• Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hat seine Empfehlungen für den kommenden Herbst und Winter vorgestellt.
  • Die Wissenschaftler halten es für möglich, dass die Politik wieder strengere Schutzmaßnahmen auf den Weg bringen muss.
  • Gleichzeitig warnen sie aber vor Panik: "Insgesamt befinden wir uns auf dem richtigen Weg", sagt der Wissenschaftler Christian Karagiannidis.

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Heyo Kroemer will keine dramatischen Bilder zeichnen und keine Sorgen erzeugen. Trotzdem hat der Vorstandsvorsitzende der Berliner Universitätsklinik Charité eine Warnung mitgebracht: "Die Pandemie ist definitiv nicht vorbei, wir hatten in der Charité heute Morgen noch 25 Intensivpatienten. Es macht also Sinn, sich auf den Herbst vorzubereiten."

Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung rechnet im Herbst und Winter also mit wieder steigenden Infektionszahlen – nicht nur beim Coronavirus, sondern auch in Bezug auf andere Atemwegserkrankungen wie Influenza. Das werde das Gesundheitssystem und die kritische Infrastruktur "erneut erheblich belasten", heißt es in der 11. Stellungnahme des Gremiums, das Kroemer und drei weitere Mitglieder am Dienstag in der Bundespressekonferenz vorgestellt haben.

Wie geht es mit Corona weiter? Drei Szenarien des Expertenrats

Die Corona-Pandemie ist wegen des Kriegs in der Ukraine zwar teilweise aus den Schlagzeilen verschwunden. Überwunden ist sie aus Sicht der Wissenschaft aber nicht. Die Omikron-Subvariante BA.5 hat bereits in Portugal die Fallzahlen stark steigen lassen und ist jetzt auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Zwischen Ende April und Anfang Juni stieg ihr Anteil an den untersuchten Proben von 0,6 auf 5,2 Prozent. Das geht aus dem Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts hervor.

Die Expertinnen und Experten fordern deshalb eine weitere Erhöhung der Impf- und Booster-Quote. Zudem sei eine rechtliche Grundlage nötig, um mögliche Schutzmaßnahmen umzusetzen. Hier nennt das Gremium Maskenpflicht, Test- und Hygienekonzepte und notfalls auch wieder Kontaktreduzierungen.

Über weitgehende Maßnahmen wie einen "Lockdown" wollen die Expertinnen und Experten aber nicht sprechen. "Aus dieser Form von Diskussion haben wir uns bewusst rausgehalten", sagt der Vorsitzende Kroemer. "Das ist eine Spekulation, an der wir uns nicht beteiligen würden."

Welche Schritte notwendig sind, hängt aus Sicht des Gremiums auch davon ab, wie sich die Pandemie entwickelt. Die Zukunft kann auch die Wissenschaft nicht vorhersagen. Der Expertenrat beschreibt aber drei Szenarien:

  • Günstigstes Szenario: Eine neue Virusvariante dominiert, sie hat aber weniger krankmachende Eigenschaften als die Omikron-Variante. Es kann zu Belastungen im Gesundheitswesen für ältere Menschen kommen und zu Arbeitsausfällen im Berufsleben.
  • Basisszenario: Die Krankheitslast bleibt ähnlich wie bei den aktuellen Varianten. Schutzmaßnahmen und lokale Kontaktbeschränkungen können möglich werden, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.
  • Ungünstigstes Szenario: Es taucht eine Virusvariante auf, die ansteckender ist und gleichzeitig die Schwere der Erkrankungen erhöht. Schutzmaßnahmen und Kontaktreduzierungen müssten aus Sicht des Expertenrats dann bis Frühjahr 2023 anhalten.

Wissenschaftler grundsätzlich optimistisch – auch wegen Impfung

Trotz aller Warnungen: Die Ausgangslage habe sich im Vergleich zum vorigen Jahr "grundlegend verändert", sagt Christian Karagiannidis, Professor an der Universität Witten/Herden. "Insgesamt befinden wir uns auf dem richtigen Weg."

Auch der Charité-Mediziner Leif Erik Sander betont die Erfolge der Pandemie-Bekämpfung: Man habe zwar einerseits durch Omikron eine "sehr, sehr hohe Zahl von Infektionen weltweit". Andererseits sei die Krankheitslast geringer und die Belastung des Gesundheitssystems reduziert. "Das ist auf eine einzelne Tatsache zurückzuführen – und das ist die extrem effektive Covid-19-Impfung."

Die Impfung mache nicht immun gegen die Infektion an sich, betont Sander. Aber sie schütze zuverlässig vor schweren Verläufen. Nachholbedarf sieht er gerade bei der Quote der Dreifach-Geimpften. Die sei immer noch zu niedrig. Eine Empfehlung zu einer vierten Impfung für die gesamte Bevölkerung will der Expertenrat dagegen noch nicht aussprechen – das sei die Aufgabe der Ständigen Impfkommission (Stiko). Sander hält es aber durchaus für denkbar, dass eine größere Impfkampagne im Herbst oder Winter noch einmal nötig wird.

Grüne contra FDP: Infektionsschutzgesetz schnell ändern?

Die Grünen drücken aufs Tempo, die FDP will zunächst eine Evaluierung abwarten: Bei den Corona-Maßnahmen für den Herbst rumort es in der Ampelkoalition. Es geht um das Infektionsschutzgesetz.

Bessere Kommunikation gefordert

Das Wort Kommunikation spielt in der Stellungnahme des Expertenrats eine große Rolle. "Jeder und jede sollte mit Informationen erreicht werden, was wann getan werden soll und warum", sagt Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt.

Sie schlägt der Politik zudem weitere Aufklärungs- und Impfangebote in Schulen und mit mobilen Impfteams vor: "Mit echten Menschen, die man fragen kann." Auch bundeseinheitliche Regeln sind aus Sicht von Betsch wichtig für eine gute Kommunikation – ein Appell an Bund und Länder zu einer einheitlicheren Pandemiebekämpfung.

Bundesinfektionsschutzgesetz läuft am 23. September aus

Der Expertenrat besteht aus 19 Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftlern, die die Bundesregierung in ihrer Corona-Politik beraten und Empfehlungen für die Zukunft vorlegen. Er ist nicht zu verwechseln mit einem anderen wissenschaftlichen Gremium, dem Sachverständigenausschuss mit dem Virologen Klaus Stöhr an der Spitze. Der Sachverständigenausschuss soll eher den Blick in die Vergangenheit richten und die bisherigen Schutzmaßnahmen bewerten. Diese Bewertungen muss der Ausschuss spätestens am 30. Juni vorlegen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will diesen Tag abwarten, bevor die Bundesregierung die Regeln für den Herbst und Winter festlegt. Das aktuell geltende Bundesinfektionsschutzgesetz läuft am 23. September aus. Es sieht nur noch einen sogenannten Basisschutz vor: eine Maskenpflicht in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Bussen und Bahnen sowie mögliche weitere Maßnahmen für sogenannte Hotspots. Wie es also weitergeht mit den Corona-Regeln, muss die Politik im Laufe des Sommers entscheiden.

Verwendete Quellen:

  • Bundespressekonferenz
  • Corona-ExpertInnenrat der Bundesregierung: Pandemievorbereitung auf Herbst/Winter 2022/23 - 11. Stellungnahme
  • rki.de: Wöchentlicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit
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