KTM steckt tief in der Krise: Überproduktion und Qualitätsprobleme führen zu Kurzarbeit und Entlassungen. Verhandlungen mit Kernaktionär Bajaj sind offenbar geplatzt, der Insolvenzantrag wird gestellt. MOTORRAD bleibt an den rasanten Entwicklungen dran.
Update vom 26. November 2024: Offenbar sind die Verhandlungen zwischen KTM und Kernaktionär Bajaj über eine dringend benötigte Zwischenfinanzierung geplatzt. Denn am Dienstag, 26. November, schlug die Nachricht ein wie eine Bombe: "Die KTM AG bereitet Antrag auf ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung vor." Auch wenn das Wort "Insolvenz" in der Ad hoc-Mitteilung der KTM-Muttergesellschaft Pierer Mobility AG nicht vorkommt, so bedeutet das nichts anderes als einen Antrag auf Insolvenz der KTM AG, bei der die bisherige Geschäftsführung aber im Amt und handlungsfähig bleibt. Stefan Pierer (CEO) und Gottfried Neumeister (Co-CEO seit September 2024) gaben hierzu ein Video-Statement:
Video: Pit Stop for the Future_ Strengthening KTM (1080p)
Stefan Pierer kämpft um KTM und um sein Lebenswerk
Das Video-Statement von KTM ist international ausgerichtet, in englischer Sprache. Sinngemäß sagte Stefan Pierer: "Wir sind in den letzten drei Jahrzehnten zu Europas größtem Motorradhersteller gewachsen. Millionen von Motorradfahrern auf der ganzen Welt begeistern wir mit unseren Produkten. Jetzt legen wir einen Boxenstopp für die Zukunft ein. Die Marke KTM ist mein Lebenswerk und dafür kämpfe ich."
Sanierungsverfahrens mit Eigenverwaltung
Dazu liegt eine auf Deutsch verfasste Text-Mitteilung vor: "Der Vorstand der KTM AG fasste heute (26.11.2024) den Beschluss, den Antrag auf Einleitung eines gerichtlichen Sanierungsverfahrens mit Eigenverwaltung über das Vermögen der KTM AG und ihrer Tochtergesellschaften KTM Components GmbH und KTM F&E GmbH einzureichen. Die Verfahren geben die Möglichkeit, weiterhin das Vermögen unter Aufsicht zu verwalten und die KTM-Gruppe eigenständig zu sanieren. Alle sonstigen Tochtergesellschaften der KTM AG, insbesondere sämtliche Vertriebsgesellschaften, sind davon nicht betroffen.
Ziel des Verfahrens ist es, innerhalb von 90 Tagen mit den Gläubigern (der KTM AG, Red.) einen Sanierungsplan zu vereinbaren. Durch eine Redimensionierung der Gruppe soll nicht nur der Bestand der KTM-Gruppe nachhaltig gesichert, sondern auch die Basis geschaffen werden, erstarkt aus dem Verfahren zu kommen. Eine Redimensionierung der Produktion soll dazu führen, dass der Lagerüberbestand bei KTM und ihren Händlern in den kommenden zwei Jahren angepasst wird. Dadurch wird es in den Jahren 2025 und 2026 zu einer Reduzierung der Betriebsleistung an den österreichischen Standorten im Ausmaß von insgesamt über EUR 1 Mrd. kommen."
Negatives Jahresergebnis im hohen dreistelligen Millionenbereich
Und weiter: "Aufgrund des Restrukturierungsprozesses ergibt sich ein zusätzliches Verlustpotential, etwa durch Einmalaufwendungen wie notwendige Abwertungen (z. B. für aktivierte Entwicklungskosten) und Kosten für den Mitarbeiterabbau sowie durch die Fixkostenunterdeckung aufgrund der verringerten Betriebsleistung und sonstige Kosten, die durch das Restrukturierungsverfahren entstehen. Daher erwartet sich die Gesellschaft für das laufende Geschäftsjahr 2024 aus den vorher genannten Gründen ein negatives Jahresergebnis im sehr hohen dreistelligen Millionenbereich."
Was zuvor geschah:
Vor rund einem Jahr ging’s los: Kurz vor Weihnachten 2023 kündigte KTMs Mutterkonzern, die Pierer Mobility AG, die Verlagerung von Arbeitsplätzen zum KTM-Teilhaber Bajaj nach Indien und zum Produktionspartner CFMoto nach China an. Damit einher ging ein Abbau von rund 300 Arbeitsplätzen am KTM-Standort in Mattighofen, Oberösterreich. Begründet wurde die Entscheidung mit "nachteiligen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa." Im Januar 2024 meldete die Pierer AG dann aber für 2023 einen "Rekordumsatz" und mit 381.634 weltweit verkauften Motorrädern eine nochmalige Absatzsteigerung um zwei Prozent.
2024 wird zum Schicksalsjahr
Doch 2024 stürzten die Zahlen ab: Der Umsatz brach um 27 Prozent ein, die weltweiten Motorradverkäufe gingen um 21 Prozent zurück. Die Verschuldung stieg von 300 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro. Gleichzeitig mussten KTM-Manager Qualitätsprobleme wie einlaufende Nockenwellen bei vielen 790er und einigen 890er und allgemein Überproduktion eingestehen. In Erwartung, dass es immer so weitergeht, waren in Mattighofen zu viele Motorräder gebaut worden. Dem versucht KTM seit September 2024 mit deutlichen Preisnachlässen gegenzusteuern. Etliche KTM-Modelle gab’s plötzlich um rund 20 Prozent reduziert – ein in der Motorrad-Branche außergewöhnlicher Schritt.
Pierer stutzt den Vorstand zurecht
Ebenfalls kein gutes Vorzeichen war die überraschende Verkleinerung des Vorstands der Pierer AG von sechs auf nur noch zwei Personen. Auch KTM-Gründer Neffe Hubert Trunkenpolz musste seinen Posten räumen. Stefan Pierer selbst blieb.
Plötzlich braucht KTM Millionen
Am 12. November 2024 kam dann der Hammer: In einer Mitteilung der Pierer Mobility hieß es, dass KTM Geld fehle. Sehr viel Geld: Die Firma brauche einen "dreistelligen Millionenbetrag" zur Überbrückung. Zudem soll ab Januar 2025 in Mattighofen ein Produktionsstopp folgen, um den viel zu hohen Bestand an unverkauften Motorrädern abzubauen. Erst ab März 2025, so Konzernchef Stefan Pierer, soll die Produktion wieder anlaufen, dann aber nur im Ein-Schicht-Betrieb, was weitere Entlassungen mehr als nur wahrscheinlich macht.
EICMA-Gerüchte: MV Agusta doch nach China?
Noch wenige Tage vor diesen alarmierenden Meldungen hatte auf der Messe Eicma nichts auf eine solche Krise hingedeutet. Der KTM-Messestand in Mailand barst vor Neuheiten. Gerüchte aber gab’s: So war etwa von einem möglichen Verkauf von MV Agusta nach China die Rede – erst im Frühjahr hatte KTM die Mehrheit bei MV übernommen. Oder es hieß, dass Red Bull bei KTM einsteigen würde.
Rettet Red Bull-Erbe am Ende KTM?
Und in der Tat zitierten österreichische Zeitungen später nicht näher genannte Quellen, die berichteten, es gäbe aktuell Verhandlungen zwischen KTM und dem Energy-Drink-Hersteller, über einen Einstieg als Investor. Immerhin ist Red Bull schon Sponsor für KTMs MotoGP- und Rallye-Aktivitäten. Bemerkenswert: Keine 24 Stunden nach Veröffentlichung dieses Gerüchts folgte ein Dementi der Pierer Mobility AG. Es gebe keine Gespräche zwischen dem Mattighofener Konzern und Mark Mateschitz. Der Sohn und Nachfolger des 2022 verstorbenen Red Bull-Gründers gilt als der aktuell reichste Österreicher.
Und wie ist der Stand mit Bajaj?
Von der Pierer Mobility AG bestätigt wurde hingegen, dass Verhandlungen zwischen KTM-CEO und Mehrheitseigner Stefan Pierer mit seinem indischen Partner Bajaj über eine Finanzspritze für Mattighofen liefen. Der finanziell gut gepolsterte indische Konzern Bajaj Auto (Umsatz 2023/24: knapp fünf Milliarden Euro) ist über die Pierer Bajaj AG bereits Kernaktionär von KTM. Es hätte sein können, dass Bajaj der Pierer-Marke aus der Patsche hilft. Die Meldung vom 26.11.2024 zeigt aber, dass die Verhandlungen mit Bajaj vorerst gescheitert sind. Weiterhin möglich ist aber, dass die Inder den österreichischen Hersteller komplett übernehmen, mitsamt seiner Schwestermarken Husqvarna, GasGas und MV Agusta. Aber womöglich ohne Stefan Pierer.
Fazit
KTM, der größte europäische Motorradhersteller, steckt in einer Finanzkrise. Aufgrund von Überproduktion und Qualitätsproblemen wurde zuerst ein Produktionsstopp mitsamt Stellenabbau in Mattighofen angekündigt, der weitere 300 Mitarbeiter betrifft. Am 26. November 2024 folgte die Ankündigung des Insolvenz-Antrags. KTM hätte kurzfristig einen dreistelligen Millionenbetrag zur Überbrückung benötigt. Gespräche mit Investoren, darunter die Pierer Bajaj AG, hätten eine finanzielle Restrukturierung ermöglichen sollen, sind aber, wie es aktuell scheint, gescheitert. © Motorrad-Online
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