• Gesundheitsminister Spahn zieht beim Impfstoff von Astrazeneca vorerst die Notbremse.
  • In sieben Fällen führte die Impfung mit dem Vakzin offenbar zu Thrombosen der Hirnvenen.
  • Ob er wieder zum Einsatz kommt, ist ungewiss.

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Deutschland setzt die Corona-Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca vorerst aus. Die Entscheidung sei eine "reine Vorsichtsmaßnahme", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag in Berlin. Die meisten Bundesländer kündigten an, die Impfungen mit Astrazeneca unverzüglich einzustellen. Bereits vereinbarte Termine sollten in vielen Fällen abgesagt werden.

Spahn erläuterte, die Entscheidung gehe auf sieben Fälle zurück, bei denen Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung stünden. "Es ist sehr selten aufgetreten", sagte er und wies darauf hin, dass hierzulande mittlerweile über 1,6 Millionen Impfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff verabreicht wurden. "Es geht um ein sehr geringeres Risiko - aber, falls es tatsächlich im Zusammenhang mit der Impfung stehen sollte, um ein überdurchschnittliches Risiko."

Paul-Ehrlich-Institut riet zu Astrazeneca-Stopp

Den vorläufigen Stopp empfohlen hatte das zuständige Paul-Ehrlich-Institut. Bei der Analyse neuer Daten sehe man eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Thrombosen in Hirnvenen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit Astrazeneca, so das Institut. Die Daten würden von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) weiter analysiert und bewertet.

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Thrombose war bisher in keinem Fall festgestellt worden. Dies war auch in anderen Staaten betont worden, die die Impfungen bis zum Abschluss von Prüfungen vorsorglich aussetzten. "Astrazeneca wird in vielen Ländern der Welt millionenfach verimpft", sagte Spahn. "Es ist eine fachliche Entscheidung und keine politische", versicherte er.

1,65 Millionen Dosen verabreicht

In Deutschland erlebt die Impfkampagne mit dem Schritt einen empfindlichen Rückschlag. Bis Sonntag waren laut Robert Koch-Institut 1,65 Millionen Dosen Astrazeneca-Impfstoff in Deutschland verabreicht worden. Insgesamt wurden 9,4 Millionen Dosen gespritzt - außer von Astrazeneca kommen die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna zum Einsatz.

Bis auf wenige hundert Fälle betreffen alle Astrazeneca-Impfungen die erste von zwei für den Impfschutz nötige Impfungen. Die Aussetzung betreffe nun auch alle Folgeimpfungen, sagte Spahn.

Impfstoff muss neu bewertet werden

Nun ist die EMA am Zug. Dort wird an einer erneuerten Bewertung des Impfstoffs des britisch-schwedischen Pharmakonzerns gearbeitet. Spahn setzt darauf, dass die EMA "idealerweise noch im Laufe dieser Woche zu ihrer Entscheidung" kommt. Falls der Impfstoff zugelassen bleibt, wolle man für die Impfungen auch wieder werben.

Die EMA hatte vergangene Woche erklärt, dass es keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gebe. Der Anteil der Thrombose-Kranken nach einer Impfung mit dem Präparat entspricht demnach dem spontanen Auftreten dieser Erkrankung in der Normalbevölkerung. Der Nutzen der Verabreichung des Astrazeneca-Mittels sei größer als die Risiken.

Laut dem zuständigen Paul-Ehrlich-Institut solle man sich in ärztliche Behandlung begeben, wenn man sich mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlen sollte, etwa mit starken oder anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen.

Beratungen mit Thrombose-Experten

Die Auswirkungen auf die Impfkampagne müssten nun geprüft werden, kündigte Spahn an. Seit den Beratungen des PEI unter anderem mit Thrombose-Experten vom Mittag sei dazu zunächst noch keine Zeit gewesen.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisierte den Impfstopp: "Das schafft nur große Verunsicherung und Misstrauen in einer Situation, in der es auf jede Impfung ankommt", sagte Lauterbach der "Rheinischen Post" (Dienstag).

Ärztepräsident Klaus Reinhardt nannte die Aussetzung dagegen "richtig und wichtig". Schnelle Klärung und völlige Transparenz seien wichtig. "Ansonsten geht Vertrauen verloren."

Astrazeneca-Stopp in anderen Staaten:

Den Anfang machte Dänemark. Die Impfungen mit dem Mittel wurden vergangene Woche für zunächst 14 Tage gestoppt. Hintergrund waren mehrere Fälle von Blutgerinnseln bei geimpften Personen, darunter ein Todesfall. Auch Norwegen hatte die Astrazeneca-Spritzen ausgesetzt. Die Niederlande setzte die Impfungen ebenfalls aus. Gesundheitsminister Hugo de Jonge teilte am Sonntag mit: "Wir müssen immer auf Nummer sicher gehen." Italien stoppte die Verabreichung des Impfstoffes von Astrazeneca am Montag landesweit. Zuvor habe Gesundheitsminister Roberto Speranza auch mit seinen Amtskollegen in Spanien, Frankreich und Deutschland gesprochen. In Italien waren in der vergangenen Woche und am Wochenende Menschen gestorben, die zuvor mit dem Vakzin von Astrazeneca geimpft worden waren. Auch Frankreich vollzog einen vorläufigen Stopp bis zur erwarteten EMA-Einschätzung - auch hier eine reine "Vorsichtsmaßnahme", wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte.


Fortsetzungen der Astrazeneca-Impfungen:

Großbritannien nutzt den Impfstoff weiter. "Wir prüfen die Berichte genau, aber angesichts der großen Anzahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise auftreten können, deuten die verfügbaren Beweise nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist", sagte Phil Bryan von der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA). Astrazeneca selbst hatte nach einer Analyse von Impfdaten Zweifel die Sicherheit zurückgewiesen. Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Geimpften in der EU und Großbritannien hätten keine Belege für ein höheres Risiko für Lungenembolien, tiefen Venenthrombosen und Thrombozytopenie geliefert, so der Konzern am Sonntag in London. (mss/dpa)

Menschen mit Vorerkrankungen sollen teils früher geimpft werden können

Menschen mit gewissen Vorerkrankungen sollen früher gegen das Coronavirus geimpft werden als bislang geplant. Das geht aus einem Entwurf für eine Abgeänderte Impfordnung hervor. Demnach will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Vorgaben zu Corona-Impfungen in Deutschland so ändern, dass die Einstufungen einzelner Krankheitsbilder in die Prioritätengruppen gemäß neuen Daten angepasst werden.
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