Jeder kennt das: Vor Trauer, Verzweiflung, Wut oder bei sehr großer Freude beginnen wir, zu weinen. Auch wenn ein Sandkorn ins Auge gerät oder beim Zwiebelschneiden: Die Augen werden feucht und Tränen kullern über die Wangen. Aber warum ist das so, warum weinen Menschen? Dieser Frage gehen wir heute in unserer Serie "Nachgefragt" auf den Grund.

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Voraussetzung für das Weinen ist, dass Menschen - wie viele andere Säugetiere auch - einen Tränenapparat haben, der das Auge schützt. Bei Bedarf kann dieser "Apparat" Flüssigkeit produzieren, um so beispielsweise einen Fremdkörper herauszuspülen oder Dämpfe unschädlich zu machen, die das Auge reizen (ein Enzym in der Tränenflüssigkeit bewahrt vor Infektionen und hemmt Bakterien). Durch unterschiedliche Reize wird also reflexartig in den Tränendrüsen Flüssigkeit produziert, der Lidschlag verteilt die Tränen dann im Auge. So wird es gesäubert und klarer Durchblick ist wieder möglich.

Soweit ist alles klar. Aber wie und warum entstehen emotionale Tränen, die bei Traurigkeit, Verzweiflung, Wut, Freude, aber auch bei Schmerzen, Mitleid, Rührung oder dem Empfinden von Machtlosigkeit und ungerechter Behandlung über das Gesicht fließen?

Psychologen und andere Wissenschaftler haben dazu viele, zum Teil gegenläufige Theorien. Einigkeit besteht über den sozialen Aspekt des Weinens und seine wichtige Funktion im menschlichen Zusammenleben. Je nach Naturell und wie nahe man "am Wasser gebaut" ist, weint ein Mensch bis zu 80 Liter Tränen im Laufe seines Lebens, was einer sparsamen Badewannenfüllung entspricht. Zweifellos will, wer weint, Aufmerksamkeit bekommen. Weinen löst beim Gegenüber messbar verstärkte Reaktionen aus. Das weinende Baby wird umgehend gestreichelt, gefüttert, gewindelt. Ihm stehen noch keine anderen Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung. Eltern haben schnell ein Gespür dafür, welche Wein-Variante der Sprössling gewählt hat, also ob wirkliches Unwohlsein oder nur Langeweile dahintersteckt. Erst später haben tränenreiche Gefühlsausbrüche andere Ursachen. Übrigens weinen etwa bis zur Pubertät Mädchen und Jungen gleich oft, erst dann greifen Konventionen à la "ein Junge weint nicht".

Häufig bringen uns komplexe Gründe zum Weinen. Genauso komplex sind die Vorgänge, die dabei im Körper stattfinden. Viele Hirnregionen, Nervenbahnen und Hormone sind beteiligt. Wer richtig geweint hat, fühlt sich hinterher erleichtert - aber warum? Die so genannte Katharsis-, also Reinigungs-Theorie, geht bis auf Hippokrates zurück. Bis heute ist sie aktuell, wie jüngste Ausführungen des US-amerikanischen Biochemikers William Frey beweisen. Er geht davon aus, dass beim Weinen Gefühlsstress abgebaut wird. Allerdings haben chemische Untersuchungen keinerlei Schadstoffe in Tränen feststellen können, wie sie beispielsweise in Schweiß oder Urin nachzuweisen sind. Trotzdem ist die Zusammensetzung von Gefühlstränen deutlich eiweißhaltiger als es etwa die Tränen beim Zwiebelschneiden sind. Auch Messungen beim Anschauen eines tieftraurigen Films helfen hier nicht weiter. Die Probanden, die besonders heftig Tränen vergossen hatten, waren hinterher aufgeregter als die weniger bewegten, was gegen den beruhigenden Effekt des Weinens spricht.

Also weder Ausschwemmen von Schadmolekülen noch entspannende Nervenberuhigung? Mit Sicherheit sind Tränen gerade von Erwachsenen bis heute ein starkes soziales Signal für Hilflosigkeit und Verletzlichkeit. Sie schaffen eine Art Zäsur, unterbrechen das Geschehen, beispielsweise den Streit. Sie schaffen Raum für Besinnung ebenso wie seelischen Abstand für den Weinenden, der durch die Konzentration auf seine Körperreaktionen von den quälenden Fakten abgelenkt wird.

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