Der BGH verhandelt am 22. Juli 2021 über Hatespeech und die Nutzungsbedingungen von Facebook. Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Frage, ob Unternehmen wie Facebook oder der Staat über die Grenzen der Freiheit entscheiden. Unsere Serie "Ein Gesetz für die Meinungsfreiheit" zeigt das Problem auf - und macht einen Lösungsvorschlag.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

"Uns ist klar, dass Menschen manchmal Inhalte teilen, die Hassreden anderer enthalten, um dies zu verurteilen oder dafür zu sensibilisieren. Denkbar ist auch, dass Aussagen, die ansonsten gegen unsere Standards verstoßen würden, auf die eigene Person bezogen oder als Ausdruck von Unterstützung verwendet werden. Unsere Richtlinien sollen Aussagen dieser Art Raum geben, doch dabei müssen die Personen ihre Absicht deutlich machen. Ist die Absicht unklar, wird der Inhalt unter Umständen entfernt."
Auszug aus Facebook-AGB

Hassrede bei Facebook

Facebook definiert verbotene Hassrede in den Nutzungsbedingungen auszugsweise "als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, Behinderung, religiöse Zugehörigkeit, Kaste, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität und ernsthafte Erkrankung."

Angriffe werden "als gewalttätige oder menschenverachtende Sprache, schädliche Stereotypisierung, Aussagen über Minderwertigkeit, Ausdrücke der Verachtung, der Abscheu oder Ablehnung, Beschimpfungen oder Aufrufe, Personen auszugrenzen oder zu isolieren" definiert.

Was ist Hassrede?

Facebook vertritt die Auffassung, es genüge für eine Löschung, wenn ein Beitrag aus Sicht eines flüchtigen Durchschnittslesers vertretbar als Verstoß gegen die Bestimmungen und Richtlinien der Beklagten ausgelegt werden könne (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 3.9.2020 - 2-3 O 48/19).

Auf dieser Grundlage wurden folgende Aussagen über eine Religion gelöscht: "Diese Weltanschauung und dieses Menschenbild lehne ich ab. Insbesondere die systematische Ungleichbehandlung des weiblichen Geschlechts, die sachlich durch nichts begründet ist. Die Legitimation und Heiligung der Gewalt zur Durchsetzung und Verbreitung (der Religion), den oftmals brutalen, respektlosen Umgang mit tierischen Mitgeschöpfen, das mittelalterliche streng patriarchalische Denken, die Dogmengläubigkeit und Immunisierung gegen jegliche Kritik, gegen jedes Hinterfragen der Glaubensgrundsätze, das mit drastischen Repressalien bedroht wird, die Verachtung des (selbst)kritisch-reflexiven Denkens, das den Menschen gerade vom Tier unterscheidet, die Unfähigkeit, selbstbestimmte bürgerliche Zivilgesellschaften zu schaffen, die Obrigkeitshörigkeit, die Diskriminierung von Homo- und Bi-Sexuellen sowie aller anderen Weltanschauungen (völlige Intoleranz) und aller Nichtmuslime, ganz besonders der Nicht-Gott-Gläubigen, die fehlende Achtung vor dem Kind (Kinderzwangsehen) als zur Selbstbestimmung fähiges und just dazu zu erziehendes Wesen, all das lehne ich ab. Und alle die, die Anhänger dieser inferioren, intoleranten Lehre sind und diese verbreiten wollen, in dem aberwitzigen Glauben, dieses Welt- und Menschenbild wäre dem eines aufgeklärten, kritisch-emanzipatorischen, zivilisierten, modernen Menschen überlegen."

Hasst man, wenn man eine Religion ablehnt?

Das Hanseatische Oberlandesgericht (Urteil vom 18.11.2020 - 13 U 192/19) bestätigte die Löschung unter anderem mit folgender Begründung. Indem der Nutzer die Lehre der Religion "wegen der 'Verachtung des (selbst)kritisch-reflexiven Denkens, das den Menschen gerade vom Tier unterscheidet', ablehne, stelle er die Religionsangehörigen damit quasi auf die Stufe von Tieren. Dies sei "entmenschlichend und in hohem Maße degradierend".

Hierin liege eine Aussage über die Minderwertigkeit der Religionsangehörigen und damit ein "direkter Angriff wegen der religiösen Zugehörigkeit" vor. Das Absprechen (selbst)kritisch-reflexiven Denkens, das "den Menschen vom Tier unterscheide", müsse von einem durchschnittlichen Nutzer so verstanden werden, dass die betreffenden Religionsangehörigen für den Äußernden "auf der Stufe eines Tieres" stünden.

Zudem, so das Gericht, liege ein direkter Angriff vor in der Ablehnung der Religionsanhänger wegen ihrer "inferioren Lehre". "Inferior" stehe vom Wortsinn für eine "Aussage über die Minderwertigkeit". Auch wenn sie sich "nach dem grammatikalischen Kontext" nur auf die Religion beziehe, so sei eindeutig, dass "sie sich logisch und aufgrund des Gesamtkontextes auch auf dessen Anhänger" beziehe.

Kann Religion Hass sein?

Man muss die gelöschten Äußerungen durch die Brille der Meinungs- und Religionsfreiheit sehen. In der Sache wird die Ablehnung der Religion mit Frauenfeindlichkeit, Heiligung von Gewalt, respektlosem Umgang mit Tieren, mittelalterlichem patriarchalischen Denken, Dogmengläubigkeit, Kritikunfähigkeit, Homophobie und der Behauptung von Zwangsehen von Kindern begründet.

Diese Aussagen dürften nicht gänzlich ohne tatsächlichen Hintergrund sein, der für das Bundesverfassungsgericht eine entscheidende Rolle bei der Duldung von Meinungen spielt. Einen Großteil der Argumente im gelöschten Post unterstützt Facebook ausdrücklich in seiner Definition von Hassrede. Dennoch wurden die Meinungen mit gerichtlicher Bestätigung gelöscht.

Kann Hass Kunst sein?

Dass man bei noch schärferen Aussagen landläufig zu erlaubten Äußerungen kommt, die nicht im Verdacht der Hassrede stehen, belegen Zitate aus Werken der Toten Hosen und der Ärzte. Sie lauten: "Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben, bei diesem scheiß Verein?" und "Du bist wirklich saudumm, darum geht's dir gut, Hass ist deine Attitüde, ständig kocht dein Blut, alles muss man dir erklären, weil du wirklich gar nichts weißt, höchstwahrscheinlich nicht einmal, was Attitüde heißt."

Misst man diese Aussagen an den Nutzungsbedingungen, so sind sie wiederum eindeutige Angriffe auf durch die Geschäftsbedingungen geschützte Werte. Eine Berufung auf die Kunstfreiheit neben der Meinungsfreiheit wird rechtlich tragfähig sein, allerdings dürfte die Religionsfreiheit ebenso viel Freiheit vermitteln.

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