Die Verkaufszahlen der deutschen Hersteller in China sind stark eingebrochen. Ein Experte nennt die Gründe dafür – und gewährt düstere Aussichten.

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Ob BYD, Geely oder Chery – bei den chinesischen Herstellern brummt das Geschäft im eigenen Land. Bei den Deutschen sieht es in der Volksrepublik hingegen immer mieser aus. Denn es ist schon eine hohe Kunst, in einem Staat wie China, der 1,4 Milliarden Einwohner zählt, in einem Monat kein einziges Auto zu verkaufen. Das ist Mercedes im Oktober 2024 tatsächlich "gelungen". Dabei befindet sich das Unternehmen in bester deutscher Gesellschaft.

Laut dem Beratungsunternehmen Berylls by AlixPartners verkaufte Mercedes im gesamten vierten Quartal 2024 immerhin noch 18.843 Elektroautos (BEV) und lag dabei aber trotzdem hinter VW (55.899) und BMW (46.072). Dem entgegen stehen 590.896 Verkäufe von BYD. Der einheimische Hersteller wiederum kommt selbst im bekanntlich verkaufsschwachen Januar auf 125.377 Verkäufe.

Warum läuft es so schlecht für die deutschen Hersteller?

Der zentrale Grund für die Kaufzurückhaltung chinesischer Kunden liegt laut Willy Wang, MD und Partner bei Berylls by AlixPartners, im Produkt. Der Experte sieht hier drei Dimensionen:

1. Das Produktportfolio

Die Vielfalt an Produkten ist in China enorm, insbesondere Fahrzeuge mit Range Extender (EREX/REEV) sind derzeit sehr beliebt. Deutsche Hersteller haben jedoch keine EREX/REEV-Modelle im Angebot.

Video: Fahrbericht: DFM Rich 6

2. Das Produkt als solches

Hier steht der technische Overkill im Mittelpunkt. Chinesische Hersteller pumpen ihre Produkte mit Features und Hardware voll. Vor allem in den Bereichen Assistenzsysteme (zum Beispiel mehrere LiDAR-Sensoren, etliche Kameras etc.) und Connectivity (etwa mehrere Bildschirme vorn und hinten, Projektoren etc.). Inzwischen gehören dazu auch Komfort-Features, darunter "Zero Gravity"-Sitze oder Kühlschränke und weitere "Gimmicks" wie Front- und Rückleuchten, die Piktogramme darstellen können. Inzwischen legen die chinesischen OEMs auch mehr Wert auf Fahrwerk und Lenkung. Diesen technischen Overkill kombinieren sie mit unschlagbaren Preisen.

3. Fokus auf die Insassen

Während westliche Hersteller immer den Fahrer im Blick haben, wenden sich chinesische Autobauer immer mehr den Passagieren zu und machen das Auto zu einem Ort der Unterhaltung, des Arbeitens, des Verweilens. Die oben genannten Konnektivität- und Komfort-Features zielen in erster Linie auf die Passagiere ab. Sie sollen sich während der Fahrt stets wohlfühlen, gut unterhalten werden und das Auto am Zielort weiter nutzen. Typisches Szenario: das Auto als Wohnwagen dank Liegesitzen oder als Kinosaal. Ein möglichst simpler Umgang mit dem Auto ist dabei besonders wichtig.

Die Chinesen sind weiter als die Europäer

Es lässt sich also sagen, dass die chinesischen Autos inzwischen eine eigene DNA entwickelt haben – das Weltauto ist Geschichte. Vor allem, was die Produkt-Dimension angeht, geht das Ganze tiefer als "die Chinesen bauen viel für wenig Geld ein". In den Köpfen der Verbraucher hat sich mittlerweile die Meinung festgesetzt, dass chinesische Hersteller technisch viel weiter sind als westliche oder deutsche und das Auto der Zukunft bauen, das "Intelligent Connected Vehicle" (ICV).

Als Gruppe sind die chinesischen Hersteller schneller als je zuvor. Sie sind in der Lage, ein komplettes Fahrzeug in zwei Jahren zu entwickeln und einzelne Fahrzeugkomponenten in weniger als einem Jahr. Aufgrund von Over-the-Air-Updates wird ein Fahrzeug halbjährlich oder sogar vierteljährlich aktualisiert und auf dem neuesten Stand gehalten. Dadurch sind die chinesischen OEMs in der Wahrnehmung der Kunden "immer einen Schritt voraus".

Anzeichen der Besserung für deutsche Hersteller?

VW, Mercedes und Co. erleben derzeit eine deutliche Absatzdelle. Einige haben aber die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt, zum Beispiel VW durch die Partnerschaft mit XPeng. Denn die einzig richtige Lösung kann laut Wang nur lauten: in China für China. Modelle, die in Deutschland entschieden, entworfen und entwickelt werden, ohne die chinesischen Eigenheiten zu berücksichtigen, werden nicht funktionieren.

Westliche Hersteller müssen sich den lokalen Gegebenheiten anpassen, insbesondere der Entwicklungsgeschwindigkeit. Es wäre jedoch ein Trugschluss zu glauben, dass es ausreicht, die gleiche Hardware und die gleichen digitalen Features in die Autos einzubauen. Deutsche Autobauer müssen sich mit Alleinstellungsmerkmalen differenzieren, sonst gibt es keinen Grund, diese Autos zu kaufen.

Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt ein weiteres Problem für westliche Hersteller in China: Im Jahr 2024 hatten lokale Hersteller einen Anteil von etwa 60 Prozent am Gesamtmarkt. Dieser Anteil ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, in den letzten zwei bis drei Jahren mit massiver Beschleunigung.

Düstere Aussichten für ausländische Hersteller

Wenn man sich Märkte wie Korea und Japan anschaut, dann machen die einheimischen Autobauer dort etwa 80 Prozent des Gesamtmarktes aus. China entwickelt sich nach Wangs Einschätzung in die gleiche Richtung. Daraus lässt sich das Szenario ableiten, dass die einheimischen OEMs im Zielzustand 80 bis 90 Prozent des China-Marktes unter sich aufteilen werden; bei einem Gesamtmarkt von rund 30 Millionen Pkw-Zulassungen. Die Hauptgründe hierfür sind die Förderung von ICV und alternativen Antrieben seitens der Regierung und die oben genannten chinesischen Kundenerwartungen.

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Viele ausländische Hersteller werden von der Bildfläche verschwinden. Die deutschen Hersteller haben noch die beste Ausgangsposition, um nicht irrelevant zu werden. Sie müssen sich aber massiv anstrengen, damit das oben beschriebene Szenario nicht eintritt.

Hinweis: In der Fotoshow stellen wir Ihnen den kürzlich vorgestellten und nur in China angebotenen VW-SUV Talagon vor.  © auto motor und sport