Engel oder eiskalt? Amanda Knox muss sechs Jahre nach dem Mord an ihrer damaligen Mitbewohnerin Meredith Kercher erneut ihre Unschuld beweisen. Die italienische Justiz hatte den Fall gegen die US-Amerikanerin und ihren Ex-Freund Raffael Sollecito neu aufgerollt. Am Donnerstagabend ist das Urteil gefallen: 28 Jahre Haft für Knox, 26 Jahre für ihren Ex.

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Es ist ein Verbrechen, das viele Fragen aufwirft: Eine junge schöne Studentin aus den USA beginnt bei einem Auslandsjahr in dem beschaulichen Universitätsstädtchen Perugia eine Liebesbeziehung mit einem italienischen Studenten. Dann geschieht ein Mord - der Beginn eines Justiz-Thrillers.

Der Fall erregt weltweit Aufsehen. Im Prozess geht es um Sexpraktiken und Drogen, die Medien nennen die angeklagte Amanda Knox "Engel mit den Eisaugen". Für die einen ist sie eine durchtriebene "Femme Fatale", die auch vor Mord nicht zurückschreckt, für die anderen das unschuldige Opfer einer Hexenjagd. Doch was ist wirklich passiert?

Der Mord an Meredith Kercher

In der Nacht vom 1. auf den 2. November 2007 stirbt die britische Austausch-Studentin Meredith Kercher in ihrem Zimmer. Ihr halbnackter Körper weist viele Stichverletzungen und Spuren einer Vergewaltigung auf. Außerdem werden ihr Geld und Wertgegenstände gestohlen.

Bald gerät Kerchers Mitbewohnerin Amanda Knox unter Verdacht. Am 6. November wird die damals 20-Jährige und ihr Freund Raffaele Sollecito festgenommen. Die Polizei findet ihr Verhalten auffällig, auch sollen beide widersprüchliche Aussagen über ihren Aufenthalt in der Tatnacht gemacht haben.

Rudy Guede wird verurteilt

Knox belastet den Barkeeper Diya Lumumba. Er wird zwar festgenommen, aber wegen seines Alibis bald darauf wieder freigelassen. Stattdessen kommt ein weiterer Verdächtiger hinzu: Der Ivorer Rudy Guede wird auf einer Fahrt durch Deutschland verhaftet. Seine Fingerabdrücke und DNS finden sich am Tatort.

Guede wird 2008 zu einer Gefängnisstrafe von 30 Jahren verurteilt, die in einem späteren Revisionsverfahren auf 16 Jahre reduziert wird. Nach Ansicht des Gerichts soll er nicht der Mörder, sondern Mittäter sein. Guede gibt an, er hätte mit Meredith Kercher einvernehmlichen Sex gehabt.

Der Prozess gegen Amanda Knox und Raffaele Sollecito: Sex und Drogen

Die italienische Justiz geht von mehreren Tätern aus, da Kercher mit zwei verschiedenen Messern getötet wurde. Die Anklage stellt Sollecito und Knox als ein junges Pärchen mit extremen sexuellen Vorlieben dar. Sie sollen Kercher zu einer Drogen- und Sexorgie gedrängt und, als diese sich weigerte, gequält, vergewaltigt und getötet haben. Durch ein eingeworfenes Fenster hätten sie versucht, einen Einbruch vorzutäuschen.

In seinem Zimmer gefundene Videospiele und Manga-Comics mit Gewaltdarstellungen sollen Sollecitos Neigungen vor Gericht belegen. "Wir haben über Fantasien gesprochen und uns gegenseitig gefragt, was uns gefällt und so weiter, aber das war total normal", wehrt sich Sollecito in einem späteren Interview mit der britischen Zeitung "The Sun" gegen diese Vorwürfe.

Auch Drogen sollen keine große Rolle gespielt haben. "Marihuana war ganz gängig. Irgendjemand bei uns zu Hause hatte immer etwas da, aber es war kein drogenverseuchtes Umfeld", sagt Knox 2013 bei Markus Lanz.

Freispruch nach zwei Jahren Haft

Am 5. Dezember 2009 werden Amanda Knox und ihr mitangeklagter Ex-Freund Raffaele Sollecito an dem Mord an Meredith Kercher anhand von Indizien für schuldig befunden und zu 26 bzw. 25 Jahren Haft verurteilt.

Zwei Jahre später werden die beiden jedoch in zweiter Instanz frei gesprochen. Der Verteidigung gelingt es mithilfe eines Gutachtens, die Hauptbeweisstücke zu entkräften. Angebliche DNS-Spuren von Knox und Sollecito an Kerchers BH und an der Tatwaffe seien nicht zweifelfrei feststellbar.

Von der Hexe zur Heiligen: Der Image-Wandel von Amanda Knox

Nach ihrer Freilassung kehrt Amanda Knox in die USA zurück. Sie veröffentlicht ein Buch, in dem sie ihre Version der Geschichte erzählt, und gibt mehrere Interviews, in denen sie ihre Unschuld beteuert. Die italienische Polizei habe sie beim Verhör unter Druck gesetzt und geschlagen. In ihrer Heimat gilt sie als Opfer des italienischen Rechtssystems.

Raffaele Sollecito glaubt, dass die italienischen Staatsanwälte an ihrer Sex-Theorie festhalten aus Rache an ihm und Knox und um ihre eigene Reputation zu retten: "Warum sollte ich jemanden grausam ermorden, den ich kaum kenne, mit jemanden, den ich erst fünf Tage zuvor getroffen habe? Es macht keinen Sinn", sagt er der "Sun".

Das Gericht hebt den Freispruch auf

Doch der Fall beschäftigt weiter die italienische Justiz. Auch die Familie Kercher glaubt, dass es neben Guede noch andere Täter gibt und hält Knox und Sollecito für schuldig. Am 26. März 2013 hebt das Gericht den Freispruch gegen Knox und Sollecito auf, weil Fehler in dem Verfahren festgestellt wurden.

Zum erneuten Prozess erscheint die mittlerweile 26-jährige Knox jedoch nicht. An diesem Donnerstag wurde sie nun verurteilt als Mörderin - zu 28 Jahren Haft.

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