Im Rennen um einen Impfstoff gegen das Coronavirus greifen einige Forscher offenbar zu ungewöhnlichen Mitteln: Sie testen an sich selbst und sogar an Verwandten. Eine Gruppe von Wissenschaftlern warnt nun vor einem solchen Vorgehen.

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Wer ihn zuerst liefern kann, auf den warten wohl nicht nur die Anerkennung der Wissenschaft, sondern auch finanzielle Vorteile: einen Impfstoff gegen das Coronavirus. Mit den derzeit vielerorts wieder steigenden Corona-Zahlen wächst auch der Wunsch nach einem Ausweg – und damit nach Impfstoffen.

Immer mehr Hersteller haben bereits klinische Studien gestartet oder planen diese. Etliche Länder und auch die Europäische Union haben sich bereits Millionen Dosen eines potenziellen Impfstoffs vorab gesichert.

Doch ein Serum, das abschließend getestet und zugelassen ist, gibt es nach wie vor nicht. Wann genau ein Impfstoff auf den Markt kommt, ist deshalb ungewiss. Um im Impfstoff-Rennen nicht das Nachsehen zu haben, testen manche Forscher von ihnen entwickelte Corona-Vakzine offenbar sogar an sich selbst.

Weil in den vergangenen Wochen mehrfach Fälle registriert wurden, fordern Wissenschaftler aus den USA und Dänemark nun derlei Selbstversuche dringend zu regulieren.

Diese Form der Forschung werfe viele rechtliche und ethische Fragen auf, erläutern sie im Fachmagazin "Science". Wenn diese nicht angegangen würden, könne das Vertrauen der Menschen in die Entwicklung sicherer Corona-Impfstoffe beeinträchtigt werden.

Wissenschaftler haben Corona-Impfstoffkandidaten am eigenen Körper getestet

Mehrere Wissenschaftler in den USA haben eigenen Angaben zufolge bereits selbst zusammengemischte Corona-Impfstoffkandidaten am eigenen Körper ausprobiert. Auch aus Russland und China gibt es ähnliche Berichte.

Der Drang danach könne aus dem Irrglauben entstehen, dass Selbstversuche keinen zeitaufwendigen Überprüfungen und Regularien unterlägen, schreiben die Forscher um Christi Guerrini vom Baylor College of Medicine in der texanischen Stadt Houston. Das sei aber faktisch und rechtlich falsch.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA müsse ihre entsprechenden Regeln und ihre Autorität klarstellen. Andernfalls sei zu befürchten, dass in einer von Impfskeptizismus geprägten und hochpolitisierten Pandemie das Vertrauen der Menschen in jeglichen wie auch immer entwickelten Impfstoff untergraben werde.

Für Schlagzeilen hatte zuletzt unter anderem das sogenannte Rapid Deployment Vaccine Collaborative (Radvac) gesorgt, zu dessen Unterstützern der Wissenschaftler George Church von der Elite-Universität Harvard zählt. Die Wissenschaftler haben eigenen Angaben zufolge einen Peptidimpfstoff entwickelt, den man in die Nase spritzen soll. Rund 30 Menschen hätten das Präparat bereits an sich erprobt, sagte der beteiligte Forscher Preston Estep der "New York Times".

Auch der russische Wissenschaftler Alexander Ginzburg hatte erklärt, er habe sich selbst mit dem Impfstoffkandidaten "Sputnik V" impfen lassen – und es gehe ihm nun, einige Monate später, weiter gut, sagte er unlängst der russischen Staatsagentur Ria Nowosti zufolge. Ginzburg ist Direktor des Gamaleja-Forschungszentrums in Moskau, das den weltweit ersten für die breite Verwendung in der Bevölkerung freigegebenen Impfstoff gegen Corona entwickelte.

Forscher testet Medikamente "sehr oft an sich selbst" – auch an eigenen Verwandten

Mehrere Mitarbeiter des Instituts hatten sich in einer frühen Phase selbst das neue Serum gespritzt. Ginzburg nannte keine genaue Zahl, sprach lediglich von einem "großen Kreis von Kollegen".

"Natürlich testen Forscher Medikamente sehr oft an sich selbst. Und das nicht nur an sich selbst, sondern auch an eigenen Verwandten und so weiter, um sich von der Qualität des Produkts zu überzeugen, das sie verabreichen", sagte er. Normalerweise spreche niemand darüber.

Dass Forscher Impfstoffe an sich selbst ausprobieren, hat es in der Geschichte immer wieder gegeben. Der US-Wissenschaftler Jonas Salk beispielsweise, der Mitte des 20. Jahrhunderts den ersten wirksamen Impfstoff gegen Kinderlähmung entwickelte, testete diesen zuerst an sich und Mitgliedern seiner Familie.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird derzeit weltweit in fast 200 Projekten nach geeigneten Impfstoffen zum Schutz vor Corona gesucht. Experten rechnen mit einer breiten Verfügbarkeit geeigneter Impfstoffe erst im kommenden Jahr. (dpa/mf)

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