Mit dem Oktoberfest beginnt in München die Saison der "Wiesn-Grippe" – doch was lange als unausweichliche Konsequenz des Volksfests hingenommen wurde, bereitet vielen nach der Pandemie Bauchschmerzen. Könnte das Oktoberfest die Corona-Pandemie erneut anfachen?

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Das Oktoberfest hat zum zweiten Mal seit Corona seine Pforten geöffnet. Rund eine Million Besucher strömten in diesem Jahr am Eröffnungswochenende auf das Festgelände. Und so sicher wie das "Prosit der Gemütlichkeit"ist die "Wiesn-Grippe" danach: Kaum ist der letzte Zapfhahn abgedreht, beginnt halb München zu husten.

Die "Wiesn-Grippe" ist fast schon legendär, ein Mythos ist sie aber nicht: Laut einer bundesweiten Analyse von Meldungen ausgewählter Arztpraxen aus dem Jahr 2019 beginnt die Erkältungs- und Grippezeit im Raum München alljährlich im Oktober und damit früher als im Rest Deutschlands. Dafür gibt es aus Sicht von Expertinnen und Experten keine andere Erklärung als das größte Volksfest der Welt im Herzen Münchens.

"Die sogenannte 'Wiesn-Grippe' grassierte auch schon vor Covid-19", sagt Prof. Christoph Spinner, Leiter der Infektiologie am Klinikum rechts der Isar in München, wobei der Begriff eine Vielzahl verschiedener Viren umfasst – von Influenza und RSV über humane Corona- und Metapneumoviren zu Sars-CoV-2 und anderen. Denn das Oktoberfest bietet aus Sicht der Erreger die ideale Infrastruktur: "Viele Menschen auf engem Raum sowie Reiseaktivitäten erhöhen das Risiko einer Übertragung viraler Atemwegserreger. Beim Oktoberfest kommt beides zusammen", sagt Spinner.

2022: Corona-Zahlen stiegen nach Oktoberfest in München deutlich an

Doch was viele Jahre als unausweichliche Konsequenz der Wiesn hingenommen wurde, bereitet vielen nach den Erfahrungen aus drei Jahren Pandemie Bauchschmerzen. Könnte die Wiesn die Corona-Pandemie in Deutschland diesen Herbst erneut anfachen?

Schon 2022, als das Oktoberfest nach zwei Jahren Corona-Pause erstmals wieder in die Festzelte lud, war die Angst vor einer neuen Welle groß. Tatsächlich stiegen die Fallzahlen bereits während Wiesn 2022 in München deutlich an: Lag die Inzidenz vor dem Volksfest noch bei 200, stieg sie zum Ende auf über 900 – und war damit fast doppelt so hoch wie im bundesweiten Durchschnitt.

Auch in den Münchner Kliniken schlug sich die Wiesn-Welle nieder: Die Zahl der Corona-Patienten auf der Normalstation hatte sich binnen zwei Wochen nahezu verdreifacht, bei den Intensivbetten wurde ein Anstieg um 56 Prozent verzeichnet, wie die "Süddeutsche Zeitung" damals berichtete. Trotz des deutlichen Anstiegs blieb die Intensivbettenbelegung allerdings deutlich unter den Werten der vorangegangenen Frühjahrswelle.

Auch wenn Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Bilanz der Wiesn 2022 als "Verliererbilanz" bezeichnete: Der totale Klinik-Infarkt in München blieb aus und die Herbstwelle in Deutschland beherrschbar - trotz massenhafter Infektionen auf der Wiesn. "Sars-CoV-2 spielte in der Atemwegserkrankungswelle 2022/2023 nicht mehr die wichtigste Rolle – aufgrund der bereits hohen Immunität durch Impfungen und Infektionen", erklärt Prof. Spinner. So sei Corona im vergangenen Herbst nur noch der dritt- bis fünfthäufigste Erreger in Deutschland gewesen.

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Auch in diesem Jahr werde das Oktoberfest mit seinen Millionen Besuchern in vollen Bierzelten die Zahl der Atemwegserkrankungen steigen lassen, ist Spinner sicher. Ein Grund zur Sorge sei das nicht. Atemwegsinfektionen ließen sich auf Dauer nicht mit vertretbarem Aufwand verhindern und es gebe keine Notwendigkeit, Sars-CoV-2 da besonders herauszuheben. "Corona ist inzwischen saisonal und heimisch geworden", sagt der Infektiologe.

Anders als noch im Vorjahr gebe es derzeit keine vorherrschende Variante mehr, die das Potenzial hätte, sich weltweit durchzusetzen. Grund dafür sei die hohe Immunkompetenz durch Impfung und Genesung in der Bevölkerung. "Unser Immunsystem kann heute im Kampf gegen Sars-CoV-2 und Covid-19 verschiedene Waffen nutzen", sagt Spinner. Ältere und chronisch Kranke hätten aber auch weiterhin ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf und sollten sich daher unbedingt gegen Influenza und Covid-19 impfen lassen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Aus Sicht von Spinner, der selbst bereits auf dem Oktoberfest in diesem Jahr zu Gast war, sei es zentral, eine adäquate Risiko- und Nutzenabwägung zu treffen, das gelte auch für Volksfeste. "Glücklicherweise ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass uns die nächste Pandemie sehr zeitnah ereilt – und selbst das Oktoberfest hätte nur bedingten Einfluss." Am Ende trage jeder und jede Einzelne aber auch Verantwortung für sich selbst. "Chronisch Kranke und Ältere sollten sich durch Impfungen schützen – und wem das Risiko wirklich zu hoch ist, der kann den Oktoberfestbesuch eben auslassen."

Zur Person:

  • Prof. Dr. Christoph D. Spinner ist Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie und leitet den Bereich Infektiologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Das Interview erfolgte schriftlich.

Verwendete Quellen:

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