• Durch Corona-Regeln werden alltägliche Routinen zur Herausforderung.
  • Das Regel-Chaos kann zu Frustration und Dauerstress führen.
  • Gezieltes Stressmanagement und Entspannungstechniken können helfen.

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Darf die Maske jetzt überall im Freien abgenommen werden? Wann und wo ist ein PCR-Test Pflicht und was muss beim Einkauf im Supermarkt beachtet werden? Die Regeln in Zeiten der Corona-Pandemie ändern sich häufig und variieren zwischen einzelnen Bundesländern, Kommunen oder sogar von Restaurant zu Restaurant. Vielfach fehlt da der Überblick, welche Maßnahmen eingehalten werden müssen.

Das sorgt bereits bei ganz normalen Aufgaben für Stress. "Typische Routinen sind für uns im Alltag ein wichtiges Hilfsmittel", erklärt Thilo Hartmann aus Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Psychologe hat sich auf Supervision und Coaching spezialisiert und ist in verschiedenen Fachgruppen des Berufsverbands der Deutschen Psychologinnen und Psychologen e.V. aktiv. "Ob Einkauf im Supermarkt oder der regelmäßige Besuch im Fitnessstudio – für alle Tätigkeiten, für die wir eine Routine entwickelt haben, brauchen wir keine kognitive Leistung. Das Programm läuft einfach so ab."

Experte: Ängstliche Menschen "schnell überfordert"

Durch die Coronakrise werden aber gerade diese alltäglichen Leistungen zu Herausforderungen, die das kognitive System belasten. "Wir können nicht einfach so einkaufen gehen, sondern müssen überlegen, welche Regeln aktuell gelten und uns entsprechend darauf einstellen", zeigt Hartmann die veränderte Situation durch die Corona-Pandemie auf.

"Auch der Spaß an der Urlaubsplanung geht schnell verloren, wenn zunächst die Maßnahmen der einzelnen Reiseländer überprüft werden müssen." Die Corona-Regeln sorgen daher für zusätzliche Belastungen im Alltag und können sogar dazu führen, dass Menschen in anderen Lebensbereichen, wie beispielsweise im Beruf, weniger leistungsfähig sind.

Eine wichtige Rolle im Umgang mit den Corona-Maßnahmen spielt die individuelle Persönlichkeit. "Wer generell ein ängstlicher Typ ist, wird durch das Regel-Chaos schnell überfordert", betont Hartmann. "Andere hingegen sehen die Regeln als Herausforderung und suchen aktiv nach Lösungen."

Sozial gut vernetzte und aktive Menschen gehen jetzt eher wieder raus als diejenigen, die sich auch bereits vor Corona lieber zurückgezogen haben. Durch das Regel-Chaos werden diese Tendenzen verstärkt.

Soziales Umfeld wichtig

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität Koblenz-Landau und der Universität Mannheim haben in einer Studie zudem untersucht, welche weiteren Einflussfaktoren es auf das Verhalten der Menschen in der Corona-Pandemie gibt. "Unsere Studien-Ergebnisse zeigen, dass insbesondere soziale Normen vorhersagen, ob Menschen sich an die geltenden Vorschriften und Empfehlungen halten oder sogar noch andere während der Pandemie unterstützen, oder ob sie gegen die Regeln verstoßen", erklärt die Landauer Sozialpsychologin Selma Rudert.

Soziale Normen entstehen insbesondere durch Verhaltensweisen, die Menschen in der Familie oder im Freundeskreis wahrnehmen. Geht eine Person davon aus, dass Nahestehende sich beispielsweise an die Abstandsregeln halten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Person sich selbst ebenso verhält.

Die sozialen Normen geben Menschen Sicherheit und erfüllen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. "Abrupte Veränderungen, wie es insbesondere zu Beginn der Corona-Pandemie der Fall war, bringen ein verstärktes Maß an Unsicherheit mit sich", sagt Psychologin Rudert. Menschen blicken in einem solchen Fall noch stärker auf das Verhalten anderer, um Orientierung zu haben und mit der neuen Situation zurecht zu kommen.

Erhöhter Stresspegel und Frustration

Die monatelangen Corona-Maßnahmen führen bei immer mehr Menschen dazu, die Regeln zu brechen. Generell spielt die Selbstbestimmung eine wichtige Rolle, bei Einschränkungen wollen einige daher ihre Freiheit beweisen. In der Psychologie spricht man von Reaktanz.

Diese ist insbesondere bei Menschen ausgeprägter, die weniger Kontrolle über ihr Leben haben. Bei denjenigen, die auch vor Corona mit Gewalt als Lösungsversuch auf Frustration reagierten, verstärkt sich dieses Verlangen. Wer hingegen im Leben das Steuer selbst in der Hand hat, findet eher einen Weg, die Regeln einzuhalten und gleichzeitig die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.

Die Corona-Maßnahmen stellen die Menschen auf eine Geduldsprobe und sorgen für zusätzliche Belastungen. "Das führt vielfach zu mehr Stress im Alltag", weiß Psychologe Hartmann. "Dabei werden negative Botenstoffe und Hormone ausgeschüttet, sodass Dauerstress langfristig sogar zu Erkrankungen führen kann."

Coronakrise als Naturkatastrophe sehen

Das richtige Stressmanagement sowie Entspannungstechniken sind daher insbesondere in Zeiten der Corona-Pandemie wichtig. Im Rahmen von Präventionsmaßnahmen werden entsprechende Angebote beispielsweise von den Krankenkassen unterstützt.

Auch die Sicht auf die Corona-Pandemie spielt beim Umgang mit den Regeln eine wichtige Rolle. "Wenn man die Situation beispielsweise wie einen Vulkanausbruch als Naturkatastrophe betrachtet, fällt es leichter, die Konsequenzen zu tragen", sagt Psychologe Hartmann. "Dann handelt es sich um höhere Gewalt, auf die man selbst und andere Menschen keinen Einfluss haben."

Wer die Maßnahmen hingegen als persönlichen Angriff auf die individuelle Freiheit sieht, will den "Gegner" bekämpfen. Das erhöht die Frustration.

Eine realistische Sicht auf die Wissenschaft hilft ebenfalls beim Umgang mit dem Regel-Chaos. "Die unterschiedlichen Meldungen trugen zur Verunsicherung der Bevölkerung bei", betont Hartmann. "Wir müssen akzeptieren, dass die Wissenschaft mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet und die entsprechenden Modelle zunächst auch Fehler aufweisen können."

Der Psychologe zieht den Vergleich zum Segeln, bei dem ein fahrendes Ziel mit dem Segelboot auch nicht in gerader Linie erreicht werden kann. Vielmehr ist entsprechend der äußeren Rahmenbedingungen stets der Kurs anzupassen – genau wie in der Pandemie.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Dr. M.Sc.-Psych. Thilo Hartmann aus Berlin, Mitglied im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (26.10.2021)
  • Universität Koblenz-Landau. "Psychologische Studie: Wie sich Menschen weiterhin zum Einhalten von Corona-Schutzmaßnahmen motivieren lassen“.
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