Ralph Ruthe ist einer der berühmtesten Cartoonisten Deutschlands. Kürzlich überraschte er seine 837.000 Facebook-Follower mit einem offenen Brief an Flüchtlingsgegner. Im Interview mit unserem Portal spricht er über die unzähligen Reaktionen, Fremdenhass im Netz und Wut als Antrieb für Kreativität.

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Ralph Ruthes offener Brief an Flüchtlingsgegner wurde innerhalb einer Woche rund 79.000 Mal geteilt. Der Cartoonist hatte unter anderem geschrieben: "Ich bin heute morgen aufgestanden, habe Wasser aus der Leitung in ein Glas laufen lassen und es getrunken. (...) Während ich das tat, ist neben mir kein Haus explodiert. Auf dem Weg zurück wurde ich weder für meine Hautfarbe oder meine Sexualität bedrängt oder ermordet. (...) Um in dieser Situation zu sein, musste ich nicht die Menschen zurück lassen, die ich liebe. (...) Das war einfach so. Wenn ihr in einer ähnlichen Situation seid wie ich, gehört ihr zu den reichsten Menschen der Welt. Und es tut gut, sich dieses Glück hin und wieder vor Augen zu führen. Zum Beispiel, bevor man einen wütenden Facebook-Kommentar schreibt. Oder etwas anzündet."

Herr Ruthe, war Ihr offener Brief eine spontane Idee? Oder hatten Sie den Schritt geplant?

Ralph Ruthe: Das war spontan. Das Thema beschäftigt mich allerdings dauerhaft. Die Worte sprudelten an diesem Morgen exakt so, wie sie auf meiner Facebookseite zu lesen sind, aus mir heraus. Ich bin ein Bauch-Mensch.

Wie viele Facebook-Fans haben Sie durch den offenen Brief verloren?

Das weiß ich nicht, weil ich nie in meine Statistiken gucke. Ist aber auch egal: Es sind ja nur die gegangen, die sich auf meiner Seite dauerhaft eh nicht wohl gefühlt hätten. Und ich mich mit ihnen auch nicht. Ich habe also nichts verloren, was mir wichtig gewesen wäre.

Was sagen Sie jenen, die auf "gefällt mir nicht mehr" geklickt haben?
Gute Besserung!

Sie haben anschließend gezielt auf Kritiker reagiert – wie lange saßen sie an diesem Tag vor dem PC?

Nicht länger als an anderen Tagen auch. Ich bin es gewohnt, viel Austausch mit meinen Followern zu haben und es ist ein großer Teil meines Arbeitsalltags, auf Kommentare zu reagieren. An dem Tag habe ich einfach nur etwas mehr Kommentare geschrieben als sonst.

Gleichzeitig haben viele, viele Menschen den Beitrag geteilt. Was sagt Ihnen das?

Es gibt Hoffnung. Ein Gegner meines Postings schrieb: "Versuch doch nicht, mit Emotionen von den eigentlichen Problemen abzulenken!". Meine Antwort lautete: "Fehlende Emotionen SIND das Problem!". Aber die Tatsache, wie viel positives Feedback ich bekommen habe zeigt mir, dass ich mit dieser Ansicht nicht alleine bin. Den Wenigsten ist es egal, wenn Menschen so viel Leid erfahren, dass sie flüchten müssen.

Würden Sie sich wünschen, dass auch andere prominente Menschen diesen Weg gehen würden?

Ich habe das für mich getan. Weil ich vermeiden möchte, dass irgendjemand auch nur eine Sekunde lang denken könnte, ich wäre anderer Ansicht. Und weil ich mir nicht irgendwann vorwerfen möchte, dass ich nichts geschrieben habe. Schließlich erreiche ich mittlerweile sehr viele Menschen. Wenn auch nur zwei oder drei nach dem Lesen meines Textes ihre Meinung noch einmal überdacht haben, hat es sich schon gelohnt. Als Person der Öffentlichkeit hat man da die Chance, etwas zu bewegen. Keine Ahnung, warum das nicht mehr Leute tun. Mir ist es wichtig.

Sie sind viel in sozialen Netzwerken unterwegs: Welche Diskussionskultur empfinden Sie aktuell?

Ich bin zufrieden: meine Fans sind grundsätzlich friedlich, höflich und offen. Aber über 800.000 Follower sind natürlich keine kleine eingeschworene Gemeinde, das ist ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Unvermeidbar, dass es darunter auch hasserfüllte Leute gibt, die nur kommen, um schlechte Laune zu verbreiten. Trotzdem sind diese Personen auf meinen Seiten eher selten unterwegs. Ich habe mir da über Jahre ein bestimmtes Publikum erarbeitet, das in den entscheidenden Punkten ähnlich tickt wie ich - dafür bin ich sehr dankbar. Insgesamt wird im Netz aber natürlich sehr viel Galle verspuckt, da muss man nur die Kommentare unter einem durchschnittlichen YouTube-Video lesen. Aber man darf nicht vergessen, dass da viele pubertierende Jungs dabei sind, die extrem verwirrt sind oder einfach einen miesen Humor haben. Pubertierenden Jungs ging schon immer kranker Quatsch durch den Kopf, früher konnte man den nur nirgendwo lesen.

Haben Sie Hoffnung, dass die Stimmung bei diesen Menschen wieder positiver werden könnte?

Ich verstehe, dass Leute manchmal wütend sind. Ich bin auch manchmal wütend. Wut kann etwas Gutes sein - ein Antrieb für Kreativität. Der letzte Schubs, den man braucht, um etwas zu bewegen. Aber Hass, egal auf wen oder was er gerichtet ist, führt nie zu etwas Gutem. Er ist sprichwörtlich blind. Ich wünschte, mehr Leute würden das erkennen können und lieber anfangen, wütend zu sein. Um diese Energie dann zu nutzen und anschließend eine für alle positive Veränderung zu schaffen. Hass ist purer Egoismus.

Sie klingen, als würden Sie weiterhin Ihre Meinung sagen.

Das habe ich immer getan. Warum sollte ich jetzt damit aufhören?

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