Kein anderes Unternehmen der Automobilindustrie beschäftigt so viele Software-Experten wie Bosch. Künstliche Intelligenz unterstützt die Entwickler unter anderem in den Bereichen Umfeldwahrnehmung und Fahrerassistenzsysteme.

Mehr zum Thema Mobilität

Wenn es um die Entwicklung von Software geht, denken die meisten Menschen an Firmen wie Google oder Microsoft, hierzulande vielleicht noch an SAP. Dass jedoch beim deutschen Autozulieferer Bosch 42.000 Menschen daran arbeiten, Software für aktuelle und zukünftige Fahrzeuge zu entwickeln, kommt teils sogar für Experten überraschend. Das sind so viele wie in keinem anderen Unternehmen der Automobilindustrie. Dabei fing alles klein an in den späten 1970er-Jahren mit dem Code eines Motorsteuergeräts für den damaligen BMW 732i.

Inzwischen geht bei Software nichts mehr ohne künstliche Intelligenz (KI). Bei KI ahmen Computersysteme auf Basis erlernter Muster Menschen nach. Ein KI-System nimmt seine Umgebung beispielsweise über Kameras und Sensoren wahr, interpretiert diese und leitet daraus Handlungen ab. Beispiel Fahrerassistenzsysteme: Bosch setzt bereits seit 2009 auf KI, um die Bilder der Frontkamera auszuwerten. Künstliche Netzwerke sind in der Lage, auf den Digitalbildern Muster zu erkennen und sie konkreten Objekten zuzuordnen. Damit lassen sich Autos von Fußgängern oder Radfahrern unterscheiden, aber auch Tempolimits von Verkehrsschildern ablesen oder Ampeln und Fahrbahnmarkierungen aufspüren.

Um das Steuergerät der Kamera hierfür in die Lage zu versetzen, wurde es vorher mit realen Verkehrssituationen trainiert, sprich, es wurden Bilder von echten Straßenszenen verwendet, an denen im Vorfeld Menschen zum Teil per Hand die einzelnen Objekte markiert hatten. Nach vielen Trainingssessions ist die KI in der Lage, diese Unterscheidung selbstständig durchzuführen – teils mit höherer Trefferwahrscheinlichkeit als der Mensch. Die seit 2019 verbaute Frontkamera der dritten Generation von Bosch ist sogar in der Lage, Straße und Randbereiche voneinander zu unterscheiden, selbst wenn keine Fahrbahnmarkierung vorhanden ist. Die Kamera verpackt Hardware und Software in einem Gehäuse. Die Berechnungen nimmt das Steuergerät mit künstlicher Intelligenz an Ort und Stelle vor.

Zentralrechner statt zig Steuergeräte

Bei der Fahrzeugelektronik geht jedoch seit Jahren der Trend weg vom einzelnen Steuergerät hin zu zentralen Computern, die mehrere Funktionen eines Bereiches vereinen – den sogenannten Domänen-Rechnern. So lassen sich etwa alle Assistenzsysteme über ein leistungsfähiges Computerhirn wie die ADAS Integration Plattform von Bosch steuern, wodurch unter anderem Kosten bei Hardware und Verkabelung eingespart werden können.

Zudem profitiert die Qualität der Anwendung von der Fusion: Wenn nicht nur Kamerabilder, sondern auch die Daten der Radar- oder Lidar-Sensoren in die Auswertungsalgorithmen der KI einfließen, entsteht eine deutlich robustere Erfassung der Fahrzeugumgebung. Wird ein Hindernis auf der Fahrbahn von mehreren Sinnesorganen registriert, ist die Gefahr für eine unbegründete Notbremsung viel geringer als bei nur einer Sensorgattung.

Um die Sinnesorgane weiter zu schärfen, bedarf es jedoch jeder Menge Trainingsmaterials, bereitgestellt durch Videos und Bilder aus echten Verkehrssituationen oder synthetisch erzeugten Bildern. Bosch kann inzwischen auf Verkehrsdaten mit einer Gesamtgröße von weit über 200 Petabyte zurückgreifen. Ein Petabyte entspricht einer Million Gigabyte. Gewonnen werden die Daten von Bosch-eigenen Kamerafahrzeugen, aber auch von den Flotten großer Autohersteller wie Volkswagen. Die große Datenmenge ist deshalb wichtig, damit die KI-Systeme auch aus selten vorkommenden Ereignissen lernen und Handlungsoptionen ableiten können. Bei der Führerscheinausbildung haben wir Menschen beispielsweise gelernt, dass einem Ball, der zwischen geparkten Autos auf die Straße rollt, oft noch ein Kind folgt und wir daher vorsorglich die Bremse betätigen. Eine KI muss sich dieses Kontextwissen selbst beibringen – über Videos, auf denen genau solche Szenen zu sehen sind. Und das auch noch möglichst unter verschiedenen Verkehrs-, Wetter- und Sichtverhältnissen. Man kann sich vorstellen, wie lang ein einzelnes Auto fahren müsste, um all die seltenen Randbereiche abzudecken.

Doch auch hier kann generative KI unterstützen, indem sie sich Varianten einer real aufgenommenen Verkehrssituation selbst generiert: Per Bildbearbeitung lassen sich Hindernisse wie verlorene Lkw-Reifen auf der Straße platzieren, es lassen sich aber auch die Sichtverhältnisse erschweren, indem Regen oder Schnee eingefügt wird. Eine einzelne Kamerafahrt generiert so gleich mehrere Trainingsvideos.

Viele Vorteile mit ams+
Erhalten Sie werbereduzierten Zugang zu allen Inhalten von auto-motor-und-sport.de inkl. der digitalen Zeitschrift als E-Paper. Monatlich kündbar.

Die Entwicklung von Software war bei Bosch anfangs stark mit der Hardware verknüpft, deren Verkauf den eigentlichen Umsatz gebracht hat. Das Motor-Steuergerät für den 732i konnte eben nur mit der passenden Software von BMW eingesetzt werden. Inzwischen bietet der größte Zulieferer der Welt jedoch auch reine Software-Produkte an, sprich Programme, die auf den Steuergeräten und Domänen-Rechnern von vielen verschiedenen Herstellern funktionieren müssen. Der globale Markt für Automobilsoft- und Hardware wächst seit 2019 jährlich um über fünf Prozent und damit deutlich stärker als die eigentliche Fahrzeugproduktion. Und das ist in der momentanen Situation, in der der Absatz klassischer Komponenten schwächelt, ein positiver Trend.  © auto motor und sport

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.