlt wurde und deshalb selbst nicht mehr genug Hormone produzieren kann.

Gründe von Fehlfunktion: Stadtleben und ungesunde Ernährung

Gibt es Erkenntnisse darüber, warum Menschen unter einer Fehlfunktion der Schilddrüse leiden?

Man weiß, dass die Hashimoto-Thyreoiditis die häufigste Autoimmunerkrankung überhaupt ist. Man weiß auch, dass diese Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben. Warum allerdings, ist noch nicht genau erforscht. Es spielen wohl verschiedenste Faktoren eine Rolle, unter anderem scheint das städtische Leben weit weg von Keimen Einfluss darauf zu haben. Kinder, die auf dem Land groß werden, sind zum Beispiel seltener betroffen.

Wie sieht eine Therapie aus?

Die Therapie einer Unterfunktion ist im Grunde sehr einfach. Die fehlenden Hormone werden in Tablettenform ersetzt. In der Regel ein Leben lang. Dabei muss die Dosis allerdings immer wieder kontrolliert werden. Bei einer Überfunktion kann akut die Produktion der Hormone mit Medikamenten gehemmt werden. Wenn dauerhaft keine Besserung zu erwarten ist, gibt es auch die Möglichkeit einer Bestrahlung oder einer Operation der Schilddrüse.

Kann man selbst vorbeugen?

Auf jeden Fall ist es sinnvoll, sich ausgewogen zu ernähren, ballaststoffreich sowie zucker- und fettarm. Selen scheint ebenfalls zu helfen, die auftretenden Antikörper zu senken. Paranüsse enthalten zum Beispiel sehr viel Selen. Für eine normale Funktion der Schilddrüse ist eine ausreichende Jodversorgung unbedingt notwendig. Hat der Körper zu wenig Jod, versucht die Schilddrüse dem Mangel entgegenzuwirken, indem sie sich vergrößert und Knoten bildet. Mögliche Folge ist die Bildung eines sogenannten Kropfes. Aber Vorsicht: Im Falle einer Schilddrüsenüberfunktion kann zu viel Jod sogar schädlich sein und die Überfunktion verstärken.

Über den Experten: Prof. Harald J. Schneider ist Facharzt für Endokrinologie und Mitgründer des Zentrums für Endokrinologie und Stoffwechsel mit Standorten in Regensburg, Landshut, München und Ingolstadt. Er ist außerdem Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität und Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie DGE. Gemeinsam mit der Journalistin Nicola Jacobi hat er das Buch "Hormone – ihr Einfluss auf mein Leben. Wie kleine Moleküle Liebe, Gewicht, Stimmung und vieles mehr steuern" (Springer Verlag, 2020ISBN 978-3-662-58977-9, Preis: € 19,99) geschrieben.
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "Einblick" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.