2600 Kilometer, 17.000 Höhenmeter, vier Wochen – alleine mit Zelt, Schlafsack und Gravelbike einmal von Hamburg nach Madrid. Die erste richtig lange Bikepacking-Tour unserer Autorin Jana. Dass dabei nicht alles glatt geht, versteht sich quasi von selbst. Hier teilt sie die Lektionen, die sie auf die harte Tour lernen musste.
Bikepacking – stellt ihr euch darunter vor, an einem lauen Sommerabend in den Sonnenuntergang zu rollen? Gemütlich vor dem Zelt ein leckeres Mahl zu löffeln und dabei die Aussicht zu genießen? Wie die Fahrrad-Influencer in schicken Klamotten Zimtschnecken aus der Bäckerei snacken und Kaffee aus dem mitgebrachten Espressokocher zu trinken? Ja? So ungefähr habe ich mir das mit dem Bikepacking auch vorgestellt. Jetzt, eine Woche nachdem ich meine erste lange Tour beendet habe, weiß ich: GANZ so verhält es sich nicht immer. Hier kommen meine Top 7 Radreise-Fails und was ich daraus gelernt habe.
Bikepacking von Hamburg nach Madrid: 7 Lektionen
Kein regenfestes Zelt dabei
Fangen wir doch direkt mit der unangenehmsten Nacht des gesamten Trips an. Frankreich, Rhein-Rhone-Kanal. Regen seit drei Tagen. Wasser links (der Kanal), Wasser rechts (matschige Kuh-Weiden). Wasser oben (Regen), Wasser unten (Spritzwasser, das mir ins Gesicht fliegt). Camping-Optionen? Null. Es wird langsam dunkel und ich werde zunehmend nervös. 125 Kilometer stehen schon auf dem Tacho. Eigentlich will ich doch nur 100 am Tag fahren. Auf der Karte sieht es nicht gut aus. Weiden und Kanal gehen endlos so weiter, kein Waldstück, keine Hütte, kein Campingplatz, nur ein winziges Dorf in realistisch erreichbarer Nähe. Hier gibt es dann tatsächlich ein camping-geeignetes Stück Wiese. Aber der Blick auf die Wetter-App verrät ergiebigen Regen für die Nacht. Das schafft mein geliebtes Ultraleicht-Zelt nicht - dessen bin ich mir sicher, seit ich auf der Tour du Mont Blanc mal eine Nacht in einer Pfütze geschlafen habe. Ich schaue mich um. Hier gibt es tatsächlich eine Art überdachte Holzterrasse, die offenbar zu einem kleinen Café gehört. Das ist wohl meine beste Option, denke ich, und verbringe meine ungemütlichste, kälteste und nasseste Nacht auf den langsam feucht werdenden Holzbohlen.
Bikepacking-Lektion: Klar kann man auch auf Café-Terrassen schlafen, aber ein wetterfestes Zelt ist für mich das Mehrgewicht in Zukunft absolut wert!
Rahmen nicht genug geschützt
Die Freude über eine praktisch unfallfreie Fahrt hielt genau so lange, wie es gedauert hat, die Lenkerrolle vom Lenker abzufummeln (also gefühlt circa eine Stunde). Die Kontaktstellen der Taschen am Rahmen, der Sattelstütze und dem Lenker hatte ich zwar vorab mit Tape abgeklebt - offenbar dabei aber die ein oder andere entscheidende Stelle vergessen. Vor allem am Steuerrohr finde ich schnell einige Kratzer - verursacht durch Schmutz und Staub unter der Lenkerrolle. Der Einsatz von Spacern oder häufigeres Abnehmen und Reinigen der Taschen hätte hier womöglich auch geholfen. Jetzt muss ich mit ein paar mehr Kratzern im Lack leben - aber das ist okay. Das Fahrrad hat schließlich einiges mitgemacht.
Bikepacking-Lektion: Rahmenschutzfolie großzügig nutzen, Spacer am Lenker anbringen, häufiger Taschen abnehmen und reinigen.
Zu spät im Jahr auf Tour gehen
Was können Radfahrer besonders gut? Klar, sich übers Wetter beschweren. Zu heiß, zu kalt, zu nass, zu windig. Es ist immer irgendwas. Ich bin zwar nicht davon ausgegangen, einen Monat lang perfektes Wetter auf meiner Tour zu haben, aber so viel Kälte habe ich nicht erwartet. Besonders frostig: ein Morgen in Spanien. Es ist 8 Uhr morgens und ich bin bibbernd dabei, mein Zelt abzubauen. Geschlafen habe ich in meiner Daunenjacke. Beim Zusammenklappen der nasskalten Zeltstangen fallen mir fast die Hände ab. Das Thermometer sagt: 5 Grad. Ich sage: zu kalt zum Zelten. Die Sonne ist erst vor ein paar Minuten aufgegangen und ist noch hinter den fichtenbewachsenen Bergen versteckt. Die Kombination aus ungemütlichem Herbstwetter und merklich kürzer werdenden Tagen nervt mich doch mehr als erwartet.
Bikepacking-Lektion: Mir persönlich machen heiße Tage auf dem Rad deutlich weniger aus als kalte Tage (Fahrtwind regelt!). Also: Nächstes Mal weniger Herbst und mehr Sommer.
Sich NUR auf die Routenplaner-App verlassen
Vorab: Ich bin richtig zufrieden mit meiner Routenplanung und Navigation. Für beides habe ich den Klassiker Komoot im Bike-Touring-Modus genutzt. Und wenn wir ehrlich sind, habe ich einfach eines schönen Tages Hamburg und Madrid eingegeben und die App den Rest erledigen lassen. Motto: Zweckmäßigkeit vor Schönheit. Hat im Großen und Ganzen super geklappt. Gut, da war der Bahnübergang in den Pyrenäen, der keiner war. Und das kleine Stoppelfeld in Hessen. Und die steilen Dorfstraßen in Frankreich, wo man auch einfach auf der ruhigen, flachen Landstraße mit dem netten Seitenstreifen hätte bleiben können. Aber da waren auch vier geniale Tage auf dem EuroVelo 6 in Frankreich, da waren traumhafte autofreie Bergstraßen durch die spanische Hochebene und die perfekten Gravel-Strecken im Spessart.
Warum jetzt also Lektion? Weil es einige wenige - dafür aber nachhaltig doofe - Stellen gab, die ich im Nachhinein gerne selber geplant hätte: 40 Kilometer durch den Stadtverkehr eines Urlaubsortes nach dem anderen, kurvige, dicht mit Lkws befahrene Bergstraßen, bei denen ich das ein oder andere Mal dachte, das war’s jetzt mit dem Bikepacking und dem Weiterleben insgesamt. Um das zu vermeiden, hätte ich auch größere Umwege in Kauf genommen - aber das weiß Komoot ja nicht.
Bikepacking-Lektion: Sich den großen Teil der Routenplanungsarbeit durch Streckenplaner abnehmen lassen - super. Trotzdem noch mal ein kritisches Auge drauf werfen und im Zweifel noch mal selber umplanen - gelernt.
Nicht genug Notfall-Nudeln dabeihaben
Meinem Freund und meiner Mama waren zwei Dinge besonders wichtig, die ich dabei haben sollte, wenn ich schon wochenlang alleine in der Walachei unterwegs sein würde: Pfefferspray und Notfall-Nudeln. Beides hielt ich für mittel-wichtig. Gerade in Sachen Nahrung war ich fest davon überzeugt, dass ich schon jeden Tag genügend Supermärkte finden würde und mir den Platz für eine Extra-Packung Nudeln eigentlich sparen könnte.
Dieser Gedanke kam mir wieder in den Sinn, als ich auf einem Baumstumpf sitzend im französischen Limousin leicht entsetzt Google Maps studierte. Nur Wald, winzige Dörfer und kein Supermarkt. Heute nicht, und morgen auch nicht. Unbemerkt war ich in einem doch ziemlich wilden Naturpark gelandet. Also hieß es: Meine angebrochene Packung der letztendlich doch mitgebrachten Nudeln rationieren. Nudeln mit Pfeffer und Salz für zwei Tage. Radreise-Leben am Limit.
Bikepacking-Lektion: Immer Notfall-Nahrung dabei haben, auch wenn man denkt, man braucht sie nicht.
Zu früh siegessicher sein
Geil, 2.600 Kilometer ohne Defekte, mechanische Probleme, ja sogar ohne einen Platten! Dachte ich. Bis zum ALLERLETZTEN Tag der Reise. 60 Kilometer vorm Ziel. Ich komme mit Thunfisch-Empanada, Apfelecke und Saft beladen aus dem Día - und: Hinterreifen platt. Ohne ersichtlichen Grund. Am letzten Tag.
Bikepacking-Lektion: Demütig der Technik gegenüber sein! Dinge können bis zuletzt kaputt gehen!
Overthinking
Bin ich gut genug vorbereitet für diese Tour? Eigentlich habe ich dieses Set-Up viel zu wenig getestet. Werde ich genug Wasser unterwegs finden? Meine Geräte immer aufladen können? Werde ich die Distanzen schaffen, die ich mir vorstelle oder viel langsamer sein? Was, wenn etwas am Fahrrad kaputt geht, das ich nicht reparieren kann? Ich werde einmal quer durch Frankreich fahren, obwohl ich kein Französisch kann. Ist das nicht gefährlich, so ganz alleine? Ahhhh!
Fängt man einmal an, über die Dinge zu sinnieren, die alle schief gehen könnten, müsste man konsequenterweise direkt zu Hause bleiben. In den Tagen vor dem Start habe ich mehr als einmal gezweifelt, ob ich mich mit diesem Vorhaben nicht etwas übernommen habe. Aber je mehr gute Tage im Sattel ich hatte, desto glücklicher war ich darüber, ins "kalte Wasser” gesprungen zu sein. Nur weil man nicht zu Hause in seinem gewohnten Alltag ist, heißt das nicht, dass einem auf einmal alle Menschen was Böses wollen oder man seine Fähigkeit verliert, gute Entscheidungen treffen zu können.
Die wichtigste Bikepacking-Lektion: Mutig sein und einfach mal machen - auch größere Projekte!
Fazit: Bikepacking ist super!
Auch wenn ich mich hier vor allem auf die Pannen und weniger schönen Situationen konzentriert habe – der Fokus täuscht! Mein Trip war ein voller Erfolg. Statt an die frostigen Nächte und die traurigen Nudeln erinnere ich mich an spektakuläre Sonnenuntergänge, nette Begegnungen mit anderen Radfahrern auf den Straßen, das Gefühl, aus eigener Kraft drei Länder durchquert zu haben und vor allem: alles gesund und ohne größere körperliche Beschwerden geschafft zu haben. Bleibt nur die Frage: Wo geht’s als nächstes hin? © Bike-X
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