Mehr als 200 Mal kommen die Wörter "digital" und "Digitalisierung" im Koalitionsvertrag der neuen großen Koalition vor. Scheint ein wichtiges Thema zu sein. Aber was bedeutet es für die Bürger - mal abgesehen von schnellem Internet? Und was taugen die Pläne der Koalitionäre?
Moderne Technik für die Schulen, ein "Bürgerkonto" mit allen wichtigen persönlichen Daten und schnelles Internet für alle. Das sind ein paar der Vorhaben, mit denen die große Koalition von CDU/CSU und SPD Deutschland zu einem "starken Digitalland" machen möchte.
Deutschland hinkt hinterher
Experten halten das schon lange für überfällig, schließlich sind andere Länder bei der Digitalisierung schon deutlich weiter. Wie zum Beispiel Dänemark, das seine Verwaltung inzwischen komplett digitalisiert hat.
Im Prinzip wissen das natürlich auch die verantwortlichen Politiker in Deutschland. Und so haben sie die Digitalisierung an vielen Punkten in ihrem Koalitionsvertrag erwähnt.
Doch erwähnen alleine reicht nicht, sagen Kritiker wie der Journalist und Gründer von netzpolitik.org, Markus Beckedahl. An vielen Stellen seien die Vorhaben zu schwammig formuliert.
Am konkretesten sind wohl die Aussagen zum Ausbau des Glasfasernetzes. Bis 2025 sollen alle Bürger schnelles Internet bekommen. "Schnelles Internet" heißt in diesem Fall: Die Daten sollen mit mindestens einem Gigabit pro Sekunde durch die Netze rauschen. Wie beim Kita-Platz soll das den Menschen in Deutschland sogar rechtlich zugesichert werden.
Als erstes sollen Schulen, Gewerbegebiete, soziale öffentliche Einrichtungen und Krankenhäuser drankommen. Letztlich sei das Ziel aber: "Glasfaser in jeder Region und jeder Gemeinde, möglichst direkt bis zum Haus."
Außerdem sollen Funklöcher im Mobilfunknetz beseitigt werden. Bis wann das geschehen soll, steht nicht im Vertrag. Nur dass es "zügig" gehen soll.
Neue Technik für die Schulen
Infrastruktur ist aber nicht alles, wenn es um Digitalisierung geht. Man muss die neuen Möglichkeiten auch nutzen können. Vor allem Schüler sollen früh lernen, neue Medien zu verwenden und verantwortungsvoll mit ihren Daten umzugehen. Dazu brauchen die Schulen neue IT, die Lehrer sollen weitergebildet und Lehrpläne überarbeitet werden.
Fünf Milliarden Euro wollen sich das Union und SPD in den kommenden fünf Jahren kosten lassen. Dass die gut angelegt werden, bezweifeln Kritiker allerdings.
Markus Beckedahl etwa vermutet, dass das Geld vor allem an die Unternehmen gehen wird, die die Infrastruktur für die Schulen bereitstellen werden: Telekom, Microsoft, Bertelsmann. Außerdem sei noch nicht ausgemacht, dass die fünf Milliarden überhaupt ausgegeben werden können, "denn zwischen dem Bund und den Ländern gibt es Streit, wer das Geld auftreiben soll."
Viele Daten, ein Portal
Offene Fragen gibt es auch beim sogenannten Bürgerkonto. Laut Koalitionsvertrag soll es "ein digitales Portal für einfachen, sicheren und mobilen Zugang zu allen Verwaltungsdienstleistungen" sein.
Der Bürger soll also sehen können, welche Daten Behörden über ihn haben und welche Behörden auf die Daten zugegriffen haben. Das würde mehr Transparenz bedeuten, einige Behördengänge könnten wegfallen und Verfahren, wie zum Beispiel der Antrag auf Elterngeld, beschleunigt werden.
Die Zusammenführung der Daten könnte aber bedeuten, dass Behörden, die bislang nur einen Teil der Daten zu einer Person einsehen konnten, dann alle Daten einsehen können. In diesem Fall wäre der selbstbestimmtere Bürger zugleich ein gläsernerer.
Abhängigkeit schafft kein Vertrauen
Doch auch ohne Bürgerkonto wissen viele Menschen jetzt schon nicht, was mit den Daten passiert, die sie beim Online-Shoppen, Online-Banking oder sonst beim Internet-Surfen eingeben. Nicht selten landen Passwörter oder andere persönliche Daten bei Kriminellen.
Gegen diese Cyber-Kriminalität will die neue Bundesregierung Staat und Bürger mit einem "Nationalen Pakt Cybersicherheit" schützen. Dafür hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mehr Aufgaben bekommen, unter anderem den Verbraucherschutz.
Allerdings sieht Markus Beckedahl es als Problem an, dass das BSI auch unter der neuen Regierung mit dem Innenministerium verquickt ist.
"Diese Abhängigkeit sorgt für Interessenkonflikte, etwa wenn das BSI andere Sicherheitsbehörden beim Staatstrojaner unterstützen soll. Dabei müsste es gerade von solchen Aufgaben getrennt bleiben und dafür sorgen, dass Sicherheitslücken sofort geschlossen werden", so Beckedahl zu unserer Redaktion.
Wenn Sicherheitsbehörden das Wissen um Sicherheitslücken nutzten, bleibe die Lücke offen - auch für Kriminelle oder ausländische Nachrichtendienste.
"Große Chancen für Wohlstand und sozialen Fortschritt"
Datensicherheit ist aber nicht nur für Privatleute, sondern auch für Firmen ein großes Thema. Vor allem mittelständischen Unternehmen fehlt da oft das Know-how, weshalb sie sich eher zögerlich in Richtung Industrie 4.0 bewegen.
Auch dabei soll das BSI künftig mehr helfen. Wie viel Geld für mehr Cybersicherheit in die Hand genommen werden soll, steht nicht im Vertrag.
Überhaupt gibt es - vom Glasfaserausbau und dem "Digitalpakt#D" für die Schulen abgesehen - wenig Angaben in Euro.
Für den Bereich "Forschung und Entwicklung" gibt es die zumindest in Prozent. Bis zu 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen bis 2025 dafür ausgegeben werden.
Unter anderem für die sogenannte Hightech-Strategie, ein Begriff, der im Übrigen schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat und auch im vorherigen Koalitionsvertrag vorkam.
Künftig soll vor allem die Erforschung der künstlichen Intelligenz gefördert werden. Für sie hat die Bundesregierung besonders hohe Ziele. Deutschland soll zu einem "weltweit führenden Standort zur Erforschung von künstlicher Intelligenz werden".
Wer in welchem Ausmaß von dieser Digitalisierungsstrategie letztlich profitieren wird, bleibt abzuwarten. Die Koalitionspartner sind der Ansicht, dass alle etwas davon haben werden, dass die Digitalisierung "große Chancen für Land und Menschen für Wohlstand und sozialen Fortschritt" bringt.
Vor allem, wenn dann alle mal schnelles Internet haben. 50 Megabit pro Sekunde waren eigentlich schon für dieses Jahr versprochen. Derzeit wartet aber noch rund ein Viertel der Haushalte in Deutschland darauf.
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