52.000 Menschen fiebern auf den Rängen des Stadiums mit, als sich der FC Liverpool und Atlético Madrid Mitte März zum Champions-League-Match begegnen. Kurze Zeit später steigt die Zahl der Corona-Toten in den Krankenhäusern rund um Liverpool. Ist die Menschenansammlung bei dem CL-Spiel schuld daran? Ein Faktencheck.
Beim Champions-League-Spiel zwischen dem FC Liverpool und Atlético Madrid drängen sich am 11. März mehr als 50.000 Fans im berühmten Stadion von Anfield. Wenige Wochen später häufen sich in den Krankenhäusern im Raum Liverpool die Todesfälle von mit dem Coronavirus infizierten Menschen.
Behauptung: Die Menschenansammlung bei der Partie soll die Corona-Infektionen in der Region in die Höhe getrieben haben. Das soll in der Folge zu mehr Todesfällen geführt haben.
Bewertung: Dass das Match die Verbreitung des Coronavirus beschleunigt hat, gilt zwar als wahrscheinlich. Einen Beweis für mehr Todesfälle gibt es aber nicht.
Fakten: Die Partie war das letzte große Fußball-Spiel in England, bevor das öffentliche Leben eingeschränkt wurde: Titelverteidiger Liverpool mit dem deutschen Trainer Jürgen Klopp verlor nach Verlängerung 2:3 (1:0, 1:0) gegen Atlético Madrid (Hinspiel: 0:1) und schied in diesem Jahr schon im Achtelfinale der Königsklasse aus.
Rund 52.000 Menschen erlebten das umkämpfte Rückspiel im berühmten, voll besetzten Stadion von Anfield. 3.000 Fans waren dafür aus Madrid angereist, obwohl in der spanischen Hauptstadt zu diesem Zeitpunkt schon erste Einschränkungen des öffentlichen Lebens galten.
Tags zuvor war entschieden worden, dass in Spanien keine Zuschauer mehr bei Fußballspielen erlaubt sind. Wenige Tage später rief das Land den Alarmzustand aus, der Spielbetrieb in La Liga wurde komplett gestoppt.
Mehr Todesfälle als in Vergleichszeitraum
Nach Schätzungen des Imperial College London und der Universität Oxford hatte Spanien, das besonders hart von der Pandemie getroffen wurde, zum Zeitpunkt des Champions-League-Spiels rund 640.000 Infektionen. In Großbritannien waren demnach etwa 100.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert.
In einem Zeitraum von 25 bis 35 Tagen nach dem Champions-League-Duell in Liverpool wurden in Krankenhäusern in der Umgebung 41 Tote mehr gezählt als im selben Zeitraum in ähnlichen Kliniken, die als Vergleichsgröße herangezogen wurden.
Das berichtete die Zeitung "Sunday Times" und berief sich auf eine entsprechende Modellrechnung der Beraterfirma Edge Health. Das Unternehmen analysiert im Auftrag des britischen Gesundheitsdienstes NHS medizinische Daten.
Eine ähnliche Schätzung gab Edge Health bezüglich der Auswirkungen des viertägigen Cheltenham-Festivals ab, das mehr als 250.000 Besucher hatte. Das Pferderennsport-Event fand vom 10. bis 13. März statt.
Die Modellrechnung kommt auf 37 Corona-Todesfälle, die möglicherweise in Zusammenhang mit Cheltenham stehen. Die Gegend nahe der Rennstrecke soll in der Region Gloucestershire Anfang April die höchste Zahl von Corona-bedingten Neuaufnahmen in Krankenhäusern gehabt haben.
Das berichtete die Lokalzeitung "Gloucestershire Echo" und berief sich auf geleakte offizielle Dokumente.
Direkter Zusammenhang zwischen Spiel und Corona-Toten ist fraglich
Kritiker werfen der britischen Regierung schon länger vor, viel zu spät auf die Pandemie reagiert zu haben. Bereits vor Wochen wurden Regierungsberater aus dem medizinischen Bereich auf einer Pressekonferenz gefragt, ob das Fußballspiel nicht zur Verbreitung des Erregers beigetragen haben könnte.
Damals hieß es, man habe gemäß des Kentnissstandes zu dem Zeitpunkt gehandelt. Es sei eine interessante Frage, der nachgegangen werden sollte.
Das Team für öffentliche Gesundheit des Liverpooler Stadtrats bereitet derzeit eine Untersuchung vor, die der Bürgermeister Joe Anderson in Auftrag gegeben hat. Sie soll klären, welche Auswirkungen die Austragung des Spiels vor vollen Rängen auf die Infektionen und Todesfälle hatte.
Einen Zeitplan dafür gibt es bislang nicht, weil man vorerst damit beschäftigt sei, die Pandemie zu bewältigen, hieß es. Offen ist demnach auch, wann mit Ergebnissen zu rechnen sei. Fraglich ist, ob die Untersuchung tatsächlich einen direkten Zusammenhang belegen kann. © dpa
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