- Trinkt die Mutter in der Schwangerschaft Alkohol, drohen dem Kind Behinderungen.
- Die Folgen können sich aber ganz anders äußern, als die meisten wissen: etwa gar nicht körperlich, sondern im sozialen Verhalten.
- Besonders bei Erwachsenen ist die Dunkelziffer hoch, meinen Experten.
Alkohol in der Schwangerschaft zählt zu den Themen, über die viel bekannt zu sein scheint - zu denen aber entscheidende Dinge den meisten gänzlich unbekannt sind. Das Thema wird nach Meinung von Experten immer noch unterschätzt. Vor allem, wie unterschiedlich die Folgen von Alkoholkonsum der Mutter für das Kind im Mutterleib sein können - und dass man sie ihm nach der Geburt nicht unbedingt ansieht.
Die Folgen werden somit häufig lange nicht erkannt beziehungsweise Auffälligkeiten beim Kind nicht richtig zugeordnet, erklärt die Cottbuser Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Kristina Kölzsch anlässlich des "Internationalen Tags des alkoholgeschädigten Kindes" am 9. September.
Dabei gibt es viele Betroffene: Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) werden in Deutschland jährlich rund 10.000 Kinder geboren, die wegen Alkoholkonsums in der Schwangerschaft unter körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen leiden. Die Kinder haben sogenannte Fetale Alkoholspektrum-Störungen (FASD). Etwa ein Viertel davon sind an der schwersten Form erkrankt, dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS).
Alkohl in der Schwangerschaft: Störung nicht auf den ersten Blick sichtbar
Die Medizinerin Kölzsch arbeitet in einem Sozialpädiatrischen Zentrum, das dem Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus angegliedert ist. Dort hat sie über zehn Jahre eine Beratungsstelle aufgebaut, in der sie und ihr Team Kinder bis 18 Jahren betreuen, aber auch werdende Mütter. Dazu gehöre Diagnostik, ein individueller Behandlungsplan, aber auch Schulungen für Pflegeeltern, Kriseninterventionen und Fortbildungen werden angeboten. "FASD ist nicht auf den ersten Blick sichtbar, sondern man muss einfach dran denken", sagt Kölzsch.
Nach Angaben des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ist bei Betroffenen mit FASD das Sozialverhalten beeinträchtigt. Es gibt Probleme beim Lernen oder eine Intelligenzminderung. Häufig gelten sie als aggressive, impulsive oder hyperaktive Störenfriede und werden so möglicherweise sogar Opfer von Mobbing.
Andere sind viel zu freundlich, als dies für die jeweilige Situation angemessen wäre. Dann können sie dem BVKJ zufolge möglicherweise sogar Opfer von Misshandlungen werden. Menschen mit FASD kann zudem der Aufbau und die Pflege von Beziehungen schwerfallen.
Gerade bei Erwachsenen ist die Dunkelziffer hoch
Bei der Diagnose gebe es vor allem in Bezug auf FASD eine hohe Dunkelziffer, berichtet die Professorin für Sozialpsychiatrie an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU), Annemarie Jost. Bei dieser Behinderung komme es beispielsweise nicht unbedingt zu Gesichtsfehlbildungen wie bei FAS. Die größte Dunkelziffer gebe es im Erwachsenenalter. Bei den Menschen würde oft eine Borderline-Persönlichkeitsstörung fehldiagnostiziert, weiß Jost.
Viele Adoptiv- und Pflegekinder betroffen
Sie plädiert mit Blick auf Schwangere und den angeratenen Alkoholverzicht für Aufklärung, etwa durch Warnhinweise auf Alkoholflaschen, Plakate, Sticker in Kneipentoiletten und Aufklärung beim Gynäkologen, in Schwangerschaftskursen und in Schulen.
Viele Kinder mit FAS oder FASD in Deutschland leben nach Angaben des BVKJ in einer Adoptiv- oder Pflegefamilie. Diese seien häufig auf die Herausforderungen, die die Aufnahme eines solchen Kindes mit sich bringen kann, nicht vorbereitet.
Kein Alkohol in der Schwangerschaft
Die Kinder leiden also womöglich ein Leben lang. Dabei seien solche gravierenden Gesundheitsschäden vermeidbar, betont der kommissarische Direktor der BZgA, Martin Dietrich - durch Alkoholverzicht in der Schwangerschaft.
Es sei wichtig, dass sich werdende Mütter und Väter der Risiken von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft bewusst seien, so Dietrich. Er betont: "Alkohol ist ein Zellgift, das schon in kleinen Mengen die Entwicklung des Fötus beeinträchtigen kann." (Silke Nauschütz, dpa/af)
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