Nio war eigentlich ziemlich höflich. Nach Aufkommen des Markenrechtsstreits mit Audi rund um die SUV-Modelle der Chinesen, hatte Nio seine Autos von ES6, ES7 und ES8 in EL6, EL7 und EL8 umbenannt, um weiteren Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Die Ingolstädter jedoch ließen nicht locker und drängten weiterhin auf eine Durchsetzung ihres Anliegens. Mit Erfolg, denn in erster Instanz hatte das Landgericht München I Audi Recht gegeben und Nio ein Werbeverbot erteilt (1 HK O 13543/21).
Das wiederum wollten die Chinesen dann auch nicht auf sich sitzen lassen und legten Anfang 2023 Berufung ein. Parallel dazu hatte jedoch das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum den Löschantrag von Audi für die strittigen Modellbezeichnungen abgewiesen. "Keine Verwechslungsgefahr", hieß es in der Begründung – was möglicherweise wiederum die Kampfeslust der Ingolstädter angefeuert haben könnte. Nios Berufungsantrag wurde durch das Oberlandesgericht München schließlich im Sommer 2023 zugelassen und jetzt haben sich die beiden Streithähne erneut vor Gericht getroffen, wie die Automobilwoche berichtet.
Und das Ergebnis? Gibt es nicht. Der Vorsitzende Richter legte beiden Parteien eine außergerichtliche Einigung im Vorfeld eines möglichen Urteilsspruchs im März nahe. Nachdem Audi allerdings beharrlich auf eine juristische Durchsetzung seiner Markenrechte pocht, dürfte eine Annahme dieser Empfehlung ungewiss sein. Sollte die unterlegene Partei abermals eine Berufung anstreben, ginge der Prozess vor den Bundesgerichtshof.
Die Historie des Streits
Nio bewarb auf seiner Internetseite zwei Modelle mit seinem Firmennamen und den Baureihenbezeichnungen "ES6" und "ES8" und den Marktstart dieser Fahrzeuge in Europa. Audi sieht in der Modellbezeichnung die Verwechslungsgefahr zu den eingetragenen Marken "S6" und "S8" und forderte die Unterlassung, die Übernahme der Anwaltskosten sowie Schadenersatz. Zwischenzeitlich kam mit dem Nio ES7 noch ein weiteres Modell zur Streitfrage dazu, den ES8 (bzw. EL8) gibt es dagegen in Europa gar nicht zu kaufen.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Verwechslungsgefahr "durch gedankliches Inverbindungbringen" gegeben sei. Der in der Werbung zu sehende Firmenname bleibt laut Gericht für die Bewertung der Verwechslungsgefahr außer Betracht, da es sich erkennbar um eine Kfz-Typenbezeichnung handle "und es im Automobilbereich die Gepflogenheit gebe, Typenbezeichnungen als eigenständige Marken im Sinne von Zweitmarken anzusehen." Es gelte dann der Grundsatz, dass Marken als Ganzes zu vergleichen seien.
In der Urteilsbegründung heißt es:
"Zwar weiche die [...] Gestaltung des beklagten Unternehmens durch den zusätzlichen Buchstaben "E" im Zeichen der Beklagten schriftbildlich und klanglich merkbar von der klägerischen Marke "S6" und "S8" ab. Der zusätzliche Buchstabe "E" sichere jedoch vorliegend keine hinreichende Unterscheidungskraft. Beide Marken würden zumindest in klanglicher Hinsicht gedanklich in Verbindung gebracht, was unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Klagemarke und bestehenden Warenidentität zu einer mittelbaren Verwechslungsgefahr führe.
Der Buchstabe "E" in Verbindung mit einem Produkt sei nämlich aktuell als Abkürzung für "Elektro"/ "elektronisch" quasi allgegenwärtig. Der Buchstabengebrauch betreffe sämtliche Lebensbereiche (z.B. als E-Akte das Gericht), insbesondere aber auch den Automobilbereich. Die Bedeutung bzw. der Ausbau der sogenannten "E-Mobilität" sei ein wichtiges Gesellschaftsthema. Dementsprechend werde ein Kraftfahrzeug, das über einen Elektromotor verfüge, nicht nur als Elektroauto, sondern auch sehr häufig kurz als "E-Auto" bezeichnet.
Die Kammer führte aus, es sei deshalb zu erwarten, dass ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise [Kunden und Kundinnen; Anm. d. Red.] das "E" [...] beschreibend verstehe und darin lediglich einen Hinweis auf den Motortyp des Fahrzeugs sehe. Es bestehe die Gefahr, dass Verbraucher annehmen, der "ES 6" sei der "S 6" in der Elektroversion, die beiden Fahrzeuge seien vom selben Hersteller. Es gebe damit eine über die reine Assoziation hinausgehende Gefahr einer Verwechselung durch Inverbindungbringen."
Stellungnahme von Audi
Audi reagierte gegenüber auto-motor-und-sport.de: "Wir begrüßen das heutige Urteil des Landgerichts München und den damit einhergehenden Schutz unserer Marken. Wie für viele andere erfolgreiche Unternehmen auch, sind diese für uns von zentraler Bedeutung. Entsprechend sind wir darauf bedacht, sie umfassend zu schützen. Das Urteil bestätigt, dass die streitgegenständlichen Modellbezeichnungen Markenrechte von Audi verletzen.
Viele unserer Modelle haben ikonischen Charakter – für uns und für unsere Kunden. Das gilt auch und gerade für unsere sportlichen S-Modelle. Es ist für uns daher selbstverständlich, das damit verbundene, wertvolle geistige Eigentum zu schützen."
Stellungnahme von Nio
Auf Nachfrage von auto-motor-und-sport.de will Nio aktuell die Argumentation des Gerichts prüfen. "Wir werden Berufung gegen das Urteil einlegen und behalten uns das Recht vor, entsprechend weitere Schritte zu unternehmen", so ein Sprecher. Die Geschäfte von Nio in Europa würden wie geplant durchgeführt, man konzentriere sich derzeit auf den Start der Modelle Nio EL7 und Nio ET5 sowie auf den Ausbau unserer Infrastruktur wie die Power Swap Stations.
Nio als ernstzunehmende Konkurrenz
Im Vorfeld hatte Nio bereits reagiert und zeigte die beiden SUV in Deutschland vorerst nur ohne Modellbezeichnung. In China sind beide Autos allerdings schon seit 2018 (ES8) und 2019 (ES6) auf dem Markt. Für die deutsche Kundschaft ist der ET7 vorgesehen. Dabei handelt es sich um eine fünf Meter lange E-Limousine mit 1.000 Kilometern Reichweite und Feststoff-Wechselakku. Mit einer Systemleistung von 480 kW und 850 Newtonmetern buhlt der Newcomer um die Kundschaft von Porsche Taycan und Tesla Model S.
Vor 2024 steht ein Verkaufsstart von ES6 und ES8 in Deutschland ohnehin nicht zur Debatte. Wer jetzt aber glaubt, die Nio-SUV seien deshalb nur eine fernöstliche Fata Morgana, der sei daran erinnert, dass es den größeren der beiden seit letztem Jahr in Norwegen zu kaufen gibt. Ab umgerechnet rund 70.000 Euro erhalten die Kunden ein Fullsize-Fahrzeug mit sieben Sitzen, Luftfederung und ebenfalls mit Wechselakku. Anders als viele gescheiterte China-Unternehmungen wie Borgward, Qoros oder Byton, etabliert sich Nio als ernstzunehmende Konkurrenz. Den großen ES8 finden Sie inklusive Modellbezeichnung in unserer Fotoshow oben im Artikel. © auto motor und sport
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