Konversionstherapien sind in den USA verbreitet. Sie sollen dazu dienen, Homosexuelle umzuprogrammieren. Ein Unterfangen, das nicht nur zum Scheitern verurteilt ist, sondern auch Leben zerstören kann.

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Eine umstrittene Umerziehungsmaßnahme soll aus Schwulen Heterosexuelle machen. Die Behandlung umfasst verschiedene Formen der Verhaltenstherapie, kann jedoch einer Dokumentation des Magazins "Vice" zufolge sogar Foltermethoden beinhalten.

US-Präsident Barack Obama stemmt sich gegen die sogenannten Konversionstherapien: Er unterstützt eine Petition, sie wenigstens für Minderjährige verbieten zu lassen.

Aus gutem Grund: Die American Psychological Association (APA) sieht in solchen Behandlungen eine große Gefahr, weil sie Homosexualität als mentale Störung darstellen und ein persönliches und moralisches Versagen der Betroffenen unterstellen.


Sogar frühere Mitglieder von Organisationen, die die Konversionstherapie anbieten, stellen sich heute gegen diese. Alan Chambers, ehemaliger Präsident einer Gruppe namens Exodus International, entschuldigte sich öffentlich für die Traumata, die seine Organisation bei Betroffenen verursacht habe. Dem Fernsehsender CNN sagte er: "Ich weiß, dass es Leute gab, die sich das Leben genommen haben, weil sie sich so geschämt haben dafür, wer sie waren: Sie haben gedacht, dass Gott sie nicht lieben könnte, so wie sie sind. Das ist etwas, das mich für den Rest meines Lebens verfolgen wird."

"Das kann bis zum Suizid gehen"

Wir haben mit Dr. Jörg Signerski-Krieger über das Thema gesprochen. Er ist Sexualtherapeut in der Ambulanz für Sexualmedizin und Sexualtherapie der Universität Göttingen und warnt nicht nur vor der Konversionstherapie, sondern erklärt auch, warum sie völliger Humbug ist.

Herr Jörg Signerski-Krieger, muss man Homosexualität therapieren?

Jörg Signerski-Krieger: Nein und nochmals nein. Homosexualität ist keine Erkrankung, sondern eine Normvariante der sexuellen Orientierung.

Die sexuelle Orientierung ist nicht wandelbar?

Nein. Jeder von uns hat bestimmte sexuelle Ideen, wie ein gewisses Skript. Dieses kann nicht umprogrammiert werden, aber moduliert. Es gibt zum Beispiel Menschen, die heterosexuell leben und irgendwann ihre bisexuelle Ader entdecken. Diese war schon vorher da, wird jetzt aber bewusst wahrgenommen.

Geht es bei den Konversionstherapien darum, zu lernen, die heterosexuelle Seite verstärkt auszuleben?

Ein Homosexueller hat mit Sicherheit auch heterosexuelle Anteile. Aber in diesen Therapien geht es nicht darum, zu sehen, wie vielfältig das sexuelle Skript ist. Man will vielmehr eine Umprogrammierung erreichen. Man will sagen können: Du bist nicht mehr homosexuell, sondern heterosexuell. Eine Umprogrammierung funktioniert aber nicht. Man kann aus einem Homosexuellen keinen Heterosexuellen machen und umgekehrt auch nicht. Warum sollten wir auch? Es ist ja keine Störung.

Dieser Glaube liegt den Konversionstherapien aber offenbar zugrunde.

Ja, genau. Aber wer macht Homosexualität zur Störung? Erst die gesellschaftlich-religiös aufgedrückte Norm.


In der sexuellen Orientierung gibt es kein Schwarz und Weiß. Es gibt verschiedene Anteile, die man in beide Richtungen haben kann. Man kann als heterosexueller Mensch homosexuelle Anteile in sich haben. Es scheint hier geschlechtsmäßige Unterschiede zu geben: Bei Frauen kommt zum Beispiel die bisexuelle Neigung häufiger vor als bei Männern. Die Frage ist aber: Gibt es diese Beobachtung, weil es biologisch so ist? Oder werden sie unterschwellig von der Gesellschaft vermittelt? Es gibt ja immer noch eine relativ große Homophobie, eine Ablehnung von homosexuellen Impulsen – auch in der deutschen und aufgeklärten Gesellschaft. Das sieht man zum Beispiel im Fußball: Wie schwierig ist es für Fußballer, sich als homosexuell zu outen!

Ist Homophobie daran schuld, dass manche Betroffene die Konversionstherapie in Anspruch nehmen?

Ja. Aber bezüglich Sexualität herrscht in den USA eine ganz andere moralische Einstellung. In einigen Gebieten sind die USA bedeutend konservativer und evangelikaler geprägt. Es gibt dort zum Beispiel auch verstärkt Keuschheitsbewegungen. Die Homosexualität wird vom religiösen Lager nicht selten als Sünde verurteilt. Dadurch ist der Druck viel größer, die Homosexualität behandeln zu lassen. Weil man sich dafür schämt, sozusagen krank zu sein, nicht der religiösen Weltanschauung zu entsprechen, also in Sünde zu leben und sündige Gedanken zu haben.

Sie sind Sexualtherapeut. Haben sich je Homosexuelle an Sie gewandt, die ihre sexuelle Orientierung therapieren lassen wollten?


Nein. Es waren schon Menschen bei mir, die sich für ihre Sexualität geschämt haben. Sexualität ist aber mehr als nur die sexuelle Orientierung. Es gibt Patienten, sich dafür schämen, Pornos zu konsumieren oder ähnliches. Das ist aber etwas anderes als das, was in den USA stattfindet. Es kommen auch Homosexuelle zu mir, die für sich erkannt haben, dass sie homosexuell sind und die im Outing eine depressive Symptomatik entwickelt haben. Aber meine Patienten kamen nicht auf die Idee, die Homosexualität wegtherapieren zu lassen. Das gibt es zwar mit Sicherheit auch in Deutschland. Aber es ist nicht so ein großes Thema wie in den USA.

Sie erwähnen Depressionen. Welche Auswirkungen sind im schlimmsten Fall zu befürchten, wenn die sexuelle Orientierung verleugnet werden muss?

Das kann bis zum Suizid gehen. Diese Gefahr besteht, wenn die Gesellschaft sagt, man müsse das verleugnen, es gehöre sich nicht, und der Betroffene dann zunehmend depressiv wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Jörg Signerski-Krieger ist Sexual- und Psychotherapeut in der Ambulanz für Sexualmedizin und Sexualtherapie der Universität Göttingen.
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